Die 50 besten Platten des Jahres 2015


Wer hat 2015 das Rennen gemacht? Future Soul, 90s-Indie, HipHop, gar Jazz oder doch das sogenannte Austropop-Revival? Eine große Jury hat entschieden: Das sind die 50 besten Platten des Jahres.

Platz 1: Kendrick Lamar – TO PIMP A BUTTERFLY


Interscope/Universal (19.3.)

2015 war ein fantastisches Jahr für Compton. Der größte Sohn des Vororts von Los Angeles, HipHop-Übervater Dr. Dre, veröffentlichte zum ersten Mal seit Ewigkeiten ein Album – ein überraschend gutes dazu –, das den Namen seines Geburtsorts trägt. Der Werdegang seiner alten Crew N.W.A lief in leicht modifizierter Form im Kino – man kann diese Geschichte schließlich nicht ohne die eine oder andere Notlüge erzählen. Doch all die euphorische Nostalgie, dieses kurzzeitige Wiederaufglühen eines alten Feuers war kein Selbstzweck. Sie war vielmehr Teil eines generationsübergreifenden Wechselspiels, einer kleinen Geschichtsstunde, nach der das eigentliche HipHop-Ereignis des Jahres noch mehr Sinn ergibt: TO PIMP A BUTTERFLY, das Meisterwerk von Kendrick Lamar.

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Lamar, der bei der Veröffentlichung des ersten N.W.A-Albums ein Jahr alt war und beim letzten Dr.-Dre-Album gerade zwölf, trägt seinen Teil zu diesem Phänomen bei: Er ist im Trailer von „Straight Outta Compton“ zu sehen, auf Dr. Dres neuer Platte zu hören, schreibt ein Essay darüber, warum er das 1995 verstorbene N.W.A-Mitglied Eazy-E vergöttert, und führt am Ende von TO PIMP A BUTTERFLY sogar ein Interview mit dem toten 2Pac, der verdächtig gute Antworten auf Fragen aus der Zukunft kennt.

Was uns zur ersten Lektion dieser Geschichtsstunde führt – der traurigen: Was die soziokulturellen, politischen, rassistischen Probleme angeht, hat sich seit damals zu wenig getan, im Kleinen (Compton) wie im Großen (USA). Was jedoch anders und besser geworden ist, ist der HipHop selbst. Kendrick Lamar pickt sich kreuz und quer aus der Popgeschichte alle Rosinen heraus, die er für seine Botschaften braucht: Jazz von free bis smooth, Soul, Trap, George-Clinton-Funk (und George Clinton persönlich), die Akkordfolge des „Pyramid Song“ von Radiohead, die Gitarrenriffs und Stimmen der Isley Brothers, Gedichte und, weil es ohne halt nicht geht: eine Strophe Snoop Dogg. Das ist die schöne Lektion dieser Platte: Fünf Jahre nach Kanye Wests Großtat MY BEAUTIFUL DARK TWISTED FANTASY hat der HipHop wieder eine neue Messlatte. Sie dürfte eine Weile halten. Ivo Ligeti