Kritik

„Biohackers“ (Staffel 1) auf Netflix: Viel Fiction, nicht immer so viel Science


Wenn Wissenschaftler*innen Gott spielen: Die neue deutsche Netflix-Produktion will uns mit vielen Thrill-Momenten und romantischer Garnierung mehr über Biohacking erzählen. Damit wir auch alles richtig verstehen, führt uns Erstie-Studentin Mia durch eine Handlung, die zwar aufregend ist, aber noch lange nicht mit Formaten wie „Dark“ oder „How to Sell Drugs Online (Fast)“ mithalten kann. Hier kommt unsere Serien-Kritik.

Schon der Titel verrät: Diese Serie scheint eine brandaktuelle Thematik aufzugreifen – den technischen Eingriff („Hacking“) in unsere Umwelt. Wer also genug hat vom Manipulieren von Computersystemen (wie zum Beispiel in „Mr. Robot“, „Your Are Wanted“) oder von Darknet-Abenteuern („How to Sell Drugs Online (Fast)“), der darf sich mit dem Hacken von lebendigen Organismen auf eine neue Herausforderung freuen. Vom niedlichen, musizierenden Pflanzenpiano über leuchtende Mäuse bis hin zu Genviren ist die Bandbreite riesig. Gleichzeitig bleibt es eine gefährliche Gratwanderung zwischen Wissenschaft und Ethik. Unbestreitbar bleibt die Faszination. Genau jene nutzt nun die neue Serie „Biohackers“ für sich. Mehr noch: Vor allem deshalb gelingt sie. Zumindest meist.

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Doch wie ein sperriges Science-Thema in eine Serie verpacken ohne den Unterhaltungswert durch Fachsimpelei und träge Erinnerungen an den Laborunterricht von damals zu mindern? Regisseur und Autor Christian Ditter („Vorstadtkrokodile“, „How to be Single“, „Love, Rosie“), der hier seine erste Serienproduktion präsentiert, hat dafür einen einfachen, doch stimmigen Erzählstrang gewählt. Er zeigt uns Liebe, Freundschaft und Rache inmitten von Studiumsanfangsromantik und eiskalten Karrierezielen.

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„Biohackers“ erzählt die Geschichte zweier Frauen. Aber speziell Mia (Luna Wedler) steht im Fokus. Sie ist Medizinstudentin im ersten Semester. An der Universität Freiburg lernt sie die Star-Dozentin Prof. Tanja Lorenz (Jessica Schwarz) kennen, die sich im Laufe der Serie jedoch als ihre Gegenspielerin entpuppt. Sie scheint sogar Teil Mias Vergangenheit zu sein, mit der sich die Studienanfängerin immer noch sehr schwer tut. Denn ihr steht nicht der Sinn nach Klausuren und Partys am Wochenende, viel lieber will sie den plötzlichen Tod ihres Bruders aufklären. Dafür begibt sie sich schon mal in die Grauzonen der Wissenschaft, bis hin zu illegalen Gen-Experimenten. An dieser Stelle steht ihr ihr Date Jasper (Adrian Julius Tillmann) zur Seite, der „Breaking Bad“-mäßig ein verstecktes Versuchslabor unterhält.

Wissenschaft mit Thrill

Die sechsteilige Science-Fiction-Serie beginnt wie ein Thriller: Idyllische Berglandschaft, ein ICE von Freiburg nach Berlin – und plötzlich kippen mehrere Fahrgäste nacheinander um. Bewusstlos liegen sie auf dem Boden des Zugabteils. Der Einstieg ist spannend, doch genau diese Szene führte auch zum verschobenen Starttermin der Netflix-Serie. Eigentlich sollte „Biohackers“ bereits Ende April 2020 starten, doch durch den Beginn der Corona-Pandemie und der akuten Verunsicherung in der Bevölkerung entschieden sich Netflix und die Produzent*innen gemeinsam für einen neuen, späteren Starttermin. In der offiziellen Pressemitteilung von der Streamingplattform hieß es, dass die Anfangsszene „auf manche Zuschauer zum damaligen Zeitpunkt hätte verstörend wirken können“. Denn die Zugsituation bleibt vorerst ungeklärt und wird gleichzeitig zum tragenden Motiv der gesamten Staffel.

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Immer weitere Schlüsselszenen eines sich ausbreitenden Virus-Phänomens werden in den Folgen danach eingespielt und geben der Story so einen zusätzlichen Spannungsbogen. Doch vor allem Jessica Schwarz polarisiert in ihrer Rolle und der sichtbaren Erfahrung im Thriller-Genre („Das Parfum“, „Die Buddenbrooks“). Die renommierte Schauspielerin (zuletzt zu sehen in „Das perfekte Geheimnis“ und „Narziss und Goldmund“) lächelt stets gekonnt finster in die Kamera und verkörpert authentisch die Rolle der karrierefixierten Professorin. Und wenn sie als Star-Dozentin Lorenz in den Hörsaal blickt und ruft: „Synthetische Biologie macht uns von Geschöpfen zu Schöpfern. Wir machen Gott obsolet!“, dann hallen diese Worte bis auf die Couch nach Hause. Die 21-jährige Newcomerin Luna Wedler (zuletzt zu sehen in „Das schönste Mädchen der Welt“) hingegen überzeugt in ihrer Rolle als Mia dadurch, dass sie durch ihre Motive und Charakterentwicklung immer wieder Gedankenspiele beim Zuschauer*in in Gang setzt. Wie tief kann Schmerz sitzen, dass ein ganzes Leben darum aufgebaut wird? Ab wann wird Rache zum Gift für einen selbst?   

Spannend, aber bitte stets heiter!

So wird auch die Betrachter*innen immer wieder mal dazu bewegt, die eigenen moralischen und ethischen Grundsätze zu überdenken oder zumindest in Frage zu stellen. Vor allem die Thematik rund um genetische Erkrankungen und ob diese durch genetische Optimierung verringert oder gar verhindert werden sollten, bietet ordentlich Diskussionsstoff. So schafft „Biohackers“ ähnlich wie die zuletzt erfolgreiche deutsche Netflix-Eigenproduktion „How to Sell Drugs Online (Fast)“ den Spagat zwischen leichter Unterhaltung und Nerd-Thematik. Wer aber auf tiefgreifende, wissenschaftliche Einblicke und genetische Mind-Fuck-Momente hofft, wie beispielsweise aus dem HBO-Epos „Westworld“ bekannt, der sollte seine Erwartungen zurückschrauben. Die immer wieder auftauchenden Fragen rund um Biohacking, Bodyhacking und synthetischer Biologie regen zwar an, doch strengen nicht an.

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Mehr Fiction als Science?

Dafür sorgen auch die seichten Erzählbausteine der Serie. Erstie-Party ohne Bier-Pong, dafür mit Silent-Party-Kophörern in greller Neonfarbenromantik und Chlorin-E-8, womit Tiefseefische im Dunkeln sehen, statt die typische Ecstasy-Pille. Das Studentenleben ist ein Tick zu überzogen dargestellt. Viel „Fiction“ mit noch mehr „Science“. So wohnen in Mias neuer WG natürlich ein wandelndes Wikipedia-Lexikon, das die medizinischen Fachbegriffe im Sekundentakt raussprudeln lässt, der „Freak“, der sich zu Mias Glück immer selbst zum Übungspatienten für fragwürdige Selbstexperimente macht und natürlich noch die Partykanone, die die anderen daran erinnert, auch mal wieder tanzen zu gehen statt nur zu pauken.

Ein Glück wird jedoch die Wissenschaft hinter Biohacking ernsthaft dargestellt. Wäre dies nicht der Fall, wäre die Überspitzheit von Setting und Charakteren mehr peinlich als unterhaltsam. An deutsche Netflix-Vorreiter wie „Dark“ oder „How to Sell Drugs Online (Fast)“ kommt „Biohackers“ zwar nicht heran, bietet jedoch durch hochwertige Produktion und schauspielerische Leistung ein solides und stimmiges Streamingerlebnis mit naturwissenschaftlichem Ambiente.

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Staffel 1 von „Biohackers“ mit Luna Wedler und Jessica Schwarz ist am 20. August 2020 bei Netflix gestartet. Sie umfasst 6 Folgen, die 45 Minuten lang und alle mit einmal erschienen sind. Eine zweite Staffel ist noch nicht bestätigt.

Netflix, Marco Nagel
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