Das heiße Musik-ABC


Doom Metal? Gangsta Rap? Grunge? Club Soul? Jede Stilnische hat, das ist völlig normal, ihre eigene Sprache, mit der sie sich prima verständigen kann. Nachteil: Der Rest der Welt versteht immer nur „Bahnhof“. Nicht verzagen – keiner muß draußenbleiben. ME/Sounds entwirrt auf acht Seiten das babylonische Fachwörter-Knäuel, erklärt in diesem Lexikon die aktuellen Musikstile und gibt Plattentips für Einsteiger bis Genre-Profis.

AGITPROP-RAP & NEXT SCHOOL

Die radikalen Positionen von Public Enemy und Boogie Down Productions stehen am Anfang einer völligen Erneuerung der HipHop-Szene, die immer mehr zur selbsternannten politischen und ideologischen Avantgarde der amerikanischen Black Community wird. Lange bevor sich der Begriff „Next School“ etabliert, schält sich eine politische Richtung heraus, die zunehmend das Image des ganzen Genres prägt. Die Wende zum Agitprop-Rap kommt 1987 mit „By All Means Necessary“ von BDP und „Bring The Noise“ von Public Enemy. Auf beiden Platten wird erstmals mit Malcolm X ein Wegbereiter der späteren Black Power-Bewegung ins Spiel gebracht.

Musikalisch leitet diese vierte Rap-Generation, vor allem Public Enemy, einen Umbruch ein: Ihr bewußt unsauber gehaltener Noise-Sound klingt gewissermaßen wie eine Fusion von Industrial und Techno, aber darunter liegt ein Funk-Groove, der den auf Streß und Schock berechneten Sound flüssig macht.

Public Enemy wirken auf die Rap-Szene wie ein Katalysator. Ihre theorielastigen Thesen werden öffentlich kontrovers diskutiert. Doch obwohl die Mehrheit der Rapper Public Enemy zustimmten, zogen sie den moderateren Standpunkt eines kulturellen schwarzen Nationalismus vor: Afrocenirik, ein Konzept aus der Geschichte des schwarzen Emanzipa- ¿

tionskampfes, wurde zum übergreifenden Bezugsrahmen. Der Stolz auf die afrikanische Kultur sollte nun die gemeinsame spirituelle Quelle bilden. Der Islam als gegen das christliche Amerika gerichtete Religion gewann an Bedeutung. Auch die Musik dieser nun als „Next School“ bezeichneten Strömung wurde zunehmend spiritueller und vielschichtiger. In dieser Atmosphäre hatten auch weibliche Rapper wie Queen Latifah oder Monie Love bessere Chancen.

WICHTIGE PLATTEN: Public Enemy: ,.It Takes A Nation Of Millions To Hold Us Back“; BDP: „By All Means Necessary“; Queen Latifah: „All Hail Queen Latifah“; De La Soul: „3 Ft. High And Rising“; X-Clan‘ „Xodus“

ALTERNATIVE POP

Popmusik der Postmoderne. R.E.M., mittlerweile längst zu internationalen Superstars aufgestiegen, initiierten den melodischen, folkangehauchten Gitarrenpop in den Achtzigern. Melodien zum Mitsingen mit hitverdächtigen Refrains, schöne Stimmen und wohlklingende Instrumente machen die Sparte zum kommerziellsten Bereich des Untergrunds. Die fehlende Rebellion in der Musik wird oft durch vehement nach außen getragenes Polit- und Umweltbewußtsein ersetzt. Die Musikalternative für naturverbundene Melancholiker und Weltverbesserer ist auch deswegen oft als „Studentenrock“ verschrien, der Ursprung der lästerlichen Bezeichnung liegt in den U.S.A.: Universitäten betreiben dort ihre eigenen Radiosender, welche hauptsächlich Musik der Alternativ-Sparte spielen. R.E.M. sind seit Jahren glaubhafte Lieblingskinder der College-Radios und Aushängeschilder des damit verbundenen Begriffs „College-Rock“.

Frei vom Akademikerballast bieten junge Bands wie die Schotten Teenage Fanclub heute eine härtere, aber insgesamt stark Beatles-orientierte Version dieser Spielart. Eines haben alle Vertreter — abgesehen von ihrer Begeisterung für bittersüße Melodien — gemein: die philosophische Grundhaltung: Alles ist vergänglich, und nichts, vor allen Dingen natürlich die Liebe, überdauert mehr als zwei Verse ihrer Songs. Stammväter: Beatles, Alex Chilton und Big Star. db’s. Aktuelle Vertreter: R.E.M., Teenage Fanclub, The Chilis, The Verlaines, The Smithereens, Matthew Sweet, Juliana Hatfield.

WICHTIGE PLATTEN: R.E.M.:

„Eponymus“; The Teenage Fanclub: „Bandwagonesque“: The Chilis: „Submarine Beils“; Matthew Sweet: „Girlfriend“

CLUB-SOUL

Der Club Soul basiert auf einem percussiven und schleppenden Drum Sound, den schwarze Einwanderer von den Westindies (Karibik) nach England mitbrachten. Beeinflußt vom frühen amerikanischen Soul und vom aktuellen HipHop haben vor allem die 90 BPM-Down Tempo Sounds (normal bei Dance-Musik: 120 Beats per Minute) von Soul II Soul dieses Genre geprägt. Auch hier spielen weibliche Soul-Stimmen, häufig ergänzt durch männliche Raps, eine zentrale Rolle.

Club Soul ist nicht auf die tetzende Großdisco zugeschnitten, sondern eher auf kultivierte Geselligkeit des mittelgroßen oder kleinen Clubs. Er ist besonders tanzbar, aber man kann den in den Vordergrund gemischten Stimmen und Melodien auch an der Bar zuhören. Massive Attack, inzwischen nur noch „Massive“ genannt, haben 1991 eine mehr nach Underground und „Daydreaming“ klingende Street-Variante, den Baß-orientierten Briston-Sound, geschaffen.

WICHTIGE PLATTEN: Soul II Soul: „Club Classics Vol. 1“; The Enforcers: „Calm Down“; Massive: „Blue Lines“

DANCEHALL/ RAGGAMUFFIN

Jamaika genauso wie einige Londoner und New Yorker Stadtviertel werden seit mehr als zehn Jahren von der Musik der Reggae DJs beherrscht. Ob man es nun „Fast Style Toasting“, „Dancehall Reggae“ oder „Raggamuffin“ nennt — gemeint ist immer das gleiche: Der sogenannte Mike Chanter „toastet“ (rapt) oder singt (macht er beides, nennt man ihn „Singjay“) über einen mmimalistischen, computerisierten Dub-Reggae-Rhythmus.

Das Toasting ist ein sehr humorvoller und mundakrobatischer, meist sehr schneller Sprechgesang. Entwikkelt wurde der Stil von den mobilen „Sound Systems“ im Jamaika der späten 50er Jahre, als einige DJs damit anfingen, über die gerade laufenden Platten ihre improvisieren Kommentare zu „rappen“.

Diese nach und nach zum „Talk Over Reggae“ perfektionierte Plapperei wurde bald im Studio nachgestellt; jamaikanische Einwanderer brachten sie später in die USA.

HipHop basiert nicht zuletzt auf diesem DJ-Reggae, dessen härtere Variante den Namen der dahin- ¿

terstehenden Szene tragt — den Raggamuffins.

WICHTIGE PLATTEN: Daddy Yod: „King Daddy Yod“; Rebel MC: „Word, Sound & Power“; Diverse: „Raggamuffin/HipHop Vol 3“

DEATH METAL/ DOOM METAL

Noch schneller, lauter und härter als Thrash-Metal. Klingt wie Dampfwalze durch Metall, wie Bohrer auf Stahlbeton, der Gesang wird vollends unverständlich. Noch stärker als im Thrash wird der Tod zum Thema — in seiner gräßlichsten Form: Atomkriege, Umweltkatastrophen, Chemie-Seuchen, Massen-Massaker, perverse Abartigkeiten — negativ ist Trumpf. Slayer dürfen auch hier zu einer besonders wichtigen Inspirationsquelle gerechnet werden. Die Death-Band schlechthin aber heißt Death und kommt aus Florida (wie viele derartige Bands). Die meisten Death-Metal-Fans und -Musiker sind eigentlich nette Menschen, begründen ihre etwas anderen Vorlieben vor allem mit Langeweile, Verbrechen der Politiker und großen Industrie-Konzerne, Unverständnis der Eltern, der Lehrer und — der Mädchen (es gibt keine weibliche Death-Band!).

Der langsame Bruder von Death Metal heißt Doom Metal — die endzeitliche Zeitlupen-Dröhnung. Die Doom-Vorläufer waren die frühen Black Sabbath, Hauptvertreter heute: St. Vitus. Im Death Metal sind die Stammväter: Sfayer. Venom. Celtic Frost, Death, Morbid Angel. Aktuelle Vertreter Death, Celtic Frost, Deicide, Fear Factory, Autopsy, Cannibal Corpse, Paradise Lost, Type-O-Negative, Re-Animator.Entombed …

WICHTIGE PLATTEN: Death: „Scream Bloody Gore“; Morbid Angel: „Altars Of Madness“; Terrorizer: „Terrorizer“: Fear Factory: „Soul of A New Machine“

FOXCORE

Bis Frauen es so richtig krachen ließen, verging eine ganze Weile. Die erste Band, die auch harte Jungs so richtig ernst nahmen, waren die Runaways aus Los Angeles, mit Cherrie Currie als Sängerin und Joan Jett an der Leadgitarre. Doch nach der vierten LP waren die beiden dermaßen zerstritten, daß Joan Jett 1978 bereits ihre eigene Wege ging.

Als sich Ende der 80er Frauen im Rap etabliert hatten, legten sie auch im weißen Untergrund los und befreiten sich vollends von jenem Arsch & Titten-Image, unter dem die Runaways noch gelitten hatten. Heute sind Hole, L 7 und die Babes In Toyland reine Mädchengruppen, die sich Anzüglichkeiten von doofen Typen verbitten — sonst gibt’s mehr als nur was auf die Finger. Musikalisch müssen sich die neuen Frauen-Bands — oft von Grunge, Hardcore und Hardrock beeinflußt — ohnehin vor niemandem mehr verstecken. Stamm-Mütter: Fanny. Runaways, Girlschool. Aktuelle Vertreterinnen: L 7, Babes In Toyland, Hole, Scrawl, Trashqueen.

WICHTIGE PLATTEN: Runaways: „Queen Of Noise“; Girlschool: „Demolition“; L 7: „Bricks Are Heavy“; Babes In Toyland: „Spanking Machine“; Trash Queen: „Manslayer“

FREESTYLE DANCEFLOOR

Viele Musiker und Konsumenten, deren musikalische Orientierung von Punk und Gitarrenbands geprägt ist, wollen einerseits die musikalische Revolution nicht ignorieren, die von HipHop und den neueren Dancefloor-Stilen ausgeht, und andererseits ihre eigene Prägung nicht einfach verleugnen. Eine der ersten Bands, die zwischen beiden Seiten eine begehbare Brücke schlug, waren die kalifornischen Beatnigs, heute Disposable Heroes Of Hiphoprisy. Sie fusionierten musikalische Elemente und Attitüden von HipHop. Industrial und Punk zu einem militanten und dennoch groovenden Stil. Ihre Freunde von Consolidated sampleten nur kurze Zeit später Public Enemy und Adrian Sherwood. während der weiße Rapper MC 900 Ft. Jesus verzerrte Klangstrukturen schuf, die er über Funk Beats ausbreitete. Dieser experimentelle Dancefloor Freestyle bringt sozusagen täglich neue Crossover-Kombinationen hervor, die alle dem oben genannten Interessenkonflikt geschuldet sind. Nachteil hierbei: Die exzessive Spielerei an den vielen bunten Knöpfchen von Keyboards, Samplern und Computern führt oft zu einer musikalischen Beliebigkeit, die allenfalls geeignet ist, bisherige Grenzen des guten Geschmacks nach unten auszuweiten.

WICHTIGE PLATTEN: Beatnigs: „The Beatnigs“; Consolidated: „Friendly Fascism“; Heads Up: „Duke“

FUNK METAL

Urvater der explosiven Mischung aus schwarzen Rhythmen und weißen Gitarren-Explosionen waren in den 70ern Mothers Finest, die charismatische Band um die farbige Sängerin Joyce Kennedy. Auch Musiker wie George Clinton oder Sly Stone hatten nie Angst, schwarze Grooves um Heavy-Gitarren anzureichern. In den 80er Jahren war es allerdings relativ ruhig um den Funk-Metal. Nur die Red Hot Chili Peppers und einige Gleichgesinnte werkelten vor sich hin — bis vor zwei Jahren eine wahre Funk-Metal-Welle anbrandete. Deutsche Gruppen wie die Freaky Fukin‘ Weirdoz machten neben Bands wie Living Colour und Infectious Grooves von sich reden. Herausragendste Merkmale der Funk-Metaller: SlapBass, kaputter Daumen, bunte Klamotten. Stammväter: Sly Stone, George Clinton, Mothers Finest. Aktuelle Vertreter: Freaky Fukin‘ Weirdoz, Fishbone, Red Hot Chili Peppers, Living Colour.

WICHTIGE PLATTEN: Mother Finest: „Another Mother Further“; Funkadelic: „Maggot Brain“; Living Colour: „Times Up“; Red Hot Chili Peppers: „Freaky Styiey“

GARAGE HOUSE

Larry Levan. ein Freund von Frankie Knuckles. eröffnete bereits Ende der 70er Jahre in New York die Discothek „Paradise Garage“, deren Anlage die beste im Land gewesen sein soll. Als dann House Sounds populär wurden, mixte Levan bevorzugt Soulorientierte Titel unter die neuen Scheiben und schuf damit den typischen Garage-Sound, seit 1988 auch Deep House genannt. Deep House ist die New Yorker Spielart des House Sounds: Er hat eine komplette Songstruktur und bietet richtigen Soulgesang. Zu den herausragenden Repräsentanten dieses Stils zählt seit 1987 das Trio Ten City aus Chicago, das seinen House Sound mit Gitarre, Keyboard und Falsettstimme fast handwerklich produziert. Im vergangenen Jahr gelang den Veteranen unter den Deep House-Produzenten wie Steve „Silk“ Hurley, Marshall Jefferson und Kenny Gonzales ein überraschendes Comeback.

WICHTIGE PLATTEN: Ten City: „No House Big Enough“; Diverse: „Paradise Regained“; Reggie Hall: „Music“, Master Of Work: „Our Mute Hörn“; Paradise’s Deep Grooves: „Innermind“

GANGSTA RAP

Die South Bronx m New York galt in den ersten Jahren des Rap als die einzig wirklich authentische Heimat dieses Musikstils. Aus der Bronx zu kommen adelte damals jeden Rapper. Selbst der benachbarte Stadtteil Brooklyn galt in den ersten Jahren als völlig uncool. An die Stelle der Bronx sind inzwischen South Central und Compton im entfernten Los Angeles getreten. Dort führte man jene Tradition fort, die man an der Ostküste zugunsten der Afrocentrik aufgegeben hat: den lokalbornierten Bezug der Reime aufs Territorium. Im warmen aber krisengeschüttelten Kalifornien sprechen die Rapper immer noch in erster Linie von sich selbst und ihrem Viertel, von Sex und Gewalt. Mit diesem seit 1986 existierenden Konzept setzten sie sich inzwischen an die Spitze der Verkaufscharts. Über die Dominanz des West Coast Raps ärgerte man sich im Osten ohne Ende und wehrt sich neuerdings mit Titeln wie „Fuck Compton“ (Tim Dog).

Heute sind Namen wie NWA. lee Cube und Ice-T die gut eingeführten Markenzeichen des Genres Gangsta Rap und Pimp Rap (Pimp = Zuhälter).

WICHTIGE PLATTEN: Diverse: „Westcoast Rap/The First Dynasty“ NWA: „Straight Outta Compton“: Above The Law: „Livin‘ Like Hustlers“; Boo Ya Tribe: „New Funky Nation“; IceT: „O.G.“

GRINDCORE

Entstand etwa zeitgleich mit Death-Metal gegen Ende der 80er Jahre. Von einigen als sinnloser Lärmbrei verspottet, kann Grindcore doch eine äußerst amüsante Angelegen¿

heit sein — zumindest für diejenigen. die auf das Scheppern von Blechdosen, das Dröhnen von Metallfräsen und das Hämmern von Straßenwalzen stehen. Der Sound wurde zuallererst in England perfektioniert. Napalm Death. Carcass, Bolt Thrower. Extreme Noise Terror, Paradise Lost (genial zwischen Dealh, Grindcore und Industrie) fallen hier besonders (un)angenehm auf. Weitere Merkmale: Kurze Stücke (zwischen drei Sekunden und einer Minute), der Sänger klingt wie Schwein (grunz, gröhlt, furzt, brüllt), die Gruppenmitglieder stehen auf innere Organe, Grabexhuminierungen, Leichenschändungen und … sind am Ende doch meistens alle Vegetarier. Kultfilm aller einschlägigen Fans ist übrigens Texas Chainsaw Massacre. Eben. Stammväter: Kreissägen. Preßlufthämmer und alle sonstigen denkbaren Geräusch-Rohstoffe der westlichen Welt. Aktuelle Vertreter: Napalm Death, Carcass, Bolt Thrower, Paradise Lost, Sore Throat. Brutal Truth, Extra Hot Sauce, Extreme Noise Terror.

P.S. Der Übergang zu Death- und Industrial-Metal ist fließend, die Label für alle (Not)Fälle waren, sind und werden immer bleiben: Earache und Peaceville Records.

WICHTIGE PLATTEN: Napalm Death: „From Enslavement To Obliteration“; Extra Hot Sauce: „Taco Of Death“; Lawnmower Death: „Return Of The Babulous Metal Bozo Clowns“; Brutal Truth: „Extreme Conditions Demand Extreme Responses“

GRUNGE

Alles begann, als Mudhoney 1989 „Touch Me I’m Sick“ auf dem kleinen SubPop-Label aus Seattle herausbrachten. Schon vorher hatte die Untergrund-Szene im Nordwesten Amerikas vor sich hin gebrütet. Aber bis zum Auftauchen Mudhonevs hatte ihr heulendes, noisig-verzerrtes Funk-Rock-Heavy-Gemisch noch niemand so richtig wahrgenommen. Doch „Touch Me I’m Sick“ schlug ein wie eine Bombe — und SubPob-Hausproduzent Jack Endino veröffentlichte bald Schallptatten wie Karnickel Junge werfen. Das neue am sogenannten Grunge- oder Crunch-Sound war, Punk-Energie mit Heavyund Hardrock der Seventies zu verschmelzen. Feedback und anderer Lärm ging Hand in Hand mit rüder Schlagzeug-Power, bluesigen Rhythmen und endlich wieder langen Gitarren-Soli. Und als schließlich Nirvana ihre zweite LP („Nevermind“) herausbrachten, war’s um die Teenies auch schon geschehen: Der Seattle-Sound ging um die ganze Welt. Stammvater: Stooges, MC 5. Blue Cheer. Green River, Mudhoney, Soundgarden, Mother Love Bone. Aktuelle Vertreter: Mudhoney. Soundgarden, Pearl Jam, Love Battery. Heimet, Tad, Cosmic Psychos. Nirvana. Screaming Trees.

WICHTIGE PLATTEN: Mudhoney: „Mudhoney“; Nirvana: „Nevermind“: Screaming Trees: „Sweet Oblivion“

HARDROCK

Hard Rock war am Anfang nichts anderes als bis zum äußersten brutalisierter Blues-Rock. Was mit den wilden, abgedrehten Shows von Jimi Hendrix und The Who begann (Pete Townshend ist der Erfinder des „Guitar-Smashing“), fand mit den ersten beiden LPs von Led Zeppelin seinen Höhepunkt. Überlaut aufgedrehte Verstärker. Macho-Posen, Lautstärke bis zum Abwinken. Der englische Arbeiterklassen-Sound von Led Zep. Black Sabbath und Deep Purple fand bereits 1967 sein Gegenstück in den Ami-Lärm-Pionieren von Blue Cheer und später von Aerosmith. Grand Funk Railroad und Alice Cooper. Heute gibt es zwei Varianten: den Melodic-Hard-Rock von Bands wie Bon Jovi oder Firehouse und die härtere, bluesigere Spielart (Alice In Chains. Danzig). Stammväter: Led Zeppelin, Black Sabbath, Deep Purple. Blue Cheer. Aktuelle Vertreter: Danzig, Alice In Chains, Soundgarden, Poison, Warrant, Slaughter. Firehouse u.a.

WICHTIGE PLATTEN: Led Zeppelin: „II“; Black Sabbath: „Paranoid“: Deep Purple: „In Rock“; Alice In Chains: „Dirt“; Soundgarden: „Louder Than Love“; Bomb: „Hate Fed Love“

HARDGORE

Hardcore entstand Ende der 70er. gerade als dem Punk der Dampf ausging und New Wave groß in Mode kam. Damalige Zentren: Kalifornien und Washington/DC. Anfangs von Metallern und traditionellen Punks als reiner Lärm verlacht, gaben die damals härtesten Bands — Dead Kennedies. Black Flag, Minor Threat, Hüsker Du und Government Issue — für die meisten späteren Crossover-, Thrash-Metalund Underground-Rock-Gruppen wichtige Impulse. Besonders Ian McKaye von Minor Threat (heute: Fugazi) und Yello Biafra von den Kennedies ist es zu verdanken, daß Respekt und Toleranz wieder in die Szene einzog und die lang verfeindeten Metaller und Punks ihren Haß aufeinander langsam begruben. Die allseits beliebten Feudentänze Pogo. Slamdance und Stagediving sind inzwischen überall zu finden, im Lemonheads-Gig genauso wie bei Testament oder Victim’s Family. Stammväter: Black Flag, Minor Threat, Dead Kennedies. Misfits, Minutemen, Hüsker Du, Germs. Bad Relieion. Aktuelle Vertreter: Hard-Ons. Fugazi, Agnostic Front. Dag Nasty. Samian, Sick Oflt All.

WICHTIGE PLATTEN: Dead Kennedies: „Dead Kennedies“: Black Flag: „Damaged“: Bad Brains: „I Against I“: Bad Religion: „No Control“; Dag Nasty: „Four On The Floor“: Hüsker Du: „New Day Rising“; Fugazi: „Repeater“

HARDCORE RAP

In den USA wird Gangsta Rap gerne als Hardcore HipHop interpretiert. Diese Kennzeichnung zielt allerdings mehr auf die Haltung als auf die Musik. Nach europäischen Maßstäben sind NWA aber keineswegs „hardcore“. Dieser Begriff trifft eher auf Public Enemy und sodann auf viele britische Rapper, etwa auf Hijack. Gunshot und Silver Bullet zu. In diesen Fällen hat die beliebte Interpretation (mit deren Hilfe es das bürgerliche Feuilleton immer wieder schafft, auch HipHop-Themen intellektuell zu würdigen) von „HipHop als dem Punk von heute“ eine gewisse Berechtigung, denn dieser Rap ist laut, schnell und offensiv. In England kommen die Hardcore-Einflüsse tatsächlich vom Punk, in den USA eher vom Heavy Metal.

WICHTIGE PLATTEN: Silver Bullet: „Bring Down The Walls“; Hijack: „The Horns of Jerico“; Gunshot: „No Sellout“

HOUSE

House ist der Oberbegriff für sämtliche Formen des modernen Dance Vier pochende Schläge der Bassdrum bilden das Gerüst für alles weitere Diese Musik wurde 1987 in Chicago von dem New Yorker Frankie Knuckles und dem Radio DJ Farley Jackmaster im Studio der legendären Schwu-Icnbar „Warehouse“ aus Drum-Maschinen-Beats, Discomusik, Philadelphia-Sounds und europäischem Electropop (Brian Eno, Kraftwerk, Yazoo, Depeche Mode) herausdestilliert. um sich danach hundertfach zu verzweigen: Acid House, Deep House, Ska House, Ragga House, Hip House. Jazz House. Ambient House. Italo House. Techno House etc. House war die Neuerfindung von Dance, nach seinem Beat tanzt heute die Welt. Jede zweite Popgruppe verwendet ihn, Avantgardisten wie Cabaret Voltaire zollen ihm Respekt, er unterwandert Rap und Reggae, Jazz und Funk.

WICHTIGE PLATTEN: Diverse: „The History Of The House Sound Of Chicago“: The Todd Terry Project: „To The Batmobile Let’s Go“. Mr. Finger: „Closer“: Adeva: „Love Or Lust“; Hypnotone „A.l.“

INDUSTRIAL

Es gab einmal eine Zeit, da war Industrial die Schattenseite vom Anfang der 80er Jahre. Klänge, scheinbar aufgenommen aus vollautomatisierten Warenherstellungskonglomeraten — unbeseelt, kalt, gefühllos. Menschen gab es in dieser Musik nie. Außer an den Orten, an denen sie gemacht, besser: programmiert wurde. Kraftwerk ist noch das netteste, früheste, positivste Beispiel für Maschinenmusik. Doch schon Throbbing Gristle klingen wie Zahnarzt mal Autowerkstatt. Yello aus der Schweiz gaben sich, bevor wie poppig wurden, kühl-elegant-elektronisch. SPK aus Belgien waren eine Spur statischer, geklönter, unpersönlicher, auch experimenteller. Cabaret Voltaire und Clock DVA brachten Groove und Rhythmus in den Industrial-Sound, die Neubauten die verletzt-morbide Deutsche Seele, Alien Sex Fiend kruden Computer-Sex und die kanadischen Ministry extrem laute Brachialität. Noch später verbanden Laibach aus Slowenien Metal und Volksmusik mit stolpernden Maschinensounds (Konzept-Hirn-Industrial). und Gore aus Holland krochen genial aufs Böseste und Langsamste durch lang schon tote Industrial-Metal-Welten zwischen Hades und Holle. Bis zum Techno-Sound war es dann nur noch ein kurzer Sprung. Sehr gute Industrial-Grindcorer der Gegenwart: Godflesh und Kong. Stammväter: Kraftwerk. Throbbing Gristle. SPK, Einstürzende Neubauten. Cabaret Voltaire. Clock DVA. Chrome. Aktuelle Vertreter: Einstürzende Neubauten. Young Gods, Treponem Pal. Nine Inch Nails. Kong. Godflesh. Ministry. Clock DVA.

WICHTIGE PLATTEN: Throbbing Gristle: „20 Jazz-Funk Greats“: Clock DVA: „Man-Amplifier“; Godflesh: „Streetcleaner“: Chrome: „The Cronicles i“

JAZZ RAP

Vor etwa zwei Jahren begannen Hip-Hop-Gruppen wie Gang Starr, Dream Warriors, Young Disciples, Skatemaster Täte oder Jungle Brothers Jazz von Louis Armstrong, Charlie Parker. Donald Byrd oder Dizzy Gillespie zu samplen oder gleich — wie A Tribe Called Quest — von Jazzmusikern wie Ron Carter einspielen zu lassen. Auf der anderen Seite verfielen immer mehr Jazzer dem HipHop, etwa Steps Ahead. Herb Alpert, Robin Eubanks oder Cassandra Wilson. In vielen europäischen Clubs und Discotheken vereinigte man die Resultate, ergänzt durch Latin-Grooves und Jazzfunk, zu einer Dancefloor Jazz-Bewegung, deren Vorreiter der Talkin‘ Loud-Gründer (und Schöpfer des nicht ganz ernst gemeinten Begriffes „Acid Jazz“) Gilles Peterson war. Der Rückgriff auf Jazz war im Rap eine fast unvermeidliche Innovation, weil der Hunger nach unverbrauchten Samples. nachdem man die Soul- und Funk-Grooves durchforstet hatte, zwangsläufig zum Jazz hinführte. Die jazzigen Improvisationen, mal als simple Standard-Breaks, mal aufwendiger produziert, haben das Hip-Hop-Schema aufgelockert. Daß dieses Subgenre dann von Zeitgeistblättern zum „anspruchsvollen“ HipHop stilisiert wurde, veranlaßte Rap-Gruppen wie Gang Starr zu nachdrücklichen Imaßekorrekturen.

WICHTIGE PLATTEN: Skatemaster Täte: „Do The Skate“; Working Week: „Black & Gold“; Ronny Jordan: „The Antidote“; Diverse: „Rebirth Of Cool“; Cassandra Wilson: Jumpworld“ ¿

NEODISCO

Einer der Überlebensbedingungen der Pop-Branche ist es, zur rechten Zeit das Neue Ding zu präsentieren. Gestern noch war es Techno, heute Raggamuffin und nun Neodisco? Der Produzent Joey Negro hat, lange unbemerkt von der tanzenden Öffentlichkeit, vor geraumer Zeit den von ihm gemixten Platten ein paar unauffällige Disco-Zitate beigegeben: Syndrums, Handclaps, schnelle Hi-hats, ein paar Philly-Streicher und das beliebte spacige „Biiiing-Biiiing“-Geräusch von Anita Wards „Ring My Bell“.

Nach dem überraschenden Comeback der Disco-Veteranen Chic tauchten dann in diesem Frühjahr die ersten Neodisco-Sampler auf. Mit Akai-Samplern hat man die besten Passagen aus den alten Disco-Hits herausgefiltert und sie mit percussiven House- und Garage-Tracks kombiniert. Dabei entstehen durchaus interessante Kombinationen, aber letztlich klebt man momentan noch allzu sklavisch an den Oldies.

WICHTIGE PLATTEN: Kenyatta: „Love Again“; DJ Jazzy Jeff & Fresh Prince: „Ring My Bell“; Chic: „Chicism“; Diverse: „Neo Disco Revolution“

NEW JACK SWING

Als „Swing“ bezeichnet man sowohl den Jazzstil der 30er Jahre als auch eine, durch absichtlich eingebaute rhythmische und melodische Ungenauigkeiten erzielte Irritationstechnik in der Black Music. Die seit einigen Jahren in den USA populäre und in Europa ungeliebte Verbindung von computerisierten HipHop-Beats und Soulgesang oder von Rap mit Soulbeats bzw. Funkbeats und harmonieorientierten Vocal Groups wird als New Jack Swing oder Swingbeat bezeichnet. Die Spannbreite dieses, wesentlich von Teddy Riley entwickelten Stils umfaßt Basis Black, Heavy D, Bell Biv Devoe, Bobby Brown und gelegentlich auch Run DMC und Michael Jackson, Uptown Records in New York ist seit 1982 das aktivste Swingbeat-Label.

Sein Eigner Andre Harrel hat neben der Musik auch gezielt an einem New Jack-Kodex mit speziellem Slang und eigener Designermode gearbeitet. New Jack Swing ist die Musik aufstiegsorientierter B-Boys, die damit auch im feinen Broker-Zwirn das Tier raushängen lassen können.

WICHTIGE PLATTEN: Wrecks N‘ Effects: „Wrecks N‘ Effects“; R. Kelly & The Public Announcement: „Born In The 90’s“; Bobby Brown: „Bobby“

NEWSCHOOL

1986 war das goldene Jahr für Run DMC und die Beastie Boys, und damit für die dritte Rap-Generation. Während die Pioniere noch funkige Elemente in den Vordergrund stellten, wandte man sich ab 1984 dem Hardrock zu. „Walk This Way“, das Aerosmith-Cover von Run DMC, und „She’s On It“ von den Beastie Boys sind große Hits dieses Genres, das jedoch schon bald künstlerisch wie inhaltlich in eine Sackgasse geriet, die fast das Ende des Rap bedeutet hätte.

Die damals übliche Praxis des Drang (gezielte Beleidigung der Konkurrenten) führte, zusammen mit den goldenen Statussymbolen, zu einem äußerst destruktiven Klima mit einem ausgeprägten Konsumfetischismus, egozentrischen Prahlereien und frauenverachtendem Machogehabe. Doch erst die New School hat das weiße Publikum an den Rap herangeführt (mit entsprechender Vergrößerung der Umsatzzahlen) und zugleich die Aversion schwarzer Konsumenten gegen Rock-Einflüsse durchbrochen, die bereits Jimi Hendrix zu spüren bekommen hatte. Ohne die New School wäre weder die Kooperation zwischen Public Enemy und Anthrax möglich gewesen, noch Ice-T’s Rockformation Body Count und vielleicht auch nicht der J. J. Cale-Einfluß bei de Basehead.

WICHTIGE PLATTEN: Run DMC: „King Of Rock“: Beastie Boys: „Licensed To Kill“; LL Cool J: „Walkin‘ With A Panther .

OLD SCHOOL

HipHop wurde in seinen Anfangstagen schlicht Rap genannt, weil der gereimte Sprechgesang als das zentrale Stilmittel verstanden wurde, für das die DJs nur die rhythmische Unterlage schufen. Rap war anfangs vor allem Live-Performance, virtuose Cut & Mix-Technik mit zwei Plattenspielern, einem Mischpult und einem MC (wahlweise mit Mike Chanter oder Master Of Ceremony zu übersetzen) am Mikrophon. Die Single „The Personality Jock“ von King Rim IÜ aus dem Jahr 1979 war der erste auf Vinyl gepreßte Rap. Während die erste Rap-Generation. etwa Grandmaster Flash, noch Chic, Blondie und Queen verarbeiteten, orientierte sich der legendäre Afrika Bambaataa an George Clin-1 tons P-Funk und am avantgardistischen Electro-Sound von Kraftwerk, vor allem an deren „Trans-Europe Express“. Jetzt rückten Drum-Computer und Synthies in den Vordergrund. Der daraus resultierende Electric Funk verselbständigte sich teilweise gegenüber dem Rap zu Dancefloor-Instrumentals, die auch heute nichts an Aktualität eingebüßt haben. Viele dieser „Rap-Oldies“ gelten heute als Klassiker und werden zunehmend auf CD wiederveröffentlicht.

WICHTIGE PLATTEN: Diverse: „Back To The Old School“; Diverse: „Street Jams/Electric Funk“; Diverse: „Tommy Boy/Greatest Beats“

POP RAP

Aus Kalifornien kommen mit Hammer, Tone Loc, Digital Underground und Young MC auch wichtige Vertreter des Pop-, Comic- und Designer-Rap, dem vom Osten aus PM Dawn. DJ Jazzy Jeff und De La Soul zuarbeiten. Die Vorstellung von Ausverkauf und Verrat und die dazugehörigen Feindbilder Vanilla Ice und Hammer bestimmen längst nicht mehr die Beziehung zwischen HipHop und Pop. Seit etwa zwei Jahren existiert ein magisches Dreieck mit den Eckpunkten HipHop — Dancefloor — Pop. Die Genres durchdringen sich gegenseitig. Popgruppen verpflichten Gastrapper; Rap-G nippen wie PM Dawn oder Definition Of Sound samplen Spandau Ballet / oder machen komplette Popalben, KRS-One arbeitet mit R.E.M. und Billy Bragg i zusammen. Vom Rap leiht sich Pop etwas Härte oder überbrückt damit leerlaufende Refrains, während HipHop wiederum durch poppige Melodielinien sein Hitpotential erhöht.

WICHTIGE PLATTEN: P.M. Dawn: „Of The Heart, Of The Soul, Of The Cross“; Definition Of Sound: „Love & i Life“; Nef Ateri: „So Relaxing“

TECHNO

Mitte der 80er Jahre, als Sampler und Drumcomputer billig wurden, bot sich kreativen Leuten erstmals die Chance, zuhause Welthits zu produzieren. Techno ist das erste Genre in der Geschichte der jüngeren Popmusik, das sich ohne Hilfe der Plattenindustrie durchgesetzt hatte, bevor es von dieser Seite in den j Overkill getrieben wurde.

Auch Techno hat sich inzwischen in ! verschiedene Sub-Genres aufgefächert, vom poppigen Techno Soul der GenreBegründer Inner City aus Detroit über den Techno Reggae eines Gary Clail bis zum gemeinen Tekkno-Brett von Shut Up And Dance aus London. Die enervierenden Techno-Loops von Altern 8 zählen vielleicht zu den interessantesten, denn sie behandeln Techno nur als ein Moment der langen House-Gerichte, als Zitat also. Neben den Tekkno-Brettern haben sich verschiedene esoterische Techno-Richtungen entwikkelt: New Age House. Ambient Techno, Trance Dance.

WICHTIGE PLATTEN: Altern 8: ,.Overload-EP“: Diverse: „Area Cods 212“; Nightmares On Wax: „A World Of Science“: The Orb: „u. f. orb“; Gary Clail: „Human Nature“