Charmante Van Dalen Halen


l Keith Moon hätte seine helle Freude an ihnen gehabt. Wie weiland der wüste WhoDrummer, so zelebrieren die zerzausten Sunnyboys das kontrollierte Chaos. Mit kalifornischem Laisser-faire lassen sieprivat wie auf der Bühne-genüßlich die [Sau raus. Daß aber Hunde, die bellen, icht unbedingt beißen, stellte Sylvie Simmons fest, als sie vor Beginn von Van Halens Welttournee einen Besuch im Zoo machte.

Von einem “ Wanderzirkus“ spricht David Lee Roth, wenn das Gespräch auf Van Haien kommt. Wir sind in der Abteilung mit den dressierten Tieren: Sie wissen genau, wann man die Zähne fletscht und wann man sich zutraulich benimmt; sie wissen, wann man springt, wann man posiert, sich putzt, auf den Rücken legt und die Genitalien kratzt; sie wissen, wann man unterhält und wann man schockt. Und die letzten beiden Punkte, eigentlich bloß der letzte, haben Van Haien in den Staaten zu einer der heißesten Heavy Bands gemacht.

In einem Land, wo Hard-Rock so schlaff und runzlig geworden ist wie ein Buchhalter nach einem Abend in der Badewanne, sind Van Haien so laut, frech, gemeingefährlich – so jenseits von Gut und Böse, wie man es von einer jugendlichen Domäne wie Hard-Rock eigentlich erwarten sollte. In einem Land, wo die Kluft zwischen den Generationen so weit verschwunden ist, daß sich die Eltern von ihren Kindern die Designer-Jogginganzüge leihen und gemeinsam für Michael Jackson und Boy George schwärmen, haben Van Haien eine aussterbende Kunst zu neuem Leben erweckt – die Kunst, die ältere Generation vor den Kopf zu stoßen. Ihr Shows sind krasse, laute, verrückte Parties, ein Privatclub nur für Teenager, eine große Gang mit David Lee Roth als Anführer.

David Lee Roth, Van Halens Sänger, Sprachrohr und attraktiver Frontmann, ist faszinierend – und niemand weiß das besser als David. Er redet schnell, er redet ständig und immer mit demselben rasanten Schwung – vor einer Person genauso wie vor einem Publikum von 100000. Ein Monolog, unterbrochen von Lachen, Grinsen und Glucksen über seine eigenen Ideen und Witze.

Der Mann kann sich ausdrükken: Als Sohn eines reichen Doktors aus Pasadena, der mit seiner Familie von Indiana nach L.A. zog, (wo vor sieben Jahren auch die Band gegründet wurde), ist er wesentlich gebildeter als der durchschnittliche Hard-Rocker; er läßt beiläufig über alles Mögliche Bermerkungen fallen: von Nicaragua bis zum Bauhaus, vom Fernsehen bis Escher, von „Star Wars“ bis Eisenstein – beißt sich aber jedesmal selbst auf die Zunge, wenn er allzu hochtrabend klingt.

Interviewer sind seine Leidenschaft, sein Zugang zur Welt der Worte. „Ich rede einfach gern, ich mag Worte. Ich kann zwar nur bis vier zählen und muß dann wieder von vorn anfangen, aber bei meinem Job ist das ja okay!“ (kichert) Er benutzt Worte so wie Spielzeugroboter eine Wand benutzt: Er stößt sich in alle Richtugen von ihnen ab.

Beobachtet man ihn backstage mit einem Groupie, stellt man nicht nur fest, daß er weitaus attraktiver, weitaus intelligenter und in jeder Hinsicht weitaus imponierender ist; man gewinnt auch den Eindruck, daß er mit einem gewissen Respekt neben ihr steht und sie analysiert, als wäre sie eine Patientin seines Vaters. Man sieht, wie er das alte Rock-Spiel spielt, gleichzeitig aber auch weiß, daß er das Rock-Spiel spielt – und an beidem Spaß hat: am Spiel und am Wissen darüber. Ein faszinierender Mann.

„Naja, wie du wahrscheinlich weißt, Sylvie, ist das ein Zen-Prinzip: Zwei vollkommen gegensätzliche Dinge ziehen sich einander an. Und wie du vermutlich schon aus unseren früheren Interviews messerscharf geschlossen hast, verkörpere ich die Portion Zen-Weisheit bei Van Haien. Nicht etwa, weil ich ein Zen-Jünger bin, sondern hauptsächlich, weil ich der einzige bin, der das Wort buchstabieren kann!“ (Gelächter) Intellektuell ist er Klassen besser als die anderen. Michael Anthony, der Bassist, ist genau der Handwerker, nach dem er aussieht: stämmig, verläßlich, freundlich – der, der sich backstage am ehesten auf dem „Hallo, wie geht’s, willst du was zu trinken „-Level mit Plattenfirma-Bossen und Radio-Zelebritäten unterhält. Drummer Alex Van Haien, ein großer, aber nicht sonderlich imposanter Mann, macht am überzeugendsten den Eindruck eines „Party Animal“, wie sie in den Staaten genannt werden. Während David bloß so aussieht, als wäre er ständig auf Kokain, es tatsächlich meist nur nervöse Energie ist – kann man bei Alex davon ausgehen, daß er wirklich hakkevoll ist, wenn er schon so aussieht. Ein gutmütiger Typ, der normalerweise um David herumscharwenzelt und mit seinem holländischen Gesicht eine Grimasse schneidet wie eine Pflaume beim Lachanfall.

Und dann Eddie Van Haien: der Mann, der musikalisch genausoviel dazu beigetragen hat, die Band so groß zu machen, wie David es auf der Image-Seite getan hat. Gitarristen wie Brian May von Queen, Neal Schon von Journey, auch ein Super-Techniker wie Allan Holdsworth, ganz zu schweigen von fast jeder neuen Heavy Metal-Band, haben ihn als einen der Großen an der Gitarre gepriesen. Edward hält sich von dem ganzen Rock ’n‘ Roll-Zirkus fern und sucht nur die Gesellschaft seiner Gitarre.

„Du mußt das verstehen: Edward ist ein wahrer Musiker“, meint David. „Er gehört nun mal zu der Sorte ‚Künstler‘, die man mit spitzen Lippen ausspricht. Er sitzt immer ganz allein mit einer Gitarre hinten im Flugzeug – oder aber er hockt oben im Hotelzimmer und jammt mit irgendwelchen Leuten.“

Wenn er nicht gerade mit Van Haien arbeitet, kommt Alex‘ jüngerer Bruder (der Vater ist Musiker – die Familie übersiedelte aus Holland, als die Jungs noch Kinder waren) so oft wie möglich mit anderen Musikern zusammen (Brian Mays „Star Fleet“ – Projekt und Michael Jacksons „Beat It“, um nur zwei zu nennen) und hat sich natürlich im Hinterhof seines Hollywood-Hauses, das er mit seiner Frau Valerie Bertinelli (einer Schauspielerin, die ihm übrigens erstaunlich ähnlich sieht) teilt, ein eigenes Studio gebaut. Dort wurde das meiste Material von „1984“ aufgenommen.

Hatten die vorangehenden Veröffentlichungen wenig Staub aufgewirbelt, so erwies sich „1984“ als das erfolgreichste ihrer Laufbahn – ein Erfolg, der sie auf die Spitze des Hard-Rock-Olymps zurückführte. Als das letzte Album DIVER DOWN veröffentlicht wurde, hieß es allerorten, daß sie ihre Karriere in den Sand gesetzt und einfach keine Ideen mehr hätten; daß die dressierten Tiere vergessen hätten, „dressierte“ wilde Bestien zu sein, sondern stattdessen zu schlechterzogenen Schoßhündchen degeneriert seien. Das letzte Album bestand zum Großteil aus schlampigen Cover-Versions; ihre Shows waren oft nicht mehr als ein narzißtisches Zurschaustellen. Roth agierte wie eine abgehalfterte Mae West zu einem Sound, der klang wie ein Orchester aus verstimmten Staubsaugern. „1984“ (auf dem Edward, der in jungen Jahren klassischen Klavierunterricht bekam, zum ersten Mal Keyboards und Gitarre spielt) erntete dreimal Platin, und die jetzige Welt-Tour soll über 15 Millionen Dollar aus Kartenverkäufen und Merchandising einbringen. Letztes Jahr kassierten sie für einen einzigen Zwei-Stunden-Auftritt beim US-Festival in Kalifornien eine runde Million Dollar.

Dieses Jahr werden sie in ihrer Heimat gar als Protagonisten eines massiven Hard-Rock-Revivals gefeiert. „Da gibt’s eine Menge Heavy Metal in diesem Land“, sagt David, „aber wenn ich mir so eine Platte kaufe und anhöre, muß ich immer an die berühmten Monster der Filmgeschichte denken, weißt du, wie Michael Jacksons „Thriller“-Video, bloß auf Vinyl! Du brauchst bloß den vakuumverpackten, schwarzen Lurex-Anzug mit silbernen Verzierungen und einen 75-Dollar-Zottel-Haarschnitt und schon kannst du ganz groß rauskommen.

Van Haien haben das Image des Rock ’n‘ Roll verändert… und ich meine das in zweierlei Hinsicht: Zum einen versuchen teuflisch viele Leute, so atemberaubend schnell zu spielen wie Edward und sich an das Drei-Minuten Song-Format zu halten. Und das übrige Volk da draußen im Land der Musik ist so abgetörnt vom ganzen Van Halen-Konzept und -Sound und der Art, wie ich Interviews gebe, daß sie geradezu gezwungen sind, mit substanziellen Alternativen zu kommen. Es gibt da einen Haufen unterschiedlichster Musik, die nicht im enferntesten nach Van Haien klingt und ich denke doch, daß wir auch dafür in gewisser Weise verantwortlich sind!“

Also sind sie es auch, die beispielsweise für Boy George verantwortlich sind?!

“ Ich fühle mich nicht persönlich verantwortlich für Boy George, aber ich mag die Idee, andere kulturelle Idiome zu kopieren. Du kannst mich von jetzt an ruhig Jah Roth nennen!“

Dann liegen ihm KajaGoo-Goo vermutlich auch mehr als Judas Priest?

„Würde ich überhaupt nicht sagen. Ich höre praktisch alles. Ich höre Radio. Ich besitze nicht mal einen Plattenspieler. Du mußt hören, was so in der Luft liegt. Ich habe jede Menge nette Spielzeuge, um den rechten Sound ins Ohr zu bekommen. Grad erst hab‘ ich den neuen wasserdichten Walkman bekommen. Ich hab ihn aufgesetzt und bin anderthalb Stunden unter die Dusche gegangen, anschließend in den Pool. Nach ungefähr 18 Takten von „Chariots Of Fire“ hat er dann seinen Geist aufgegeben.“

Würde es sich um eine andere Band handeln, könnte man aus dem Album-Titel möglicherweise auf ominöse Big Brother Anspielungen schließen – definitiv aber nicht bei Van Haien: “ Wer wirklich eine Message hat, soll sich doch an ‚Western Union‘ (die amerikanische Telegrammgesellschaft) wenden! Ich weiß nicht, ob eine Van Halen-Message überhaupt in eine musikalische Form komprimiert werden kann. Vielleicht ist unsere Musik eine Art Soundtrack, auf dem wir unsere „Botschaft“ rein physisch ausagieren – aber du kannst die beiden Ebenen nie miteinander verbinden.

Ich bin mir sowieso gar nicht sicher, was denn nun die Van Halen-Philosophie ist. Das sind Liebeslieder, Mann! Es ist 1984, ihr habt das Buch gelesen, jetzt hört die Platte, seht die Tour, lebt das Jahr! Das ist keine ‚Pyromania'“. nuschelt er im britischen Def Leppard-Slang. “ Was wir machen, ist absolute, unkontrollierbare Brandstiftung! ‚Pyromania‘ ist was für Kinder. Würdest du lieber mit Streichhölzern spielen oder mit einer Brand-Bombe!?“

Die Show ist in der Tat explosiv – neue Kostüme, neue Songs, die neue Lightshow ist die beeindruckendste, die ich je auf einer Bühne gesehen habe. David posiert nach wie vor, Hände in den Hüften, stellt sich dar, spielt mit sich selbst, macht mehr Sauf-, Drogen- und Party-Jokes, als man es von jemandem mit seinem IQ erwarten sollte – und bekommt von der Menge die erwartete Reaktion.

Das Groupie, das David vor der Show ausgesucht hatte, aber aufgrund der knappen Zeit nicht näher „kennenlernen“ konnte, ist bereits durch mehrere Blondinen ersetzt worden, die er von der Bühne aus herauspickte und durch seine Roadies mit Backstage-Pässe ausstatten ließ.

Die Philosophie dahinter? Ich vermute, sie steckt in folgender Überlegung: In der einen oder anderen will doch heutzutage jeder jeden „ficken“. Warum also es nicht mit Stil und Witz tun und seinen Spaß daran haben …