Antony & The Johnsons, Berlin, Volksbühne


Alle sind verliebt in Antony. Und erstarren in Ehrfurcht.

Da darf man ruhig noch mal hinschauen. Zum Abschluß des Vorprogramms bittet Kevin Barker alias Currituck Co. für den Song „Run Away From The Sun“ Anthony Hegarty auf die Bühne. Dieser schleicht – von Barker zunächst unbemerkt – von links heran. Und so richtig fällt er auch nicht auf. Dunkle Jeans, verfilzter grauer Pulli, aus dessen großem V-Ausschnitt ein T-Shirt herausblitzt. Die schwarzen Haare hängen unfrisiert schulterlang, keine Isichtbare] Schminke, und überhaupt ist Hegarty höchstens aufgrund seiner leichten Körperfülle imposant. Auf den ersten Blick auf jeden Fall kein prätentiöser Brillen-Onkel wie Elton John, kein schillernder „Gay Messiah“ oder blond gefärbtes Jungenmädchen, wie man vielleicht hätte erwarten können. Aber vielleicht verwandelt sich Anthony Hegarty ja noch in die Kunstfigur Antony, nach der Pause.

Er tut es nicht. Sondern setzt sich im kalten blauen Bühnenlicht auf seinen Klavierschemel – von dem er das ganze Konzert lang nicht aufstehen wird – und spielt „My Lady Story“. Und damit beginnt ein kammermusikalischer (in der Besetzung Drums, Gitarre, Violine. Cello, teilweise Akkordeonl Abend, der das Publikum größtenteils sprachlos auf seinen Sitzen verharren läßt. Denn jenseits aller Gender-/Queer-Diskurse, der immer wiederkehrenden Boy-/Girl-Wortspielereien und der..gewöhnungsbedürftigen Stimme Antonys gehören die Songs seines zweiten Albums i AM A bird now zu den schönsten des Popjahres 2005. wirken wie z.B. „You Are My Sister“ wie lang verschollene, kindlich unschuldige Traditionais. Die Ehrfucht der Zuschauer scheint fast mit Händen greifbar; tosender Applaus wird zwar nach den Songs gespendet, aber selbst Anlonys charmante Nachfrage nach dem Befinden der Zuschauer verhallt unbeantwortet. Gleiches gilt zum Teil auf der Bühne, vor allem der Bassist liest bedächtig-traurig bis verliebt dreinblickend jede Silbe von Antonys Lippen ab, aber auch der Rest der Band blickt immer wieder erwartungfroh zum linken Bühnenrand. Dort sitzt Antony und macht weder einen Hehl aus seinen Gefühlen noch große Entertainergesten. Arrangiert trotzdem bei der ersten Zugabe das anrührendste und unpeinlichste Publikumsmitsingspiel aller Zeiten, in dem er Männer und Frauen in unterschiedlichen Tontagen summen läßt und darüber einen Song improvisiert. Und beendet sein Set mit „Candy Says“, dem Song, mit dem er bereits bei seinen Lou-Reed-Gastauftritten mit Lob und IPublikums-lDank überschüttet wurde. Auch hier tritt er unter standmg ovations ab. Jetzt wirkt er doch fast wie ein schüchternes Mädchen. Und das Publikum schaut hin. Verliebt.

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