Das Gefühl in ihrer Mitte


"Es geht um eine Haltung, um Ehrlichkeit im Umgang mit der Musik" Die berührende Innerlichkeit der Fleet Foxes ist keine Zauberei. Oder etwa doch?

Vielleicht sollte Robin Pecknold zu drastischeren Maßnahmen greifen, um gewissen Vorurteilen vorzubeugen. Vielleicht sollte er sich diesen Satz, den er eben mit Nachdruck gesagt hat, einfach auf die Stirn tätowieren: „Ich bin kein Hippie!“ Vielleicht würde es aber schon genügen, wenn der 23-jährige Folkschrat sein wallendes Haupthaar kürzte, seinen Vollbart stutzte – und davon Abstand nähme, so sehnsüchtig von der unberührten Natur und den Jahreszeiten zu singen.

Dann allerdings wären die Fleet Foxes nicht mehr die Fleet Foxes, als die sie im vergangenen Jahr die Menschen bezaubert haben. Mit einer Musik, so klar und rein, dass sogar die Luft in jedem Raum klarer und reiner riecht, der von den magischen Melodien von Songs wie „White Winter Hymnal“ oder „Ragged Wood“ beschallt wird. Woher also rührt dieser Zauber, warum ist er nicht faul, und woher kommt dieser schulterzuckende Wille zu vollblütigen Harmonien, wenn nicht aus einer, sorry, hippiesken Haltung? Pecknold lächelt, versteckt nun beide Hände in den Armein seines grünen Pullovers und wiederholt: „Ich-bin-kein-Hippie. Ich meine, zu seiner Zeit hatte das etwas für sich. Aber seit Charlie Manson ist es damit vorbei. Ich bin auch nicht der Typ, der Glücksbringer trägt oder Pfauenfedern sammelt.“

Es ist spät am Nachmittag, und wir sitzen in den Katakomben des Huxley’s beisammen, dem barocken Club in Berlin-Kreuzberg, wo die Fleet Foxes am Abend ihr letztes Konzert geben, bevor die Band heimfliegt ins ferne Seattle. Das können Pecknold und seine Bandkollegen kaum mehr erwarten. Sie haben Heimweh. Backstage kauern Pecknolds Kumpel in tiefen Sesseln vor den Bildschirmen ihrer Laptops, als wären es Fenster in die Heimat.

Die Fleet Foxes mögen zu den überraschenden Newcomern des Jahres zählen, aus dem Nichts aber kommt keiner von ihnen: Pecknold war Teil der süßlichen Popband Dolour, Joshua Tillman, der im Frühjahr 2008 Nick Peterson am Schlagzeug ersetzte, macht sich mit Soloalben einen Namen, von denen das jüngste in diesen Tagen nun auch hierzulande erscheint. Casey Wescott und Christian Wargo erschaffen mit ihrem eigenen Projekt Crystal Skulls weiche, harmonische Elektromka. Robin Pecknold hielt sie schon immer für „die beste Band in Seattle“.

Nun ist Seattle immer noch eine Chiffre, die vor allem für den Grunge steht, den Rock-Urknall der 90er, für sägende Gitarren und wütenden Weltschmerz. Für junge Männer in karierten Holzfällerhemden, wie sie auch die Fleet Foxes gerne tragen. Vom Grunge mag nur eine wehmütige Erinnerung geblieben sein, das damals tonangebende Label Sub Pop aber operiert noch immer aktiv und inspiriert aus der Stadt am Pazifik – und hat die Fleet Foxes unter Vertrag (für die USA). „Für uns war das zwar schön „, räumt Pecknold ein und streicht sich dabei einmal mehr die langen Haare glatt, „aber die sind heute völlig anders aufgestellt.“

Als Nirvana mit „Smells Like Teen Spirit“ die Welt eroberten, kam Robin Pecknold gerade in die Schule – und hält heute die Zeiten, da eine Stadt noch für einen bestimmten Sound stehen könnte, für endgültig vergangen: „Ich denke, es geht eher um eine Haltung. Um eine gewisse Ehrlichkeit und Offenheit im Umgang mit der Musik. Woher diese Musik kommt, ist aber egal. Es hat sich alles dezentralisiert.“ Blitzen Trapper beispielsweise, eine befreundete Band, kommen aus Portland. Andere Kollegen, die von den Fleet Foxes geschätzt werden, musizieren an so unterschiedlichen Orten wie „Atlanta, Toronto oder Edinburgh“, sagt Pecknold. „Es ist eine weltweite Sache geworden… ?“

Seine Sätze beendet er gerne damit, dass er den Ton ein wenig fragend in die Höhe zieht. Ein Effekt, der jeder Aussage den Charakter des ungefähren, unfertigen gibt. Überhaupt wirkt der Künstler gar nicht großspurig, eher wie ein zauseliger, von Zweifeln angekränkelter Student der Politologie. Gefragt, was er denn neben der Musik so richtig gerne tut, bekommt er leuchtende Augen: „In die Natur der Bühne, vor Hunderten von Leuten, scheitert die Kommunikation mit dem Publikum wiederholt an Pecknolds konsequentem Underacting. Genau hier kommt Aja ins Spiel, Pecknolds engelsgleiche Zwillingsschwester. Vor dem Durchbruch der Band arbeitete sie als Musikjournalisrin beim Seattle Weekly, nun koordiniert sie die Termine ihres Bruders und bearbeitet auf der Bühne manchmal ein paar Bongos.

Ein rührendes Gespann. Zusammen haben sie schon in ihrer Kindheit die Plattensammlung ihrer Eltern geplündert, „Beach Boys, die Byrds, die Zombies, solche Sachen“, erzählt Pecknold. Vinyl! „Deshalb interessiere ich mich ja auch so sehrflir Cover, wie den Breughel (das Cover des Fleet-Foxes-Debüts ziert ein Gemälde des niederländischen gehen, mit Freunden. Zelten. Das werden wir machen, sobald wir wieder daheim sind und es etwas wärmer wird. Rausgehen und dort bleiben, baden gehen und abends Feuer machen.“ Vielleicht ist er tatsächlich kein Hippie, nur ein Pfadfinder. Dabei bleibt sein Auftreten so bescheiden und ungelenk, dass er es auch auf der Bühne nicht ablegen kann. Keiner, der um irgendwas viel Aufhebens macht, schon gar nicht um sein enormes Talent. Sogar auf Renaissance-Malers Pieter Brueghel der Ältere -Anm. d. Red.). Das erinnerte mich immer ein wenig an eine alte Platte von Deep Purple mit einem Cover von Hieronymus Bosch (the book of taliesyn – Anm. d. Red.). Ich mag die vielen Ebenen. Auf den ersten Blick sieht es einfach nur schön aus. Auf den zweiten Blick fallen dir all diese schrägen Sachen auf, die da abgehen. Und wenn du dich dann informierst, stellst du fest, dass es sich dabei umgemalte Redewendungen handelt. Das Bild belohnt dich also, wenn du dir damit ein wenig Mühe gibst, und das trifft auch auf die Musik zu.“

Die beiden Fleet-Foxes-EPs waren bei Weitem noch nicht so subtil vielschichtig und klanglich autonom wie das Albumdebüt – sondern erinnerten deutlich an Vorbilder wie Neil Young oder die Beach Boys. Woher dieser Wandel und auch dieser Schritt ins Progressive? Pecknold fühlt sich geschmeichelt, was man daran erkennen kann, dass er nun versucht, seine langen Haare unter dem Kinn zu verknoten: „Ich… ich habe meine Arbeitsweise geändert, das wird es vielleicht sein. Wir komponieren etwas, in der Regel um eine ausgedehnte Vokalharmonie herum, und legen es dann wieder weg. Später komponieren wir etwas anderes, und möglicherweise fügen wir irgendwann diese beiden Songs zu einem zusammen. Außerdem versuchen wir, das übliche Refrain-Strophe-Refrain-Schema zu vermeiden.“

Später dann am Abend singt Robin Pecknold das letzte Lied dieses letzten Konzerts der kompletten Tournee ganz allein, ganz vorne von der Bühnenkante aus. Ohne Verstärker für seine Gitarre. Ohne Mikrofon. Ganz allein und ungeschützt stürzt er sich in den irrsinnigen Versuch, die Halle nur Kraft seiner Lungen zu besingen. Das Publikum, verblüfft und berührt, verharrt totenstill. Der Mann ist kein Hippie und auch kein Pfadfinder. Er kann einfach nur zaubern.

www.myspace.com/fleetfoxes

STORY ME 8/08; ALBUMKRITIK & COVERVISIONEN ME 9/08; KONZERTKRITIK 11/08