Billy Idol: RoboKopp


Ein Buch brachte den Stein ins Rollen. "Neuromancer" von SF-Autor William Gibson machte aus dem welken Rebellen wieder einen properen Punk. Einen Cyber-Punk, um genau zu sein, denn die kybernetische Revolution hat es Billy Idol angetan. Ob er die Lektüre aber wirklich verdaut hat, steht auf einem anderen Blatt...

Das blonde Stachelhaar steht gewohnt aufmüpfig zu Berge, die geballte Faust bewegt sich gen Tischplatte, seine Augen fühlt man hinter den Sonnengläsern funkeln. Kein Zweifel: Der Mann kocht. „Chaos, alles Chaos, die Welt befindet sich in einer Situation, wo wir uns weiterentwickeln müssen oder vor die Hunde gehen. Wenn es einen verdammten Gott gibt – warum läßt er all diese Kriege passieren?“

Billy Idol hat gesprochen. Laut und dröhnend, die Botschaft mit seinem ganzen Körper unterstützend. Billy mag die dramatische Geste, den gestreckten Mittelfinger, der ihm jüngst – im Zusammenspiel mit einem krachenden „Heil Hitler“ und zusammengeschlagenen Hacken – bei der Paßkontrolle am Münchener Flughafen mal wieder eine Festnahme bescherte. Die Beamtenbeleidigung in Höhe von 1600 Mark blätterte Idol cash auf den Tisch. Und verschwand wieder nach L.A.: „Von Europa hob ich die Schnauze voll. „

Billy Idol ist glücklich: Er darf wieder wütend sein. Fast so wütend wie dereinst als Wortführer der Punk-Combo Generation X, mit der er sich von 1976 bis 1982 seinen Frust von der Seele bis in die Charts schrie. Dann folgten die fetten Jahre: „White Wedding“ (83), „Eyes Without A Face“ und „Flesh For Fantasy“ (’84), Billy Idol als Cover-Star des „Rolling Stone“ (’85). Dazwischen diverse Drogen-Skandale: Heroin, Crack, Kokain. Ein Motorrad-Unfall in Hollywood kostet ihn 1990 beinahe das Leben. Neun Monate danach steht er mit Krückstock wieder auf der Bühne. Die nächste Meldung: Überdosis Kokain, der Notarzt rettet ihm das Leben.

Zweimal war Billy Idol schon klinisch tot, jetzt drückt das zähnefletschende Machomonster wieder aufs Gaspedal. Die neue CD ist gleichzeitig auch die neue Botschaft – und die lautet: „Cyberpunk“.

Die erste Begegnung mit den kybernetischen Dimensionen hatte Idol

1988 bei der Lektüre von William Gibsons Kult-Science-Fiction-Roman „Neuromancer“, dem er nun einen Titel auf der neuen CD gewidmet hat. 1990, nach seinem schweren Unfall, so geht die Fama süffig weiter, war es Punkrock-Journalist Legs McNeill, der dem Patienten Idol das Wort „Cyberpunk“ auf den elektronischen Muskelstimulator am Bein schrieb.

Seitdem ist Billy 150-prozentig auf dem „Cyberpunk“-Trip: „Die Idee von Cyberpunk heißt: Kontrolliert die Mächtigen dieser Welt mit der fortschrittlichsten Computer-Technologie. Macht Informationen – den wichtigsten Rohstoff des 20. Jahrhunderts – für jeden unzensiert zugänglich. Mit einem Apple Mac sind wir die Anarchisten des Computer-Zeitalters.“

Billy grunzt sichtlich zufrieden. Sein neues Spielfeld läßt ihm alle Freiheit, auch im stattlichen Pop-Alter von 37 Jahren den Revoluzzer und Jungspund zu präsentieren. Nicht, daß er es nicht ernst meint damit: Die Faszination ist echt, kann aber – diesen Eindruck wird man nicht los – übermorgen schon von einer anderen hippen Idee abgelöst werden.

Billy Idol liebt das Chaos. „Am zweiten Tag, als wir ‚Shock To The System‘ aufnahmen, brachen in Los Angeles die Rassenunruhen aus. Ich guckte aus dem Fenster und sah brennende Asche vom Himmel fallen. Es sah aus, als würden sie den Golfkrieg nachspielen.“

Er macht eine bedeutungsvolle Pause. „Wir saßen da und kapierten: Mit der neuen Computer-Technik können wir sofort reagieren. Dann habe ich direkt ins Mikrofon gebrüllt. Ich war wild vor Aufregung: Das da unten war meine Stadt, die brannte.“

Der Mann ist eine leibhaftige Comic-Figur, ein 16-Bit-Computer-Game-Held, ein schnaufender, röhrender Schreihals in Designer-Guerilla-Anzug, oben mit Klunkern behangen, unten die Springerstiefel. Und was Super Mario in „Land 2“ kann, hat Billy an jedem Interview-Tisch der Welt drauf: Er spuckt Feuer und Flamme. Seit seiner Cyberpunk-Erleuchtung ist Idol Mitglied des „Well“, einer der größten amerikanischen Hacker-Vereinigungen. In der Cyberpunk-Bewegung sieht er die „Do It Yourself“-Ethik der Punk-Revolution mit High-Tech-Know-How genial verquickt:

„Uuuuaaah, das hat den Drive von Techno und klingt roh und rauh wie Rockmusik: die Waffe gegen Autorität. In militärischen Komplexen werden längst virtuelle Kriege gespielt. Gebt die Computer in die Hände von Künstlern! Nutzt sie für die Expansion unseres Denkens.“

Und weil die Computer-Diskette das zentrale Medium der kybernetischen Anarchisten ist, hat Billy sich ein ganz besonderes Extra ausgedacht: Zur CD kommt in limitierter Auflage eine Diskette in den Handel, auf der alle Songtexte (mit Kommentaren), eine Biographie, Cyberpunk-Adressen, ein paar musikalische Happen aus der CD und die Stimme seines fünfjährigen Sohnes zu hören sind. Alles schön bunt und benutzerfreundlich.

Von den Segnungen des High-Tech-Aufnahmeverfahrens spürt man auf der CD allerdings herzlich wenig. Kein neues Rock-Dance-Ding, keine Techno-Punk- oder Techno-Pop-Fusionen, wie man sie etwa von Skinny Puppy oder den Shamen kennt. Idol spielt seinen altbackenen Hau-Druff-Rock, bereichert um einige Sounds aus dem Trance-Reich, aufgemotzt durch den einen oder anderen Techno-Beat. Summa summarum: Der poppigste, der musikalisch aber auch langweiligste Billy Idol seit Johnny-Rotten-Gedenken.

Für die visuelle Umsetzung seines Albums engagierte Idol Brett Leonard, Regisseur des Virtual-Reality-Kultfilms „Der Rasenmähermann“. Von Patti Smith borgte er sich die Zeile „Jesus died for somebody’s sins, but not mine“. „Ich zahle Patti damit ein bißchen zurück, was sie für mich getan hat. Ihre Platte ‚Horses‘ hat mir 1975 das Leben gerettet. Ich war schon soweit, nur noch klassische Musik zu hören.“

Für den nie falschen philosophischen Überbau sorgt schließlich eine berühmte Stimme aus dem Off im Intro von „Venus“: Timothy Leary, 60er-Jahre Theorie-Guru in Sachen Bewußtseinserweiterung, hat Cyberpunk offiziell zur „dritten Gegenrevolution“ erklärt und stattete Billy gleich einen Besuch am Computer ab. Leary interviewte Stachelkopf Idol dann auch noch für den US-Fernsehsender ABC, seitdem schwimmt man auf der gleichen Wellenlänge. „Hähä“, lacht Billy: „Idol und Leary, wer hätte das einmal prophezeit? Auf jeden Fall eine ganz schön brisante Allianz.“