AID – Nein danke – Knatsch um eine Benefiz-PIatte


Über 50 deutsche Musiker wollten (mehr oder weniger sicher) mitmachen, zwei Manager kümmerten sich monatelang um Termine, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hatte ihre Unterstützung zugesagt - trotzdem ist sie nie erschienen, die Aids Benefiz-Platte des Projekts KÜNSTLER helfen HELFEN. Rolf Lenz erzählt die (typisch deutsche) Geschichte einer Platte, die es nie gab.

Wo ein guter Wille ist, muß noch lang kein Weg sein – die Berliner Pop/ Kultur-Manager Conny Konzack und Michael Schöbel können (k)ein Lied davon singen. Im September letzten Jahres hatten sie mit namhaften Musikschaffenden das Projekt „Aids Aid – KÜNSTLER helfen HELFEN“ ausgeheckt. Erstes Ziel war die Produktion einer Benefiz-Single, die – ähnlich wie 1985 „Nackt im Wind“ der Band für Afrika – gemeinsam komponiert, getextet und interpretiert werden sollte.

Außerdem waren eine LP mit eben dieser Single und bereits existierenden Titeln der beteiligten Sänger und Musiker, sowie eine Fernseh-Gala und ein Video-Clip geplant.

Ab Ende Oktober 1987 traf man sich (mal mehr, mal weniger zahlreich) etwa alle 14 Tage, um über Titel und genaues Vorgehen zu diskutieren. Beteiligt waren unter anderem Ulla Meinecke, Manfred Maurenbrecher, Rita Zampano, Marianne Rosenberg, Marianne Enzensberger, Edo Zanki, Veronika Fischer. Kalkowski. Klaus Hoffmann, die Ärzte, die DDR-Band Silly, Rio Reiser etc. (Grundsätzlich interessiert äußerten sich darüber hinaus Leute wie Jennifer Rush, Nena, Helen Schneider, Falco. Anne Haigis, Udo Lindenberg, George Kranz, Ina Detcr, Stephan Waggershausen, Clowns & Helden, Tote Hosen, Einstürzende Neubauten und und und.) „Da haben alle viele, schöne, große, bunte Reden geschwungen“, erinnert sich Konzack, „aber konkret kam nie was dabei heraus. Man hat sich nur auf Formalien geeinigt.“

Immerhin. Einig war man sich, daß die noch einzuspielenden Gelder nicht etwa Frau Süßmuth, sondern den Aids-Betroffenen selbst zugute kommen sollten: im Bereich der Rechtshilfe, in direkter Betroffenenhilfe und in Bezug auf kritische Aufklärung. Bei der Verteilung wollte man mit der Stiftung „Positiv leben“ zusammenarbeiten.

Soweit kam es allerdings gar nicht erst, denn schon die Suche nach einem geeigneten Song gestaltete sich wesentlich schwieriger als erwartet. Nach einem Monat lagen zwei verschiedene Vorschläge von Ärzte-Bela und Kalkowski auf dem Tisch: „Die fanden dann aber wieder alle nicht toll“, faßt Conny Konzack die Reaktionen zusammen. Edo Zanki, des langen Diskutierens überdrüssig, schnappte sich die beiden Lieder und machte in seinem Studio aus zwei Nummern eine dritte, die allen Beteiligten Mitte Dezember in einer deutschen („Du das kann gefährlich sein“) und einer englischen Fassung („Panic Freeze“) vorlag.

Nun schieden sich die Geister endgültig: Während die einen meinten, mit dem Song (nach einigen TextÄnderungen) leben zu können, fanden ihn andere schlicht indiskutabel.

„Die Nummer war ein Kompromiß und sie klang wie ein Kompromiß“, beschreibt Alphavilles Marian Gold sein Hör-Erlebnis. „Ich verstehe auch nicht, warum das hier nicht laufen kann wie in England oder Amerika, wo renommierte Künstler wirklich gute Nummern für Benefiz-Zwecke freigeben; Leute wie Midge Ure/Bob Geletof („Do They Know It’s Christmas“) oder Michael Jackson („We Are The World“). In Deutschland hat man immer den Eindruck, daß zu so einem Anlaß Kompositionen herausgeholt werden, die seil Jahren in Schubladen herumliegen und den Künstlern selbst nicht so recht gefallen. „

Um sich nicht dem eigenen Vorwurf auszusetzen, brachte Marian einen eigenen Vorschlag ins Spiel: den Song „Romeo“ – nicht aus der Schublade und an sich zur eigenen Veröffentlichung gedacht. Außerdem standen verschiedene Ideen zu Cover-Versionen im Raum: Schon im November hatte Konstantin Wecker eine neue Version von „Kann den Liebe Sünde sein?“ angeregt, Romy Haag schlug den noch themenbezogeneren Evergreen „Sympathy“ vor.

Im Fall der Neu-Aufnahme eines Klassikers hätte allerdings die Bundeszentraie für gesundheitliche Aufklärung nicht mehr mitgespielt, der es vor allem darum ging, „den Vorbildcharakter der Musiker zu nutzen, um die Diskussion über Aids ins Volk zu tragen“, wie Oberregierungsrat Manfred Brand das Anliegen seiner Dienststelle zusammenfaßt. Die staatlichen Gesundheitshüter wissen um die Schwierigkeiten, zum Thema Aids den rechten Ton zu treffen, und hofften, daß ihnen das Benefiz-Projekt ein bißchen Arbeit abnehmen würde. „Wir wollten, daß der Konflikt, in dem man sich seit Aids befindet, angesprochen wird – liedmäßig.“

Wo genau dieser Konflikt hegt, ob und wie man sich damit auseinandersetzt – das waren allerdings auch genau die Fragen, über die man sich auf den KÜNSTLER helfen HELFEN-Meetings beim besten Willen nicht einigen konnte. Ulla Meinecke: „Es geht nicht nur darum, daß man sich nicht einigen kann – es gehl manchmal auch darum, daß man sich nicht einigen will: Da sind einfach verschiedene Haltunven …“

Und nicht nur das. Da ist auch das „Nackt im Wind“-Gespenst, das deutschen Benefizern in der einen oder anderen Form immer noch im Nacken sitzt. Manager Jürgen Thiirnau riet seinen Künstlern (angesprochen worden waren Juliane Werding und Münchener Freiheit) von vorneherein von einer Beteiligung ab: „… vor allem wegen der schlechten Erfahrung mit der Band für Afrika. Die Organisation war chaotisch, zuviel Hickhack, es wurde zuviel Zeit verschwendet, und das Ergebnis war gleich Null.“

Außerdem hatte „Nackt im Wind“ extrem miese Presse-Reaktionen geerntet, und „da sind die Künstler oft ein bißchen zu sensibel: Einer schreibt was Böses, und schon sind sie für die nächsten34 Jahre verschreckt“, meint Bernd Reisig (Manager von Flatsch, Jocco Abendroth u.a.).

Ulla Meinecke formuliert noch wesentlich grundsätzlichere Bedenken:

„Zur Beschaffung von Geldern ist eine Benefiz-Platte deutscher Rock-Musiker der ungünstigste Weg – ganz einfach, weih nichts bringt. Es bringt kein Geld. Diese Dinger sind eher unpopulär und eine Garantie dafür.

Warum klappt so was eigentlich nie in Deutschland?

daß man überhaupt nichts auf die Beine kriegt. Warum klappt so was eigentlich nie in Deutschland?“

Warum klappt sowas dann in England und Amerika? Natürlich geht auch dort die Geburt von Benefiz-Projekten nicht ganz ohne Wehen ab (siehe „Sex, Aids & Rock ’n‘ Roll“, ME/Sounds 6/87), trotzdem scheinen angloamerikanische Künstler schneller bereit, persönliche Animositäten für den guten Zweck eine Weile zurückzustellen. Bei der Gründlichkeit, mit der unser Volk der Dichter und Denker Probleme zerreden kann, war vielleicht auch das Spektrum der an KÜNSTLER helfen HELFEN-Beteiligten zu weit gewählt. „In England stellen sich ja auch nicht die Punker von Exploited mit Boy George zusammen ins Studio“, erklärt Klaus Fabian vom Bremer Weser-Label (Mimmis, Goldene Zitronen).

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ist jedenfalls nach wie vor bereit, sich an der Finanzierung einer solchen Platte zu beteiligen („wenn der Text akzeptabel ist“, was immer das heißt) – und Ulla Meinecke verspricht: „Die Diskussion ist noch nicht abgeschlossen.“ Hoffentlich.