Als die Helden fliegen lernten


Eine Historie zu 75 Jahren Superhelden-Filmen.

Deadpool im ersten Trailer zum gleichnamigen Superhelden-Film
Deadpool

Und dann kam Tim Burton

Auch im Kino fand diese Entwicklung schnell ihre Entsprechung. Tim Burtons „Batman“ zeigte sich als popkulturelles Amalgam der 50-jährigen Geschichte der Figur: düster und brutal wie die Graphic Novels der neuen Autorengeneration, visuelle Motive des Art Decor, des Film noir und des Deutschen Expressionismus von Fritz Lang und Robert Wiene aufgreifend, die Mythologie der Reihe im zentralen Konflikt zwischen Batman und dem Joker destillierend. Trotz anfänglicher Bedenken der Fans – Komödiendarsteller Michael Keaton als Batman schien vielen undenkbar – war Burtons Interpretation des Dunklen Ritters wie schon die Kinorückkehr Supermans zehn Jahre zuvor ein voller Erfolg. Und ebenso wie sein Kollege aus Metropolis stolperte Batman in den folgenden Jahren über ähnliche Fallstricke – nach zwei gelungenen ersten Teilen verlor die Reihe mit „Batman Forever“ (1995) und „Batman & Robin“ (1997) an erzählerischem Fokus.

Spider-Man
Spider-Man

Mit Burtons Batman als Beweis für die neue Reife der Superhelden-Filme, mit düsteren Antihelden und komplexen Geschichten in den Comicheften und Graphic Novels und mit den Möglichkeiten, die Fan- tasiewelten aus den Vorlagen dank neuer Spezialeffekttechnologie in nie gesehener Qualität entstehen zu lassen, war das Genre neu belebt worden. Familientaugliche Unterhaltung wie „The Rocketeer“, reaktivierte Golden-Age-Charaktere wie „The Shadow“ und „The Phantom“, Effekt-Orgien wie „The Mask“, Indie-Comicfiguren wie „Tank Girl“ und „Judge Dredd“, Antihelden wie „The Crow“ und „Spawn“ folgten in den Jahren nach „Batman“. Die Serie „Lois & Clark“ über die romantische Beziehung zwischen Superman und Reporterin Lois Lane sorgte zu Beginn der 90er-Jahre für großartige Einschaltquoten, Batman und seine Kollegen kehrten bei DC als Animationsserien zurück, Marvel entließ Spider-Man und die X-Men erneut als Zeichentrickserien ins Fernsehen. Dennoch waren die 90er-Jahre und das erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends noch eine Phase der Suche nach einer Stimme.

Klassische Superhelden von DC und Marvel waren zu bekannten popkulturellen Marken gewachsen, neuere Helden divsersifizierten das Portfolio an Figuren, und die Lust des Publikums am visuellen Spektakel des Blockbusterkinos schien ungebrochen. Die „X-Men“-Trilogie und die „Spider-Man“-Filme legten neue Messlatten, Filmemacher wie Ang Lee und M. Night Shyamalan lieferten mit „Hulk“ und „Unbreakable“ neue Perspektiven auf das Genre, und auch Superhelden aus der zweiten Reihe bekamen im Kino eine Chance. Auf der Suche nach Geschichten und wiedererkennbaren Identifikationsfiguren mit vorinstallierter Fangemeinde war Hollywood bei den Superhelden fündig geworden.

Adaptionen zwischen purem Eskapismus und vorsichtiger Dekonstruktion

Viele zeigten sich dennoch enttäuscht von den Adaptionen: Egal ob „Catwoman“ mit Halle Berry, die Rückkehr von DCs Aushängeschild in „Superman Returns“ oder die Marvel-Verfilmungen „Daredevil“ und „Elektra“ – in den Augen vieler Fans waren das nicht die Filme, die sie sich erhofft hatten. Die technische Entwicklung mit CGI (Computer Generated Imagery) machten das zuvor noch Unglaubliche zunehmend gewöhnlich, erzählerische Konventionen engten das Genre ein. Obwohl innerhalb der zwei Jahrzehnte seit Burtons „Batman“ knapp 70 amerikanische Superhelden-Filme das Licht der Kinosäle erblickten, schien das Genre auf der Stelle zu treten: Die Diversifizierung unter den Superhelden hatte neue Nischen geschaffen und auch den nicht in den Comicvorlagen bewanderten Zuschauer mit Superhelden in Berührung gebracht – doch noch schienen die Adaptionen zwischen purem Eskapismus und vorsichtiger Dekonstruktion gefangen.

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Der Richtungswechsel, der das Superheldengenre zur bis heute treibenden Kraft des Blockbusterkinos macht, kam im Sommer des Jahres 2008. Bei Marvel hatte man sich dazu entschlossen, ab sofort seine Figuren nicht mehr als Lizenz an die großen Studios zu vergeben. Man wollte selbst die kreative Kontrolle über die Filme behalten und selbst bestimmen, in welcher Tonalität und mit welchen Darstellern der umfangreiche fiktive Kosmos ausgelotete werden sollte. Mit einer neu gegründeten Filmabteilung, die sich – geleitet durch ein Gremium aus Comicautoren und mit Comics vertrauten Regisseuren – den Adaptionen widmete, wollte man den Geist der Vorlagen ins Kino übertragen.

Reine CGI-Schauwerte reichten nicht mehr aus, man wollte eine erzählerische Revolution erzwingen. Jon Favreaus „Iron Man“ (2008) verortete Superheldenabenteuer plötzlich in unserer Welt: Waffenlieferant Tony Stark wird in Afghanistan von Terroristen entführt, die politische Post-9/11-Realität wurde zur Kulisse für die Comichelden. Zudem erhob man eine der maßgeblichen Methoden, die Stan Lee Mitte der Sechziger eingeführt hatte, zum Paradigma: Alle zukünftigen Marvel-Filme sollten in einem gemeinsamen fiktiven Universum, dem Marvel Cinematic Universe, spielen. Mit 23 Filmen bis 2019 und acht Serien wie
„Agents Of S.H.I.E.L.D.“, „Agent Carter“ und „Jessica Jones“ sollten sämtliche Facetten des Marvel-Universums ausgeleuchtet werden. Mit neuer erzählerischer Reife, deren Vorgaben in den Geschichten einer dritten Generation von Autoren liegen, der Besetzung der Figuren mit weltbekannten Hollywood-Stars und der durch die 3D-Technologie geförderten Rückkehr zum Spektakel des Event-Kinos avancierten Marvel-Filme zur dominierenden Macht des Blockbusterkinos.

Die Zukunft: „Suicide Squad“ und „Justice League“

Jared Leto übernimmt die Rolle des Jokers vom verstorbenen Heath Ledger.
Jared Leto übernimmt die Rolle des Jokers vom verstorbenen Heath Ledger.

Bei DC war man von derartig umfassenden Plänen noch ein Stück weit entfernt. Christopher Nolans düstere Batman-Trilogie, deren erster Teil 2005 in die Kinos kam, setzte ebenfalls auf Realismus und psychologisch wie emotional glaubhafte Figuren. Zudem zeigte sie, dass Autoren und Regisseur die Figur des getriebenen Rächers und seiner Gegenspieler verstanden. DC-Serien wie „The Flash“, „Arrow“ und „DCs Legends Of Tomorrow“ sind die Vertreter der weniger ernsten Perspektive auf Superhelden: Vergleichsweise leichtfüßiger und mit einem Augenzwinkern versehen, fangen sie den Geist der Comic-Vorlagen ein. Der kommerzielle Erfolg des Marvel Cinematic Universe brachte DC jedoch unter Zugzwang. Die Verknüpfung der großen Titel zu einem in sich geschlossenen fiktiven Universum wurde mit dem Aufeinandertreffen der beiden DC-Flaggschiffe „Batman“ und „Superman“ eingeläutet. Wenn in diesem Sommer Will Smith, Jared Leto und Margot Robbie als Team aus Bösewichten in „Suicide Squad“ antreten, „Wonder Woman“ im nächsten Jahr den DC-Kosmos erweitert und sich später im Jahr in „The Justice League Part One“ mit Batman und Superman zum Heldenteam vereint, 2018 Jason Momoa als „Aquaman“ und Ezra Miller als „The Flash“ in eigenständigen Filmen zu sehen sind, scheint DC dem Wunsch von Fans und Publikum nach jährlich erscheinenden Updates aus den Superheldenuniversen nachzukommen.

Während gleichzeitig Filme wie „Super“, „American Hero“, „Chronicle“, „Kick-Ass“ oder „Birdman“ mit den Konventionen und Klischees des Superheldengenres spielen und dessen Vokabular nutzen, um neue Perspektiven auf die kostümierten Übermenschen und Halbgötter zu bieten, scheint es keinen Zweifel mehr zu geben, dass Superhelden endgültig zu den Mythen des modernen Blockbusterkinos aufgestiegen sind. Die heutigen Kreativen und Entscheidungsträger hinter den Superhelden-Filmen sind aufgewachsen mit den Abenteuern klassischer Figuren wie Batman und Spider-Man oder den gebrochenen Antihelden der späten 80er- und 90er-Jahre, in denen Comics zur anerkannten Literaturform wurden.

Zum Leben erweckt mit dem Durchbruch der CGI-Spezialeffekte, mit Dimension versehen durch eine Evolution hin zu glaubwürdigen und komplexen Figuren, diskutiert von Fans, die in Social-Media-Kanälen Gleichgesinnte finden, ins unendliche fortgeschrieben durch die „Fortsetzung folgt“-Natur der großen fiktiven Universen und stets genährt durch das uralte menschliche Bedürfnis nach Heldengeschichten scheint es, als würden Superhelden-Filme auf absehbare Zeit die Kinostartlisten der nächsten Jahre dominieren.

Dieser Text erschien zuerst im aktuellen me.MOVIES-Magazin. Eine Übersicht über alle Themen findet Ihr hier:

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