World Party: Karlchen crazy


Eln ewiger Hippie macht die Welt zur Party: Ehemals Mit-Kopf der Waterboys hat sich der Sonnenblumen-Anbeter Wallinger mit dem Projekt World Party die eigene Spielwiese für seine Musik-Melange aus Folk und Prince gebastelt. ME/Sounds-Mitarbeiter Christoph Becker spinnte einen Tag lang an der Seite von Karlchen Crazy.

die Tarantel hat gestochen. Und sie heißt .Sonnenblume‘. Karl Wallinger springt auf, rennt herum, fuchtelt wie wild, zieht Grimassen. „Die Sonnenblume ist mein Symbol. Ich liebe diese Pflanze. So kraftvoll, so positiv. Die Sonnenblume ist mein wunder Punkt!“ Ein enormer Adrenalinüberschuß schüttelt seinen drahtigen, kleinen Körper. Bis…, ja, bis er plötzlich wieder ruhig und friedlich in seinem Sessel sitzt. Der Schneidersitz und sein verschmitzter Blick verleihen ihm diesen Rumpelstilzchen-Look Marke „Ach, wie gut, daß niemand weiß, daß ich Karlchen Crazy heiß“‚.

Wir hängen in der ziemlich verschlissenen Polstergarnitur von „John Henry’s“, Karl Wallingers Studio im Norden Londons. Hier entstand, meist im Alleingang, nur mit gelegentlicher Hilfe seines alten Kumpels Guy Chambers, das neue und zweite World Party-Album GOODBYE JUMBO. Doch dieses Studio hat ganz und gar nichts vom coolen High Tech-Charme der handelsüblichen Aufnahmezentralen heutiger Popgrößen. Aber gemütlich ist es hier auch nicht, die Umgebung der ehemaligen Fabrikshalle strahlt alles andere als Zuversicht und Sicherheit aus. Ein grauer Film hängt über der Szenerie, urbane, aber bodenständige, britische Realität. Auch der verwinkelte Studiokomplex hat die Spinnweb-Patina des ehrlichen Rock ’n‘ Roll. Wer hier seine Songs aufnimmt, kann nichts mit gelacktem Pop im Sinn haben, aber er kann sich mit seiner Arbeit viel Zeit lassen. „Die Songs für GOODBYE JUMBO sind während der letzten drei Jahre entstanden. Ganz allmählich und in aller Ruhe. Ich habe mir keinen Streß gemacht oder mich von der Plattenfirma unter Druck setzen lassen. Den Zwang, ,Ein Album muß her, schreib ein paar Stücke‘ gab es nie bei mir. Statt dessen habe ich lange Zeit an den Songs gearbeitet und irgendwann war es dann soweit für ein Album.“

Kar! Wallingers musikalische Vergangenheit ist bestimmt durch einen Namen: The Waterboys. Auch wenn er – verständlicherweise – im Interview jetzt vor allem seine neue Platte promoten will. („Alles, was für mich wirklich existiert, ist mein neues und mein vorheriges Album. Ich denke nicht viel weiter zurück, als bis dahin.‘) Die Phase der Zusammenarbeit mit dem Kopf, kreativen Motor, Songschreiber und Sänger der Waterboys, Mike Scott, ist prägend für sein ganzes Leben gewesen. Vor dem ersten Treffen mit Mike Scott krabbelte Wallinger noch im Musik-Laufstall. 1983 lernte er den singenden „Mondfahrer“ Mike Scott kennen, der ihm so lange mit Patti Smith, Van Morrison, Lou Reed und Iggy Pop in den Ohren lag, daß er sich schließlich den Waterboys als Keyboarder verdingte, obwohl die Band eigentlich einen Gitarristen suchte. Karl Wallinger beeinflußte maßgeblich den Sound der beiden Waterboys-Alben A PA-GAN PLACE und THIS IS THE SEA. Doch schon bei den Tourneen gab es Ärger. Denn der eigensinnige und starrkopfige Mike Scott weigerte sich, auch Songs von Karl Wallinger zu spielen. Was den schließlich veranlaßte, die Waterboys zu verlassen und im Herbst 1986 sein erstes Album PRIVATE REVOLUTION, ein leicht angeschrägtes Spät-Hippie-Produkt, zu veröffentlichen. Es wurde mit der Single „Ship Of Fools“ – eine seltsame Mischung aus wunderschönen Harmonien und apokalyptischen Bildwelten – zwar nur ein mittelmäßiger Erfolg, zeigte aber schon deutlich die Einflüsse, Vorlieben, Ein- und Aussichten, die sich wie ein roter Faden durch Karl Wallingers Output ziehen: die Beatles, schwarzer Blues & Soul-Traditionen, eine friedlich-bunte Hippie-Aura und ein ausgeprägtes ökologisches Bewußtsein.

GOODBYE JUMBO ist aber weit mehr als nur eine geniale Mischung all dieser Quellen. Es ist eine Art ökologisches Konzeptalbum, Sonst eine fast schon diskriminierende Bezeichnung, ist Karl Wallinger mit dieser Schublade gar nicht so unzufrieden. „Die Menschheit, jeder Einzelne, muß für sich die Entscheidung treffen, wie das zukünftige Leben aussehen soll. Wenn man zu der Einsicht kommt, daß diese Erde doch ein ziemlich lebenswerter Planet ist, muß man Konsequenzen ziehen. Das kann heißen, daß man Greenpeace beitritt, muß es aber nicht. Es kommt auf deine ganz persönliche, private Revolution an. GOODBYE JUMBO mag zwar sehr pessimistisch, melancholisch und resigniert klingen und ein Song wie ‚Is It Too Late?‘ dreht sich natürlich um die Frage, ob wir die Schraube zu weit gedreht haben, aber trotzdem habe ich das Hoffen noch nicht verlernt. Es ist Zeil aufzuwachen, dazu muß man manchmal schon einen Schwanengesang anstimmen.“

Trotzdem sind Wallingers Endzeit-Visionen kraftvoll, eingängig und ein kleines bißchen psychedelisch. Banale Düsterdonnerei und selbstverliebtes Weltuntergangsgeklampfe ist nicht die Sache des zappeligen Sympathikus aus Wales. Er nimmt sich selbst nicht so fürchterlich ernst, kokettiert schon mal selbstironisch mit dem Klischee des grünen Besserwissers. Anstatt seine Musik mit großen Worten zu belegen, übt sich Wallinger in typisch britischem Understatement. „Was ich machen möchte, ist „pure pop“. So bezeichne ich das, was bei mir die bekannten ‚positive vibrations‘ hervorruft. Ich meine damit natürlich kein flaches Supermarktgesäusel oder den üblichen Charts-Mist, aber auch keine mystischen, keltischen Lieder. Musik sollte auch Spaß machen, ein Umfeld schaffen, das bei allen Hörern Kreativität freisetzt. „

GOODBYE JUMBO besitzt die positive Naivität der frühen Hippies – viel Peace, viel Love und viel Understanding – verbunden mit einem sehr bodennahen Sinn für die Realität und deutlichen folkloristischen Wurzeln. Eine Mischung, die gewagt ist, aber von Wallinger locker und zwanglos zusammengehalten wird. Selbst Prince’sche Dancefloor-Anleihen können diese Produktion nicht aus der Bahn werfen.

„Ich finde die junge Dancefloor-HipHop-Szene sehr erfrischend. Auch wenn ich es vorziehe, mit möglichst wenig Technik und möglichst akustisch zu arbeiten, hat doch die Frechheit der Sampling-Ceneration eine Menge längst überholter Verkrstungen weggeblasen. Diese Kids machen ihre Musik, weil sie Ideen haben und daraus Songs machen wollen. So schnell und so intensiv, wies gehl. Da geht es nicht um Marketing und Image, sondern ausschließlich um Kreativität. Und die ist immer wieder faszinierend. Ich versuche so nah an der Sonne zu fliegen wie möglich, ohne daß mir die Flügel schmelzen.“

Sagt’s, zupft ein wenig am Blatt einer riesigen Sonnenblume, die mitten im Aufnahmeraum seines Studios steht und verabschiedet sich abrupt Richtung Toilette. Eine große Portion Sonnenblumenkerne fordert vehement Ausgang.