Bon Jovi


Vier Jahre Schaffenspause wurden ihnen nicht gegönnt: Kaum einere andere Band mußte so oft aus den Zeitungen erfahren, daß sie sich aufgelöst habe. Doch was sich auflöste, waren die die Gerüchte - das neue Album "Keep The Faith" zeigt eine hauteng verschweißte Band. Letzte Zweifel an der Männerfreundschaft zwischen Sänger Jon und Gitarrist Richte Sambora zerstreuen die beiden Bon Jovis im Gespräch mit ME/Sounds-Mitarbeiter Stefan Nink.

ME/SOUNDS: „Keep The Faith“ – ist das ein programmatischer Titel? Hört sich fast so an, ab hättet ihr während der langen Pause den Glauben an euch selbst verloren…

JON: Ganz so schlimm war’s nicht. Aber nach der „New Jersey“-Tour 1988 haben wir dringend eine Pause gebraucht. Viermal nacheinander die Tour-Album-Tour-Album-Mühle, acht Jahre ununterbrochen unter Streß – wir waren kaputt. Am Ende war nicht mehr viel übrig von uns. Und schon gar nichts mehr, über das wir hätten schreiben und singen können. Und von diesem Moment an werden deine Songs oberflächlich und nichtssagend.

ME/SOUNDS: Hattest du dich deshalb mit Richie in die Haare bekommen?

JON: Die englische Boulevard-Presse hat das damals ganz schön hochgespielt – als ob wir einen Streit inszeniert hätten, um dann eine Pause einlegen zu können! Schwachsinn! Wenn man acht Jahre zusammen unterwegs ist und mit der Band mehr Zeit als mit der eigenen Familie verbringt, kommt eben irgendwann mal ein Punkt, an dem man sich nicht mehr sehen kann…

ME/SOUNDS: Also nichts persönliches …?

RICHIE: Wir gingen uns alle auf den Nerv. Das hatte aber nichts mit dieser oder jener Person zu tun – wir konnten uns nur gegenseitig nicht mehr riechen.

ME/SOUNDS: Ihr habt in der Zwischenzeit beide ein Solo-Album aufgenommen – waren das Trotzreaktionen, mit denen ihr dem anderen zeigen wolltet: Siehst du, es geht auch ohne Dich?

JON: Nein, bestimmt nicht. Als die „Young Guns“-Sache anlief, hatte ich eigentlich überhaupt keine Lust, irgendetwas zu machen – so wie unser Drummer: Tico hat ein Jahr lang keinen Rock mehr gehört und nur noch an seinen Oldtimern gebastelt. Aber dann kam das „Young Guns“-Angebot. Mich hat die Möglichkeit gereizt, einmal herumtüfteln und experimentieren zu können – hat mir, glaub‘ ich, musikalisch auch ganz schön weitergeholfen.

RICHIE: Bei mir kam das Solo-Projekt zu einem Zeitpunkt, wo es verdammt notwendig für mich war. Ich war völlig ausgebrannt, und während der Arbeit zu meinem Album hab ich mich gewissermaßen erholt …

ME/SOUNDS: Du hast immerhin 300.000 Stück verkauft – hast du daran gedacht, auf eigene Faust weiterzumachen und nicht mehr bloß Gitarrist in einer Hand zu sein, die den Namen ihres Sänger trägt?

RICHIE: Nein. nie. Natürlich ist es ein Privileg, so eine Solo-Platte machen zu können. Aber in einer Band wie Bon Jovi zu spielen ist auch eins. Also werden wir beide in diesem Sinne weitermachen. Was sollen wir auch tun? Uns hinsetzen und sagen: Jetzt haben wir zehn Millionen Platten verkauft, also laßt uns in Rente gehen? Und Bon Jovi heißt nun mal Bon Jovi und nicht Richie Sambora – würde sich auch wesentlich schlechter anhören, oder? (lacht)

ME/SOUNDS: Im Video zu „Young Guns II“ steht Jon auf einem Felsen irgendwo in der amerikanischen Wüste – habt ihr in den acht Jahren Touren und Produzieren eigentlich mal Frischluft geschnappt? Oder nur die Air Condition-Luft in Flughäfen und Konzerthallen und Hotelzimmern?

JON: (lacht) Nur Second-Hand-Luft! Aber ich habe Amerika in den letzten Jahren wiederentdeckt. Ich war früher einer von denen, die immer gesagt haben: Amerika hat keine Kultur – die kommt aus Europa. Wenn du Tradition willst, geh nach Asien – hier in Amerika findest du sie nicht. Aber damit lag ich falsch. Ich bin mit dem Motorrad kreuz und quer durch die Staaten gefahren und habe herausgefunden, daß es falsch war, so etwas zu behaupten. Ich weiß jetzt, daß da draußen genügend Kultur und Tradition ist – man muß sie nur suchen. Und man findet sie nicht auf dem New Yorker Flughafen oder in einem Fußballstadion, sondern in New Mexico oder Arizona oder in all den kleinen Orten überall im Land.

ME/SOUNDS: Hat diese Rebe das Album beeinflußt, Easy Rider?

JON: Sie hat zuerst einmal meine Persönlichkeit beeinflußt. Ich fühle mich jetzt einfach wohler, weil ich da draußen auf den Highways herausgefunden habe, was ich will und was ich nicht will. Deshalb hätte ich „Keep the Faith“ so, wie es jetzt ist, auch keinen Moment früher machen können. Ich mußte soweit sein, eigene Fehler zuzugeben – und das ist nicht einfach, wenn man ständig wegläuft.

Nimm „Dry County“ – das ist der Song, der das alles zusammenfaßt. Ich hab in Texas viele Leute kennengelernt, die glaubten, im Ölgeschäft schnell zum großen Geld zu kommen. Sie wollten einen Pott Gold, und alles, was sie am Ende hatten, war ein vollgepinkelter Nachttopf. Ich wollte auch einen Pott Gold – und nach all den Jahren hab ich mich auf einmal gefragt, ob sich das alles überhaupt lohnt – oder ob ich am Ende meines Lebens nicht auch bloß mit einem Nachttopf dastehen werde. Es war bei mir längst keine Frage des Geldes mehr – es ging nur noch darum, ob ich noch Spaß an meiner Musik hatte, ob ich wirklich ich selbst sein konnte. Das Album ist ein Bekenntnis, mein Bekenntnis zu mir selbst. Und mein Bekenntnis zu Amerika.

ME/SOUNDS: Was für einen Eindruck hast du von dem heutigen Amerika?

JON: Ich glaube, wir leben in der Zeit eines möglichen Wandels, und ich glaube auch, daß die meisten Amerikaner einen Wandel wollen. Mal sehen, wie sich Clinton halten wird. Auf jeden Fall wird er einen randvollen Terminplan haben …

ME/SOUNDS: Die Frau des Vize-Präsidenten, Tipper Gore, ist Amerikas Oberzensorin – seilt Jahren hetzt sie gegen angeblich jugendgefährdende Rockmusik…

RICHIE: Sie hält Gott sei Dank jetzt die Klappe. Scheint sich abgeregt zu haben. Clinton ist bestimmt ein Hoffnungsträger, aber es ist verdammt viel falsch gelaufen in Amerika, vor allem, was die Umwelt und die Wirtschaft angeht. Clinton ist jung, und ich glaube, er weiß, was unsere Generation bewegt. Ich denke, er wird sich für die Jugend einsetzen.

ME/SOUNDS: Glaubst du, daß Rockmusik heutzutage noch irgend etwas bewirken kann?

RICHIE: Rock ist eine der vielen Stimmen des Volkes! Wenn die Kids heute schon nicht mehr lesen wollen, dann muß man die Botschaften eben in die Songs packen. Wir sind bestimmt keine politische Band, aber wir verstehen uns schon als engagierte Rockmusiker. Da ist eine Menge Sozialkritisches in Jons Texten.

JON: Hast du von „Vote America!“ gehört? Das war eine Aktion, in der Musiker ihre Fans aufforderten, Wählen zu gehen. Und die Wahlbeteiligung ist drastisch gestiegen! Clinton ist clever – er war ständig auf MTV zu sehen. Das hat ihm mit Sicherheit jede Menge Stimmen eingebracht…

ME/SOUNDS: Ist der Album-Titel „Keep The Faith“ auch eine Aufforderung, an Amerika zu glauben?

JON: Ja. auch. In erster Linie aber an sich selbst.

ME/SOUNDS: Von „Dry County“ einmal abgesehen klingt das Album recht optimistisch… Und manchmal ganz anders ab die alten Bon Jon…

RICHIE: Du meinst „If I where your Mother“, nicht wahr? Da habe ich ziemlich rumexperimentiert und sechs oder sieben Gitarrensounds übereinandergelegt – deshalb klingt das so nach Psvchedelic …

ME/SOUNDS: Du klingst zum ersten Mal auch so, als hättest du dich Riff für Riff wohl gefühlt!

RICHIE: Hab ich! Bob Rock hat das Album produziert, und weil der selbst Gitarre spielt, gab’s immer jemanden, der gesagt hat: „Laß das Richie mal in Ruhe ausprobieren!‘ ‚Wir haben viel Zeit verwendet, um die richtigen Sounds zu finden, ungefähr doppelt so viel, wie bei den letzten Bon Jovi-Aufnahmen. Und ich habe jetzt auch eine Menge ausgedehnter Soli – da konnte ich mich richtig austoben …

Außerdem hat mir die Atmosphäre draußen im Little Mountain-Studio wieder unheimlich gut getan – man hat so dieses small town feeling. Wir haben da schon die beiden letzten Alben produziert. Es ist bestimmt kein großartiges Studio, aber mit Sicherheit ein gutes Studio mit einer großartigen Atmosphäre. Wir konnten da draußen wieder zu einer Band werden – in New York oder L.A. hätten sich ständig die Leute von der Record-Company eingemischt und alle paar Minuten hätte irgendwer hereingeschaut. Aber Vancouver ist so weit weg – wer uns dort besucht hat, der wollte uns wirklich sehen und nicht nur blöd quatschen.

ME/SOUNDS: Wieviel Whiskeys mußest du eigentlich trinken, um einen Song wie „Bed of Roses“ Scheiben zu können?

JON: (grinst) Ich hab’s in einem Hotel in L.A. geschrieben, in einer Zeit, die ich heute den „grauen Sommer“ nenne. Ich hab damals versucht, ganz tief in mich hineinzusehen und festzustellen, was aus dem Jon Bon Jovi geworden ist, den ich einmal kannte. Jeden Morgen bin ich aufgestanden und hab zu mir gesagt: Heute schreibst du einen Song. Oder versuchst es zumindest. Aber alles, was in dieser Zeit aus mir herauskam, hat sich angehört, als hätte es jemand aus mir herausgepreßt. Eines Abends saß ich so richtig „waisted and wounded“ an der Bar. als eine Hochzeitsgesellschaft ins Foyer kam. Irgendwer spielte den Hochzeitsmarsch auf einem Klavier, und als er fertig war, bin ich hinübergetorkelt und hab angefangen, rumzuklimpern. Muß ein tolles Bild gewesen sein: Ein sturzbetrunkener Rockstar sitzt am Klavier, hält die Flasche Wodka in der einen Hand und versucht mit der anderen, eine Melodie zu spielen… Die Scorpions waren im gleichen Hotel, und auf die Rückseite ihrer Minibar-Rechnung hab ich dann den Anfang von „Bed of Roses“ geschrieben…

ME/SOUNDS:… und dich am nächsten Morgen auch noch daran erinnert…

JON: Ich hatte einen grausamen Kater. Aber irgendwie hab ich dann den Zettel wieder aufgetrieben – und „Bed of Roses“ ist auf dem neuen Album.

ME/SOUNDS:  I want to lay you on a Bed of Roses, for tonight I sleep on a Bed of Nails“ – bist du in früheren Stücken jemals so persönlich gewesen?

JON: Vielleicht war ich das – zugegeben habe ich das aber nie. Ich wollte nie viel von mir zeigen, nicht zugeben, daß ich das bin, der da von sich singt. Auf dem „Young Guns“-Album zum Beispiel verkörpere ich Billy the Kid, und ich hab‘ immer geglaubt, ich spiele Billy the Kid, so wie ein Schauspieler eine Rolle spielt. Aber dann habe ich irgendwann gemerkt, daß ich mich die ganze Zeit nur hinter dieser Figur versteckt habe, daß es in Wirklichkeit um meinen Zorn, meine Trauer und meine Verzweiflung geht und nicht um irgendwelche Billys. Ich glaube, daß jeder ehrliche Autor ein Stück von sich selbst in seine Werke packt – und dieses Mal hab ich das auch zugegeben…

ME/SOUNDS: Bon Jovi ist Bon Jovi ist Bon Jovi – hängt die Form der Band von Jons Form ab?

JON: Ja, bestimmt. Oder zumindest ein bißchen. Die Musiker brauchen jemanden, der die Richtung angibt. Dann gibt jeder seinen Teil dazu – und so wird es eine Band.

ME/SOUNDS: Wer hat Bon Jovi wieder zusammengetrommelt?

JON: Ich.

ME/SOUNDS: Wie hast du das gemacht, hast du ein Rund-Fax verschickt?

JON: Es war ja nicht so, daß wir nicht mehr miteinander gesprochen haben. Wir waren immer in Kontakt und haben alle paar Monate miteinander telefoniert und gefragt: „Hi, hier ist Jon, wie geht’s? Was machst du gerade?“ Und irgendwann hatte Richte dann seine Hatte fertig und ich vier Alben mit anderen Musikern produziert, Tico hatte alle Autos seiner Sammlung repariert, und die anderen hatten auch nichts Wichtiges mehr zu tun. Dann haben Richie und ich uns hingesetzt und mit den Songs angefangen…

ME/SOUNDS: Wie entsteht ein Bon Jovi-Song?

RICHIE: Mal so und mal so. Wir haben einen Titel oder einen Riff. Wir sitzen ‚rum und reden drüber. Wir machen Teamwork. Und irgendwann läuft die Kugel dann. Manchmal dauert das länger. Oder es geht ganz schnell: „If I Was Your Mother“ haben wir in drei Stunden getextet und komponiert.

ME/SOUNDS: In den vier Jahren Band-Pause hat sich ja einiges getan in der Rock-Welt. Gibt es irgendeinen Trend, der euch beeinflußt hat?

JON: Bon Jovi ist immer nur Bon Jovi.

RICHIE: Ich hör eine Menge von diesem Seattle-Stuff. Soundgarden und Pearl Jam und so. Ich glaube aber nicht, daß mich das irgendwie beeinflußt – aber ich finde es großartig, daß dieser Trend den Rock’n’Roll wieder zurück ins Radio gebracht hat. Da gab es ja lange Zeit so etwas überhaupt nicht. Trends wie der Seattle-Sound zeigen, daß Rock eine Zukunft hat!

ME/SOUNDS: Gibt’s denn einen Gitarristen, der Dich beeinflußt?

RICHIE: Es gibt so viele unglaublich gute da draußen! Ich bin mehr oder weniger ein emotionaler Gitarrist, einer, der aus dem Bauch heraus spielt. Im Vergleich zu Leuten wie AI diMeola oder Eddie van Haien hab ich eine grauenvolle Technik … Ich versuche eher, die Gitarre in den Songs zu arrangieren. So wie Clapton oder Hendrix zum Beispiel.

ME/SOUNDS: Oh warst ganz schön sauer, als du gestern abend hier unten an der Hotelbar B. B. King und Robert Cray verpaßt hast …

RICHIE: Shit! Schon zum zweitenmal! Letzte Woche in Paris haben wir uns um eine Stunde verpaßt. Und gestern wieder! B. B. ist der Größte, ein Gigant! Würde gern mal ein paar Läufe mit ihm spielen …

ME/SOUNDS: Ihr habt euch von eurem Manager Doc McGhee getrennt und kümmert euch jetzt um alles selbst – traut ihr niemandem mehr?

JON: Jahrelang haben wir versucht, den richtigen Manager, die richtige Organisation zu finden und ich kam zu dem Schluß, daß keiner diesen Job so ordentlich verrichten kann wie wir selbst.

ME/SOUNDS: Bandmitglied, Ehemann, Produzent und Manager in einer Person – hast du den 30-Stunden-Tag erfunden?

JON: Es ist eine Menge Arbeit. Wir sind eine sehr beschäftigte Band – auch wenn die Leute das nicht immer sehen. Wenn wir komponieren, tun wir das ja nicht in der Öffentlichkeit. Und wenn wir Aufnahmen anderer Musiker produzieren, sieht und hört man davon erst einmal auch nichts. Erst wenn man sich später die Credits auf dem Album näher ansieht, erfährt man. wer da was gemacht hat. Aber wieviel Arbeit dahinter steckt – das weiß niemand außer uns. Wir managen uns jetzt selbst, weil so jeder über seinen eigenen privaten Zeitplan verfügt. Und es ist ja nicht so, daß Richie und ich jeden Morgen um acht in ein Büro gehen und bis fünf Uhr nachmittags am Schreibtisch hocken. Wir haben schon einige Leute, die solchen Kram für uns erledigen, gute Leute, mit denen wir zum Teil schon seit Jahren zusammenarbeiten (Tour Manager Paul Korzilius, Bruder Anthony M. Boneiovi und Assistentin Marggi Vangeli. d. Red).

Aber die Entscheidungen treffen wir selbst, unsere Mitarbeiter halten uns nur den alltäglichen Kleinkram vom Hals. Wenn du in unserem Büro anrufst, hebt aber natürlich nicht Richie ab und meldet sich mit „This is the secretary of Bon Jovi – can I help vou?“.

ME/SOUNDS: Wie groß ist der Druck, der auf einem lastet, wenn man mit seinen Platin- und Goldenen Schallplatten Wände tapezieren könnte – muß da nicht jeder neue Song ein potentieller Hit sein?

JON: Ich bin über den Punkt hinaus, wo ich irgendwem irgendetwas beweisen muß. Ich weiß, daß ich Hits schreiben kann, ich muß mich mit niemandem messen. Wir können alles ausprobieren, haben genug Geld – Bon Jovi steht nicht unter Erfolgszwang.

ME/SOUNDS: Gibt’s ein Erfolgsrezept?

JON: Wenn es das gäbe, würde ich es sofort in eine Flasche abfüllen und Dir mitgeben. Dann müßtest du hier nicht so hart arbeiten. Und ich auch nicht. Die einzige Formel ist: Jeden Morgen aufzustehen und sein Ding durchzuziehen. Und damit zufrieden zu sein.

That’s it!