Cowboy Junkies: Neurosen Kavaliere


Ihr Name könnte irreführender nicht sein: Städter statt Cowboys, Puristen statt Junkies, kultiviert das kanadische Kleeblatt kammermusikalischen Psycho-Blues. ME/Sounds-Mitarbeiter Jim Slotek traf in Toronto den zartbesaiteten Familienbetrieb.

Die „Clinton Tavern“ ist eine rauchgeschwängerte Kneipe im Torontoer Stadteil Bloor Village. in der schon Generationen ihr Bier gekippt haben. Im Vorraum starren alte Männer auf das Fernsehgerät und halten die Stellung gegen das Jungvolk und seine Musik in den hinteren Räumlichkeiten.

Heute Nacht drängeln sich etwa 150 Leute im Hinterzimmer. Die meisten von ihnen wissen, daß der Name auf dem Schild vor der Tür – „The Caution Horses“ – nur der Titel eines Albums ist und als Deckname für den Überraschungs-Gig einer Band dient, die nach einjähriger Welttournee in ihre Heimatstadt zurückkehrt.

Es scheint erst gestern gewesen zu sein, daß die Cowboy Junkies in eben diesem Raum für eine Handvoll Dollar spielten. Heute Abend indes sind die meisten Tische „reserviert für die internationale Presse“, Journalisten aus Europa, Japan und den wichtigsten US-Magazinen wie“.Spin“ und „Rolling Stone“ (wahrlich ein privilegiertes Häuflein: Noch vor ein paar Monaten gab die Band auf einer Wiese vor der Stadt ein Gratiskonzert für 14.000 Zuhörer).

An der Musik sind die Veränderungen glücklicherweise spurlos vorbeigegangen. Die schleppenden Rhythmen werden verziert von Steel Guitar. Mandoline und Akkordeon, trotzdem klingen die Junkies so minimalistisch wie eh und je. Dies ist immer noch dieselbe Band, die in einer Kirche mit einem einzigen Mikrofon ein „Hitalbum“ aufnahm. Andere Bands peitschen ihr Publikum von der ersten Note an vorwärts, sie jedoch beginnen langsam und nehmen die Zuhörer mit auf den Weg in die Katharsis. Bei ihren Gigs ermahnt sich das Publikum („Psst!“) gegenseitig zur Ruhe.

So auch heute Nacht, als Margo Timmins das Programm mit dem klagenden „Misguided Angel“ und einer Version von „I’m So Lonesome I Could Cry“ eröffnet, das noch um einiges trauriger ist als das Original von Hank Williams. Mitten in der weihevollen A-Cappella-Andacht von „Witches“ läßt sich aus dem Hintergrund ein durch einige Bierchen mutig gewordener Mensch vernehmen, der augenscheinlich der allgemeinen Ehrfurcht nicht verfallen ist. Die Stimmung ist futsch. Margo lächelt dünn: „Wenn ihr nicht brav seid, machen wir die ganze Nacht weiter“, sagt sie tapfer. Erleichterter Applaus, und die Junkies kehren in ihre melancholische Welt zurück.

„Ein eindeutiger Fall von Deja Vu“, meint ihr amüsierter Bruder Michael Timmins am nächsten Tag. Michael, trotz seiner 30 Jahre ein verletzlich aussehender, überaus zuvorkommender Junge, ist Gitarrist und Songschreiber der Band (die durch Schlagzeuger Peter Timmins, 23, und Alan Anton, 30. Bassist und Freund der Familie, vervollständigt wird). „Wir spielen wieder im ‚Clinton‘ und werden prompt angemacht. Früher passierte das ständig, weil die Leute nicht wußten, was sie erwartete: Die Laufkundschaft sah den Namen Cowboy Junkies. kam rein, weil sie dachten, da spielt eine Hardcore-Band – und bekamen das genaue Gegenteil zu hören. Egal, das bereitet uns kein Kopfzerbrechen mehr. Margo hatte die Sache ganz gut im Griff, ich war stolz auf sie.“

Das war nicht immer so. Als frischgebackenes Bandmitglied war Margo so verschüchtert, daß sie nur mit dem Rücken zum Publikum singen konnte. Mittlerweile schaut sie mutig nach vorn, hält sich aber zur Sicherheit immer noch am Mikrofon fest. Allerdings kämpft die Band nicht gerade darum, sich notfalls auch energisch Gehör zu verschaffen. Als sie einmal in Roanoke spielten, im tiefsten amerikanischen Süden, sahen sie sich außerstande, den Lärm einer mit saufenden Rednecks gefüllten Bar zu übertönen. Anstatt die Regler aufzudrehen, fanden sie sich damit ab, daß außer ihnen selbst niemand ihre Musik hörte. Eine für sie typische Form des passiven Widerstands.

Der rasante Aufstieg der Cowboy Junkies will zu dieser Apathie nicht so recht passen. Das bereits erwähnte Do-It-Yourself-Album THE TRINITY SESS1ONS (benannt nach der Kirche, in der es aufgenommen wurde) kostete genau 250 Dollar, verkaufte sich jedoch auch ohne Unterstützung der großen Radiostationen innerhalb kurzer Zeit 800.000 mal, hauptsächlich durch Mundpropaganda und Beifallsbezeugungen der richtigen Leute. Ein enthusiastischer Artikel im amerikanischen „Time“-Magazin war der Auslöser einer journalistischen Flutwelle. Lou Reed erklärte, die Junkies-Version von „Sweet Jane“ sei die beste, die er jemals gehört habe.

Ihrem Namen zum Trotz sind die Cowbov Junkies ein durch und durch urbanes Phänomen – kaum überraschend bei einer Band, die erst spät, über Garagen-Rock und Blues, zum Country fand (das erste Vinyl-Produkt war eine Platte mit R&B-Klassikern, betitelt WHITES OFF EARTH NOW!, die 4000 Abnehmer fand, alles Freunde und Fans der ersten Stunde). Das stilistische Zickzack brachte ihnen allerdings nicht nur Freunde ein: Es heißt, daß Kanadas derzeitiger Country-Superstar k.d. Lang die Band von Herzen verabscheut. Zweifellos hat die Band viel von ihrer Anziehungskraft Margo zu verdanken. „Esquire“ verkündete, wenn „Marlene Dietrich Jeans getragen hätte“, hätte so etwas wie Margo herauskommen müssen. Michael ist durchaus nicht unglücklich darüber, daß vorwiegend Margo im Rampenlicht steht. Das, sagt er. war von Anfang an so geplant. “ Unsere Philosophie war immer: Wir sind in diesem Business, also soll sie die Aufmerksamkeit der Leute auf sich ziehen. Sie ist die Lead-Sängerin, und sie sieht nun mal gut aus. Aber auch ohne Margos Stimme kann die Band nicht existieren. Ich schreibe die Songs aus dem Blickwinkel eines Mannes, und sie gibt ihnen eine weibliche Perspektive – das Ergebnis ist eine Zweideutigkeit, eine undefinierbare Kühle, die den emotionalen Hintergrund verschleiert. „

CAUTION HORSES, das neue Album, entstand mit etwas mehr finanziellem (und künstlerischem) Aufwand als THE TRI-NITY SESSIONS, war aber, mit Produktionskosten von 45.000 Dollar, vergleichsweise immer noch billig. Man hat sich dieses Mal auch stärker auf Michaels Songwriter-Qualitäten verlassen. Die bißchen im heißt, daß erste Single-Auskopplung, das geradezu kommerzielle „Sun Comes Up, It’s Tuesday Morning“, ist erstaunlich flott und stammt aus Michaels Feder. Der zweite Song des Albums hingegen, „Cheap Is How I Feel“, sagt so ziemlich alles über die neurotische Sensibilität der Band.

Gegen eine wachsende Popularität hätte die Band trotzdem nichts einzuwenden: „Wir würden diesmal wirklich gerne ein Radio gespielt werden. Was nun nicht wir wegen der Verkaufszahlen schlaflose Nächte verbringen,“

In Kürze werden sich die Cowboy Junkies ein weiteres Mal in die nicht-englischsprachige Welt aufmachen – für Songschreiber immer eine merkwürdige Erfahrung. „Wir sprechen die Sprache vieler dieser Länder nicht und haben keine Ahnung, ob und wieweit wir verstanden werden.“ Auch ohne Wörterbuch glaubt er, daß beim letzten Mal die Reaktionen in Deutschland und Skandinavien am positivsten waren. Vollends begeistert hat sie jedoch Japan. „Da gibt es diese riesigen Clubs, bis unters Dach voll mit Leuten, die alle unglaublich ruhig und aufmerksam sind. „

Das ideale Publikum für die Cowboy Junkies? – „Keine Frage!“