Brian Molko über Meditation


Dass Brian Molko mit seiner Band Placebo im Jahr 2013 immer noch die größten Hallen der Republik ausverkaufen würde, hätte Ende der 90er-Jahre niemand vorhersehen können. Damals war Molko der juvenile Glamrock-Dandy, dessen sexuelle und persönliche Orientierungslosigkeit so fragile Hits wie „Pure Morning“ und „Taste In Men“ hervorbrachte. Leicht hätte er zur Trendfigur verkommen können. Die Kritiker nahmen ihn zumindest bald nicht mehr ernst. Doch die Fans, vor allem die in Deutschland und Frankreich, standen zu Molko und wurden immer mehr. Ihr Durchhaltevermögen haben Placebo allerdings nicht allein ihrem Publikum zu verdanken, sondern auch einer folgenschweren Reise nach Thailand.

Brian, du hast gerade den Versuch hinter dir, ein Jahr Elternzeit zu nehmen …

Das Touren führt dich immer weit weg von deiner Familie. Ich wollte etwas Zeit außerhalb dieser Tourblase verbringen. Das ist einfach eine unnatürliche Lebensart. Wir sind Reisende, wie eine Bande Zigeuner, und hängen auch zwangsläufig emotional voneinander ab.

Nach fast 20 Jahren ist das Tourleben immer noch ungewöhnlich für dich?

Es ist normal, wenn du einmal dort reingewachsen bist. Alltag geht trotzdem anders. Auf Tour läuft alles auf den einen wichtigen Moment hinaus: die Show am Abend. Du kümmerst dich im Grunde um nichts anderes. Umso wichtiger ist es, zwischendurch auf den Boden der Tatsachen zurückzukehren, alltägliche Erfahrungen zu machen, einfach Mensch zu sein.

Was machst du in dieser knappen Freizeit?

Ich habe leider keine Hobbys. Aber ich brauche welche. Hast du einen Vorschlag für mich?

Lesen?

Das mache ich sowieso. Ich brauche etwas Körperliches.

Ich hab‘ mal Yoga probiert.

Gut, Yoga mache ich auch. Das ist Teil der Fitness-Routine, die auf Tour nötig ist.

Wie oft machst du Yoga?

Drei bis vier Mal pro Woche.

Mit einem Lehrer oder allein?

Wir haben auf Tour jemanden dabei, der sich um unsere Ernährung, unsere Fitness und auch um unsere psychologischen Bedürfnisse kümmert.

Was rät er euch außer gesundem Essen, Trinken und Yoga?

„Good action begins with good thoughts.“

Und was machst du, um auf gute Gedanken zu kommen?

Ich meditiere.

Also doch ein Hobby!

Meditation ist sehr wichtig. Ich versuche, es jeden Morgen zu tun. Meditation beruhigt und erdet mich. An Tagen, an denen ich nicht meditiere, bin ich viel launischer und habe weniger Geduld. Das ist etwas, das ich 2011 in Thailand entdeckt habe. Als ich dort für ein paar Monate draußen war, im Norden Thailands, in den Bergen, habe ich Meditation echt lieben gelernt.

Wie lange warst du dort?

Zwei Monate. Ich wollte Meditation lernen und Buddhismus studieren.

Du hast viel darüber gelesen?

Oh ja, sehr viel sogar.

Zum Beispiel?

Der Dalai Lama hat mehrere sehr lesenswerte Bücher darüber geschrieben, die einen positiven Einfluss auf mich hatten. Sein bekanntestes und wohl erfolgreichstes Buch heißt „The Art Of Happiness“.

Wie muss man sich das konkret vorstellen: Du stehst morgens auf und meditierst, bevor du irgendwas anderes tust?

Absolut, ja. Wobei, na ja: Das Erste, was ich morgens mache, ist, enorme Mengen von Kaffee zu konsumieren!

Das ist das Gegenteil von Runterkommen.

Ja, ich weiß. Aber sonst habe ich kaum noch irgendwelche Laster. Kaffee und Zigaretten sind für mich im Moment essenziell. Ein paar Zigaretten und ein paar Tassen Kaffee am Anfang des Tages, dann setze ich mich hin und versetze mich in meine Meditation.

Wie lange dauert es dann, bis dich keine anderen Gedanken mehr ablenken?

Das ist ein verbreiteter Irrglaube! In der Meditation geht es nicht darum, deinen Geist von allen Gedanken zu befreien. Ich glaube, selbst die Gedanken der Erfahrensten aller Meditierenden wandern noch immer. Es geht eher darum, deinen Gedanken zu erlauben, an dir vorbeizuziehen. Wie ein Fluss. Sie sind dir bewusst, aber du konzentrierst dich auf deine Atmung und erschaffst eine Haltung gegenüber deinem Geist, die ihn nicht be-oder verurteilt. So kannst du einen Zustand der Stille erreichen. Bei mir dauert es sieben bis zehn Minuten, um „in the zone“ zu sein.

Hast du lange üben müssen, um so schnell in diese Zone zu kommen?

Man fängt klein an. Anfangs meditierte ich nur zehn Minuten. Ich kenne Menschen, die über zwei Stunden pro Tag meditieren. Ich traf tibetanische Mönche, die sieben Stunden am Tag meditieren. Ich erinnere mich auch an diesen Lama in einem buddhistischen Kloster in Schottland, der zu mir sagte: „Wenn Leute für sieben oder acht Stunden pro Tag arbeiten können, dann meditiere ich lieber in der gleichen Zeit.“

Das lässt sich leicht sagen, wenn man nicht arbeiten muss.

Na ja, das ist ja ihre Arbeit! Ich bin aber immer noch ein Anfänger, besonders im Vergleich zu diesen Leuten.

Du hast 2011 mit Meditation angefangen. Kurz darauf begann die Arbeit am neuen Album. Wurde LOUD LIKE LOVE von Meditation beeinflusst?

Ich glaube nicht, nein. Meditation hilft einfach dem eigenen Fokus. Und der Disziplin. Sie hält außerdem den Geist offen für das, was andere Menschen sagen und tun. Wir arbeiten als Band sehr stark zusammen. Meditation wirkt sehr gut gegen die eigene Dickköpfigkeit. Sie erlaubt dir, besser zuzuhören.

Am 10. Dezember wirst du 41 Jahre alt. Zweifelst du im leicht fortgeschrittenen Alter weniger als früher?

Oh nein, im Gegenteil! Je länger du etwas wie Placebo machst, desto mehr Fragen stellst du dir. Am Anfang, als junger Mann in deinen Zwanzigern, bist du voll von Bravado und Arroganz und fühlst dich unverwundbar -was zu diesem Zeitpunkt auch absolut notwendig ist, eine Art jugendlicher Antrieb. Nach 20 Jahren aber stellst du viel mehr in Frage als früher. Ob deine Musik noch gut und relevant ist und ob sie es verdient, gehört zu werden, zum Beispiel. Es ist ungefähr so, als ob du dich für deinen Job neu bewerben müsstest. Die Fragen werden bei jeder Platte mehr.

Spielst du deinem Sohn Cody eure neuen Songs vor?

Ja, ein Achtjähriger ist ein guter Zuhörer. Ihm deine Songs vorzuspielen, ist ein sehr guter Test. Wenn ihm eine Idee catchy genug ist, weißt du, dass du sie weiter verfolgen solltest.

Dann weißt du, dass du einen Radio-Hit hast!

Ja! Neulich spielte ich ihm einen der Bonustracks von unserem neuen Album vor – „Pity Party Of One“ heißt der. Da saß er nur da, ohne eine Miene zu verziehen, mit verschränkten Armen und sagte: „Näää, das mag ich nicht, nein. Sorry!“

Und was gefällt ihm?

Er mag „Loud Like Love“,“Too Many Friends“ und den letzten Song auf dem Album, „Bosco“. Er mag die Streicher.

Sorgt er sich, wenn er die pessimistischen Texte seines Daddys über Einsamkeit und Frust hört?

Nein, das kommt bei ihm noch nicht so an. Er achtet nur auf die Melodien, wie eingängig sie sind.

Was hört er neben Placebo?

One Direction, klar. Aber auch verzerrte Gitarren und heavy rock music.

Also mag er auch eure alten Platten?

Könnte sein, aber ich will sie ihm nicht vorspielen, damit ich sie selbst nicht mehr hören muss. Auf YouTube findet er aber öfter altes Zeug von uns. Das führt dann zu so Fragen wie: „Ich hab‘ da ein Video von dir gesehen, Dad, in dem du viel Schminke trägst. Und ein Kleid! Warum hast du das getragen?“ Ich so: „Äh,… einfach so! Weil ich mich damals eben danach gefühlt habe. Vielleicht trägst du eines Tages auch so was!“

Dieser Tag ist aber noch nicht gekommen?

Äh ich weiß nicht, da müsstest du ihn lieber selbst fragen.

Albumkritik S. 106

Sänger/Gitarrist Brian Molko und Bassist Stefan Olsdal gründeten Placebo 1994 in London. Kurz darauf stieß Drummer Robert Schultzberg dazu, der zwei Jahre später von Steve Hewitt ersetzt wurde. Das Debütalbum der Band gab 1996 dem Britpop ein punkiges Gegengewicht. Seitdem veröffentlichten Placebo fünf Platten, eine Singles-und eine B-Seiten-Compilation, ein Cover-Album sowie diverse EPs. 2007 stieg Hewitt aus und Steve Forrest ein. Mit LOUD LIKE LOVE erscheint am 13. September erstmals eine Placebo-Platte beim Major Universal Music.