Zu viele DJs


Der Electro Rock, wie er in die Welt kam.

Schwer zu sagen, wann alles genau anfing. Als es schick wurde, in Clubs abzurocken. Wer die Initialzündung gab. Aber warum nicht bei Andrew Weatherall ansetzen? Der spielte schon zu Zeiten von Acid House und Manchester-Rave eine entscheidende Rolle. Primal Scream haben ihm einiges zu verdanken, hätten ohne ihn wohl nie einen Clubvon innen gesehen. Danach probierte der Engländer immer wieder neue Dinge aus. Kurz vor der Jahrtausendwende hatte er wieder einen seiner berühmten Einfälle, als er zum ersten Mal im Repertoire obskurer Clubmusik aus den 80ern kramte. In diesem Punkt hat ihn die restliche Musikwelt längst eingeholt, also sucht Weatherall, ein munterer Frühvierziger, wieder nach neuen Herausforderungen. In Clubs kann man ihn noch immer als Techno-DJ der klassischen Schule bewundern, privat stöbert er lieber nach Rockabilly. Der von ihm besorgte Mix aus der Reihe sci-fi-lo-fi des schottischen Soma-Labels enthält Stücke von Gene Vincent, Link Wray, Johnny Burnette und The Fall.

Normalerweise geht eine neue Szene mit neuen Namen einher. So war es auch 1997, dem Jahr der Veröffentlichung des Daft-Punk-Debüts, das zugleich die Geburtsstunde der Londoner „Trash“-Partys erlebte. Erol Alkan, türkischstämmiger DJ und eben dort treibende Kraft, hatte zunächst nichts Besonderes im Sinn. Es ging ihm einfach darum, die langweilige Linearität von Techno und House zu torpedieren. Alkan wollte Abwechslung und bot den Trendsettern der Zukunft eine Bühne. Egal, ob die Musiker dem Garagenrock-Revival, Electroclash oder Punk zuzurechnen waren-solange Elektronik, Groove oder Rock in irgendeiner Form darin vorkam, hatte es bei ihm eine Chance. Viele Gedanken machte sich Alkan nicht. Seine Person hielt er aus dem Geschehen heraus, die Doppelfunktion DJ/Kurator füllte ihn aus. Erst in den letzten Jahren hat er Gefallen an Remixen gefunden. Nach seiner Überarbeitung von „Do You Want To“ rechnet man schwer damit, dass Alkan das nächste Album von Franz Ferdinand produzieren wird. Seinem Ruf als Motordes britischen Electro Rock wird es gewiss nicht schaden. Zu noch größerer Bekanntheit wird er es dagegen nicht so leicht bringen, dafür geht er zu ungern auf Reisen.

Auch die Macher der Glasgower „Optimo“-Partys feiern dieser Tage das zehnjährige Jubiläum. Twitch und Jonnie Wilkes machen immer sonntags die Nacht zum Tag. Dabei geht es so heftig zu, dass es in Glasgow inzwischen Arbeitgeber geben soll, die dem Personal den“Optimo“-Besuch vertraglich verbieten. Der Krankenstand hatte an Montagen zwischenzeitlich exorbitante Ausmaße erreicht. Was Twitch und Wilkes im Schilde führen, lasst sich schon am Namen der Veranstaltung ablesen. „Optimo“ heißt ein Track der legendären Punk-Funk-Formation Liquid Liquid,die auch schon bei der Partyreihe gastierte. Twitch und Wilkes lassen gerne Musiker live auftreten. Andere Aufleger tolerieren sie dagegen nicht neben sich, schließlich lautete ihr ursprüngliches Motto „Kill All DJs“. Starkult und Großclubwahnsinn sind ihnen ein Gräuel. Ähnlich wie Alkan gelten sie nicht als Experten auf dem Gebiet der Eigenwerbung. Aber immerhin betreiben sie ein Label, das O.S.C.A.R.R. heißt.

2Many DJs haben keins, wie auch? Sofern sie nicht gerade mit Soulwax unterwegs sind, beschallen die Gebrüder Dewaele ständig alle möglichen Tanzstellen dieser Welt. Da kann man sich nicht auch noch mit Labelarbeit und Administrativkram herumschlagen. Gefragt sind 2Many DJs nach wie vor, bei den letzten beiden Berlin-Auftritten herrschte Riesenandrang. Wenn sie an die Plattentellertreten, zelebrieren sie die Mischung aus Electro und nicht nur beat- und punktgenau. Es hat eine musikalische Qualität, wenn sie AC/DC, Aerosmith, Guns N‘ Roses und Joan Jett mit Dance-Material zusammenbringen. Bastard Pop nannte man das zu Anfang, aber mittlerweile ist 2Many DJs ein eigenes Markenzeichen.

Dasselbe lässt sich auch von Trevor Jackson behaupten. Der Engländer musiziert unter dem Namen Playgroup, legt fleißig auf und hatte mit Output Recordings lange Zeit ein Label, das zu den wichtigsten der Electro-Rock-Szene gehörte. Jackson machte sich zuerst als Designer und Remixer(Underdog)einen Namen, bevor er 1996 das Label an den Start brachte. Dieses lizensierte für Britannien Musik von LCD Soundsystem und The Rapture und hat sich hierzulande durch Veröffentlichungen von Colder, Dead Combo und DK 7 einen Namen gemacht. Im vergangenen Jahr stellte Jackson den Betrieb überraschend ein.“Ich habe erlebt, wie sich Leute, von denen ich dachte, sie wären meine Freunde, in Monstren verwandelten, in heuchlerische Idioten, die auf den nächstbesten Trendzug springen und mir dann von hinten ein Messer in den Rücken jagen. Ich verfüge über keine ausgesprochenen Babysitter-Fähigkeiten, deshalb bin ich mehr als erleichtert, den Stab an Pseudo-indies mit dickem Budget und ohne Fantasie übergeben zu können.“

Klingt verbittert. Vielleicht hat er sich mit der Rolle des Über-Entrepreneurs aber einfach nur übernommen.Sinn für Arbeitsteilung ist im Musikgeschäft generell nie fehl am Platz.

Ortswechsel: Paris. Ed Banger Records trägt den Crossover-Gedanken schon im Namen. Wichtiger Teil der Firmenästhetik sind Aufnäher, die Fans von Metal-Bands früher auf zerrissenen Jeansjacken platzierten. Wer auf Ed-Banger-Partys im T-Shirt von Kiss oder Motörhead erscheint, wird nicht lange allein herumstehen. Labeleigner Pierre „Pedro“ Winter mag das, er hat diesen Stil schon als Manager von Daft Punk unterstützt. Jetzt veröffentlicht er Musik von Uffie, DJ Mehdi, Feadz und Mr.Oizo, dem Methusalem des französischen Electrotrash. „Musik ist etwas Animalisches“, glaubt Winter. Wer im Spätsommer Zeuge der Konzerte von Justice war, weiß, wovon Winter spricht. Da wurden selbst Mauerblümchen zu durchgeknallt abrockenden Veitstanzern.