Kritik

„Da 5 Bloods“ auf Netflix: Zwischen antirassistischem Manifest und blutiger Irrfahrt


Spike Lees („BlacKkKlansman“) Antikriegsdrama um vier Schwarze Vietnam-Veteranen ist ein ebenso energiegeladenes wie kunstvolles Glanzstück von einem Film. Zumindest, bis es sich in der zweiten Hälfte auf einen wüsten Genremix einlässt, der sehr an eine Splatter-Version von „Indiana Jones“ erinnert.

Wie so oft bei Spike Lee, beginnt alles mit einer Collage aus Archivmaterial voller kraftvoller Bilder. Kommentare von Malcolm X, Angela Davis und Muhammad Ali, der erklärt, warum er nicht für ein Amerika in den Krieg ziehen wird, das seine afroamerikanische Bevölkerung brutal unterdrückt, treffen auf Aufnahmen von kämpfenden und sterbenden Soldaten in Vietnam – auffällig viele davon sind Schwarz. Sie wechseln sich ab mit Bildern von Armut in hauptsächlich von Schwarzen bewohnten Wohnvierteln, der gleichzeitig stattfindenden rassistischen Polizeigewalt, von Lynchmorden in der Heimat, die ihren Namen nicht recht verdient.

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Diese erste Sequenz illustriert eine eklatante Ungerechtigkeit, die auf den Grundton der kommenden zweieinhalb Stunden einstimmt – beziehungsweise zumindest auf die ersten 75 Minuten, denn ab der zweiten Hälfte verwandelt sich das Antikriegsdrama in einen teils verwirrenden, teils grotesk-komischen Actionstreifen, vor dessen Hintergrund sowohl die politische Schärfe als auch die Kunstfertigkeit des Films zusehends verloren gehen.

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Doch zuerst werden die vier Helden der Geschichte vorgestellt. Die höchst unterschiedlichen Freunde Paul (Delroy Lindo), Eddie (Norm Lewis), Melvin (Isiah Whitlock Jr.) und Otis (Clarke Peters) checken in ihr Hotel in Ho-Chi-Minh-Stadt ein. Von dort aus wollen sie aufbrechen, um die sterblichen Überreste von Norman (Chadwick Boseman), dem fünften „Blood“, der an ihrer Seite im Vietnamkrieg kämpfte, zu bergen. Bereits beim abendlichen Drink in der Bar wird klar, wie nachhaltig ihr Leben von ihrer speziellen Kriegserfahrung geprägt wurde. Einer Kriegserfahrung, die sich in großen Klassikern wie „Full Metal Jacket“ und „Apocalypse Now“ nicht finden lässt.

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Schnell zeigt sich, was Spike Lees Filmepos auch ist: eine Erweiterung des Anti-Kriegsfilmkanons um die Schwarze Perspektive. Fast dokumentarisch lässt er immer wieder Fakten in die Handlung einfließen, ohne dass es forciert wirken würde. So erfährt man, dass über 30 Prozent der Soldaten in Vietnam Schwarze Männer waren, obwohl Afroamerikaner*innen zu dem Zeitpunkt nur elf Prozent der US-amerikanischen Bevölkerung ausmachten. Oft waren sie als „Kanonenfutter“ in den vordersten Reihen unterwegs.

Rückblick in die Gegenwart

In Rückblenden, die sich durch ein 4:3-Format und stark gesättigten Farben kunstvoll vom restlichen Film abheben, wird Norman als derjenige gezeigt, der die vier Überlebenden politisierte, sie in Black History unterrichtete und als Mentor zum Durchhalten animierte. Die vier überlebenden Freunde werden auch hier von Clarke Peters und Co. gespielt. Was im ersten Moment irritiert, weil in die Jahre gekommene, graumelierte Soldaten einfach nicht zu unseren Sehgewohnheiten passen wollen, kann man als kluges Statement über Kontinuität verstehen. Ein Mittel, mit dessen Hilfe es dem Film gelingt, diese Szenen mit der Gegenwart zu verknüpfen und daran zu erinnern, dass vieles von dem, worüber die Gruppe in den Siebzigern spricht, bis heute bittere Realität ist.

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Die anhaltende Diskriminierungserfahrung zeigt ihre tragischsten Ausmaße in Paul, der wohl komplexesten Figur in „Da 5 Bloods“. Aus Frust über seine eigene Unterdrückung ist er zum Trump-Anhänger geworden, der die Mauer für „faule Immigranten“ fordert, die ihm seiner Meinung nach auch noch den letzten Rest vom ohnehin schon kleinen Stück des Kuchens abspenstig machen wollen. Die Hälfte des Films läuft er in „Make America Great Again“-Kappe herum, scheint ständig vor Wut zu kochen und zu schreien. In einem wahnhaften Monolog gegen Ende des Films, für den sogar die vierte Wand durchbrochen wird, kann Delroy Lindo zur preisverdächtigen Höchstleistung auflaufen. Aber da irrlichtert „Da 5 Bloods“ längst zwischen Actionfuror und Schatzsucher-Saga umher. 

Und dann geht alles in die Luft

Wäre das einzige Anliegen der Gruppe, die sterblichen Überreste des geliebten Kameraden zu finden, wäre „Da 5 Bloods“ ein ebenso energiegeladenes wie kunstvolles Glanzstück, das vor politischem Kampfeswillen nur so strotzt. Doch die Tatsache, dass Paul, Melvin, Eddy und Otis nicht nur nach Knochen, sondern auch nach einem Goldschatz suchen, stürzt den Film in der zweiten Hälfte teils in einen satirisch-actiongeladenen Splatterstreifen, teils in eine Goldgräberstory im Stil von „Indiana Jones“. Bereits die Musik zum Film von Terence Blanchards klingt verdächtig nach dick aufgetragenem Disney-Soundtrack.

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Die besagten Goldbarren im Wert von mehreren Millionen Dollar fielen ihnen während ihres Einsatzes zu. Der damals gefasste Entschluss der Gruppe, den Schatz für die politische Sache zu verwenden, verpufft jedoch in dem Augenblick, in dem sie ihren potenziellen Reichtum in den Händen halten. Das Problem ist nicht, dass Lee nicht davor zurückschreckt, seine Figuren so an Sympathiepunkten einbüßen zu lassen. Der Zweck des Twists, der eine Aneinanderreihung von Massakern, ein Versteckspiel im Tempel und mehrere explodierende Landminen nach sich zieht, erschließt sich schlicht nicht. Die zweite Hälfte voller deplatziertem satirischem Trash wirkt beinahe wie ein anderer Film. Vielleicht haben Lee und Kevin Willmott hier verstärkt auf den ursprünglichen Drehbuchentwurf von Danny Bilson und Paul De Meo zurückgegriffen. Es würde passen, denn die beiden Autoren schrieben hauptsächlich Superhelden-Stories – unter anderem für Disney.

Doch trotz des zeitweisen Wirrwarrs, ist man sich am Ende von „Da 5 Bloods“ seiner Substanz bewusst, seiner unbeirrbaren Haltung und dem eindeutigen künstlerischen Anspruch. Gut unterhalten fühlt man sich sowieso. Und das ist schon um so einiges mehr, als man im oftmals lieblos dahinproduzierten Überangebot der Streamingdienste erwarten kann.

„Da 5 Bloods“ von Spike Lee, seit 12. Juni 2020 auf Netflix im Stream verfügbar

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Netflix, David Lee
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