Camden Lurch: Die Szene torkelt


„To lurch“: Verb, zu deutsch „torkeln“, und in Kombination mit dem Namen des Londoner Squatterviertels Camden die Umschreibung der krachenden, neuesten Errungenschaften britischen Gitarrenschaffens. Britische Medien feiern es schon als die Geburt eines neuen Musikstils: „Nun ja“, brummt Duncan Brown, Bassist beim archetypischen Lurch-Trio Milk, davon wenig begeistert:

„Camden Lurch ist wohl insofern eine Szene, als es eine ganze Reihe von Bands gibt, die laute Gitarrenmusik in den gleichen paar Clubs spielen. “ Mehrere Jahre lang hatte es in London keine Pubs mehr gegeben, die der Avantgarde eine Bühne freimachten. Unter der Führung von Roger Cowell begann The Falcon in Camden eine Ausnahme zu machen: Bands wie Milk, Silverfish, The Faith Healers, Head Cleaner, God Machine, Swervedriver oder Sun Carriage fanden hier ein frohes Ohr, und bald dehnte sich der Spaß nach Hampstead in den White Horse Pub aus. Eine mit szenetypischem Sarkasmus NOW THAT’S WHAT I CALL DIS-GUSTING MUSIC betitelte und bei Too Pure, dem White Horse-Haus-Label erschienene Sammel-LP dokumentierte erstmals einen kohärenten Sound. Cowells Eve Label nahm sich Milk an. derweil einige Verkäufer des Rough Trade Plattenladens die Firma Wijija gründeten und als erstes Silverfish verlegten. Brown: „Wir mochten alle laute und schwere Gitarrensounds, wollten aber mit Heay Metal nichts zu tun haben, sondern orientierten uns viel mehr am Geist von Soundgarden, Dinosaur Jr. oder Sonic Youth.“ Allesamt haben sie die reinigende Wirkung wohlgesteuerten Feedbacks erkannt, wobei Gitarrensoli strikt verpönt sind. Und irgendwie schaffen es die Lurch-Bands, sich trotz der üblichen Hausbesetzer-Garderobe einen gewissen Boheme-Anstrich zu geben. Für wichtige Messages sind sie alle viel zu clever. Da passen witzige Wortspielereien schon besser ins Bild: „Big Bad Baby Squeal“ heißt der Aushängesong auf Silverfishs neuester EP FUCKIN, DRIVIN, OR WHAT…, derweil Milks un-rock’n’rollender Bandname schon fast alles sagt. Und erste Hörproben versprechen für die baldige neue Milk-LP weitere rasante Fortschritte in Sachen Meea-Coolheit. Brown: „Die LP wird TANTRUM~-KOLLER heißen. Denn die Musik klingt zornig. Wir wissen zwar nicht genau, weswegen — aber doch zornig. Haha!“