„Die Möglichkeit der Unvernunft“: Was vom HKW-Experiment bleibt

„Die Möglichkeit der Unvernunft“ im HKW: 30.000 Besucher:innen und ein Leitmotiv - die Meinungsfreiheit. Was bleibt von Jan Böhmermanns Ausstellung?

Drei Wochen lang besetzten Jan Böhmermann und die Gruppe Royal das Berliner Haus der Kulturen der Welt (HKW). Ihre Ausstellung „Die Möglichkeit der Unvernunft“ zog in dieser Zeit 30.000 Besucher:innen an und zählt damit zu den bestbesuchten in der Geschichte des Hauses. Am Sonntag, 19. Oktober, endete die Böhmermannsche Besatzung. Nun stellt sich die Frage: Wurden die Möglichkeiten der Unvernunft ausgeschöpft?

Zwischen Freiheitsstatue und Fernsehturm

„Ihr habt es endlich geschafft, ihr Verrückten! Ihr habt es vermasselt!“, prangt als Zitat aus „Planet der Affen“ (1968) am Gebäude des HKW. Darunter: Eine halb versunkene Freiheitsstatue, die den Zustand der Freiheit in der Bundesrepublik symbolisieren soll. Die Verbindung zu den USA zieht sich nicht nur durch die Rezeption, sondern fungiert als Leitmotiv der Ausstellung. Das HKW, 1953 als Geschenk der USA in Berlin errichtet, dient als politisch-symbolische Schnittstelle der beiden Demokratien. Dieses Symbol der Freiheit und Demokratie nutzte Böhmermann mit seinem Team drei Wochen lang als Mahnmal für deren Gefährdung.

„Die Möglichkeit der Unvernunft“ führte durch drei große Räume und zeigte Exponate aus thematisch relevanten Folgen des „ZDF Magazin Royale“ – etwa die NSU-Akten, Wahlkampf-Souvenirs der US-Präsidentschaftswahl 2016 oder auch versteigerte Gegenstände Renée Benkos. Hinzu kamen Installationen wie eine medienwirksame Waisen-Vernichtungsmaschine, eine neue Nationalgalerie mit Personen aus der Medienöffentlichkeit, eine Wand voller Hassparolen-Postkarten, die intime Einblicke in das Leben von Online-Hater:innen bot, sowie eine visuelle Auflistung aller Rechtsschritte, die nötig sind, um Kritik im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu ermöglichen.

Die Ausstellung verstand sich als humorvoll-intelligenter Fingerzeig in Richtung Bundeskanzleramt. Der erhobene Finger wies auch auf die USA, das selbsternannte Land der Freiheit, das derzeit so viel Unfreiheit zulässt, dass demokratische Strukturen erodieren – mit spürbaren Folgen auch in Deutschland, wie Böhmermann zur Eröffnung betonte. Die Gruppe Royal wollte einen Raum schaffen, der Selbstreflexion anstößt – für Besucher:innen, denen am Eingang das Handy abgenommen wurde, ebenso wie für demokratische Institutionen. So konnte man etwa per Fernrohr in Friedrich Merz’ Büro blicken. „Der Souverän muss sich erheben“, hieß es zur Eröffnung. Doch nach Ende der Ausstellung stellt sich die Frage: Hat er sich erhoben?

Jan Böhmermann: Zensur im Namen der Sensibilität?

Im Volksmund würde man sagen: Nein. Schon vor der Eröffnung sorgte die Ausstellung für Diskussionen – insbesondere wegen des Eklats um Chefket, dessen Auftritt wieder abgesagt wurde. Der Grund: Die Show des Rappers im Berliner HKW sollte an dem Tag stattfinden, an dem sich der Überfall der Hamas auf jüdische Wohngebiete und Veranstaltungen zum zweiten Mal jährte. Am 7. Oktober 2023 starben 1200 Menschen, 250 wurden entführt. Kulturstaatsminister Wolfram Weimer warnte laut „Frankfurter Allgemeine“ öffentlich davor, dass Chefket sein Konzert dafür nutzen könnte, um antisemitischen Gedanken einen Raum zu geben. Dann hieß es von Eventlocation sowie Böhmermann dazu: „Wir sehen und hören den Einspruch insbesondere auch von jüdischer Seite gegen den Konzertabend am 7. Oktober 2025“, weshalb man die Entscheidung getroffen habe, die Veranstaltung komplett abzublasen.

Wie es zu der Vermutung in Bezug auf Chefket kam: Wolfram Weimer wies laut „Frankfurter Allgemeine“ darauf hin, dass der Musiker angeblich auf Bildern ein Oberteil mit einem Aufdruck trug, auf dem Palästina ohne Israel zu sehen gewesen sei. Ein Gig des Rappers am 7. Oktober 2025 hätte der Kulturstaatsminister laut „Frankfurter Allgemeine“ als „Provokation“ wahrgenommen.

Artists wie Blumengarten, Domiziana und Wa22ermann sagten daraufhin als Support von Chefket ebenfalls ihre Gigs ab.

Böhmermanns Ausstellung zur Meinungsfreiheit stand so also bereits wenige Tage nach der Eröffnung in Kritik: Nach welcher Freiheit wurde hier gewertet, wenn politische Positionen ausgeschlossen und nicht diskutiert werden?

Die Möglichkeit der Unvernunft: Diskussion statt Revolution

Zwar büßte die Ausstellung in Besucher:innenzahlen nichts ein, doch das Ansehen litt. Wegen ihrer teils mondänen Exponate wurde sie ohnehin belächelt; nach den abgesagten Performances verschärfte sich die Debatte. Von „ungenutztem Potenzial“ schrieb „taz“, „Zeit“ sprach von „der immergleichen Leier“, und Besucher:innen äußerten Enttäuschung über mangelnde Tiefe. Das Fazit: „Kann man schon machen, muss man aber nicht.“

Wer etwas über den Zustand der deutschen Demokratie oder das Spannungsverhältnis zu amerikanischen Strukturen erfahren wollte, erhielt zwar Denkanstöße, aber keine klaren Antworten. Böhmermann und die Gruppe Royal boten eher Richtungsweiser als Lösungen. Was die Ausstellung aber möglich machte, war eine Diskussion um die Beziehung zwischen Politik und Kultur. Wie viel Einfluss darf eine Regierung auf die Konzeption von Kultur(kritik) nehmen, muss sich eine Institution wie das HKW unter Anleitung eingemieteter, vermeintlich unabhängiger Kollektive dem Anspruch des – bleibt man in Böhmermanns Worten – „Leviathan“ beugen?

Das „Muss“ ist diskutabel, der Effekt ist jedoch ein klarer. Mehr Menschen denn je haben sich in den drei Wochen Laufzeit dank Jan Böhmermann im HKW eingefunden, ob damit die Möglichkeiten der Unvernunft aber vollkommen ausgeschöpft wurden, bleibt offen.