David Crosby


Ein schießwütiger Drogensüchtiger, der aus sechs Entzugs-Kliniken flüchtete und schließlich wegen Fahrerflucht für ein Jahr eingebuchtet wurde: David Crosby hat wahrlich nichts ausgelassen. Sylvie Simmons traf einen wiedergenesenen R'n'R-Schelm.

Der Mann auf dem Sofa hat rosige Wangen, aber auf seiner Haut sind immer noch die Narben zu erkennen, wo er sich – das Hirn zerfressen von Heroin und Kokain – mit dreckigen Fingernägeln riesige Krater kratzte. Er sieht immer noch aus wie eine Mischung aus Walroß und Großwesir, eben wie David Crosby, der „Vater“ einer ganzen Hippie-Generation.

David Crosby ist wieder da – und er macht keine halben Sachen: ein neues Album von Crosby, Stills, Nash & Young, in den Staaten gerade mit Platin ausgezeichnet; ein Solo-Album, dessen Titel OH YES I CAN Durchhalteparole der Anonymen Alkoholiker sein könnnte; eine zur Veröffentlichung anstehende Platte mit seinem besten Freund Graham Nash; außerdem wird es nach einigen Gigs mit Roger McGuinn und Chris Hillman, auch noch eine Neuauflage der Byrds auf Vinyl geben.

Unbegreiflich aber wahr: Crosbys Wiedergeburt verdanken wir eben dem System, gegen das er und seine Zeitgenossen in den 60ern Sturm liefen – dem Anti-Hippie-Staat mit seinen Grundpfeilern Behörden, Gerichte, Strafvollzug. 15 Jahre Drogensucht hatten aus Crosby das aufgedunsene, halbtote menschliche Wrack gemacht, das in der Zeitschrift „Spin“ unter dem Titel „The Death of David Crosby“ folgendermaßen beschrieben wurde: „Ein paar Schneidezähne fehlen, seine Hosen sind zerlumpt. Am erschreckendsten ist sein bleiches, verschwollenes Gesicht, die sich überall schälende Haut. Es tut weh, ihn anzusehen. Der geistige Führer der Woodstock-Nation ist heule Sinnbild des Verfalls. „

Freunde – besonders Graham Nash und Jackson Browne, zusammen mit anderen Mitgliedern der „California Mafia“, von denen viele auf Crosbys neuem Solo-Album vertreten sind – versuchten einzugreifen, gaben ihm Geld, schleppten ihn in jede nur denkbare Art von Entzugsklinik.

„Ich war in sechs Kliniken und haute aus jeder wieder ab, manchmal schon nach einem Tag, manchmal nach sieben Wochen. Die sieben Wochen war ich nur drin, weil ich so lange brauchte, um rauszukommen. Der Laden war immer abgeschlossen. Aber ich schaffte es“, lacht er.

„Ich war ganz schön blöd! Ich hätte damals schon aufhören können, hätte mir das Gefängnis, den ganzen Mist ersparen können, aber nein! Es mußte wohl sein“, meint er achselzuckend.

Durch das Jahr im Gefängnis wurde er clean. Er hatte keine Wahl – sie gaben ihm keine Drogen. Ironie des Schicksals: Verurteilt wurde er wegen Fahrerflucht nach einem Unfall, bei dem nur ein Zaun zu Bruch ging, obwohl er vorher bereits mehrmals wegen unerlaubten Waffen- und Drogenbesitzes verhaftet worden war. Obwohl Crosby überzeugter „Peacenik“ und Atomkraftgegner ist, war er Mitglied der „Junior Rifle Association“, einer äußerst rechts angesiedelten Vereinigung von Waffenfetischisten, besaß bereits im zarten Alter von zehn Jahren ein Gewehr, wurde verhaftet, weil er in Los Angeles Frauen mit dem Ding herumscheuchte und schoß einmal einen bewaffneten Einbrecher nieder, der die Mutter seiner Tochter bedrohte. „Ziemlich verrückt, ja“, lächelt Crosby. „Es war schon widersinnig, daß die einzige Sache, die ich wirklich haßte und fürchtete, mir letztlich das Leben rettete. Aber sie waren sehr fair – selbst diese Rednecks in Texas. Der Richter sagte zu mir (er imitiert einen texanischen Akzent) ,Sohn, ich glaube, du nimmst das hier nicht so ganz ernst. Ich werde dir beibringen, es ernst zu nehmen. Du wanderst ins Gefängnis.‘ Und das nahm ich ernst! Das Huntsville-Gefängnis in Texas ist eines der berüchtigsten Gefängnisse auf der Welt – Wachtürme mit Maschinengewehren, Stacheldraht mit Rasierklingen obendrauf, Schlagstock-bewaffnete Muskelmänner. Wirklich heavy. Ich habe ziemlich ambivalente Gefühle, was diesen Ort anbetrifft: Auf der einen Seite war es wirklich grauenvoll, andererseits bin ich dort aus diesem langen Alptraum eines Junkie-Daseins aufgewacht.

Als ich rauskam, war ich wie betäubt. Ich fühlte mich wie jemand, der gerade aus dem Krieg zurückgekommen ist, gesehen hat, wie sie alles um ihn herum in Fetzen geschossen haben, und er kommt zurück und denkt, ,Bin ich wirklich hier? Ist das alles wirklich passiert? Kneif mich.‘ Aber es ist passiert. Und für das eine Jahr haben sie mir den Rest meines Lebens zurückgegeben, das war rückblickend ein ganz guter Deal, denke ich.“

Das Leben im Gefängnis hatte auch seine makaberen Seiten. Langjährige Insassen, die ihn routinemäßig zusammenschlagen wollten, beeindruckte er mit seiner Begabung, Schlösser zu knacken (diese Kenntnisse hatte er sich in grauer Vorzeit, noch vor dem Sex & Drugs & Rock’n’Roll, angeeignet, als er zum Zeitvertreib Autos klaute). Er wurde das Aushängeschild der Gefängnis-Band, in der unter anderem auch ein Massenmörder mitspielte.

Während dieser Zeit schrieb er einige der Songs für sein Solo-Album (das erste seit IF ONLY I COULD REMEMBER MY NAME, erschienen 1971). Nach seiner Entlassung verfaßte er zusammen mit seinem Freund, dem Schriftsteller Carl Gottlieb, seine Autobiographie „Long Time Gone“, die es auf die Bestsellerliste der „New York Times“ schaffte. Ein erstaunlich aufrichtiger Bericht über sein Leben und alles, was darin schief lief- er erspart einem nichts. Ob es die Freundin ist, die an seiner Stelle ins Kittchen wandert, weil er auch an Bord eines Flugzeugs nicht ohne Kanone auskommen kann, die chirurgische Wiederherstellung seiner von Kokain zerfressenen Nase oder die Beschaffenheit seines Stuhlgangs im Jahre 1983.

Wenn man seinen damaligen Zustand berücksichtigt, ist es ein Wunder, daß er sich überhaupt an irgend etwas erinnert.

„Darüber haben sich alle gewunden“, lacht er, „ich auch. Aber ich kann mich geradezu schmerzhaft klar an alles erinnern. Ich war oft kurz davor zu sterben. Überdosen Heroin, akute Vergiftungserscheinungen, Unfälle mit Totalschaden, Schießereien. Einmal war ich wirklich schon fast tot, sie haben mich wiederbelebt.“

Zur Zeit probt er mit seiner neuen Band – unter anderem mit James Taylors Gitarrist Danny Dugmore und Keyboarder Mike Finnegan. Er hat keine Angst, daß er auf Tour in alte Gewohnheiten zurückfallen könnte: „Die Leute in der Band sind alle straight, meine Frau ist auch clean und sie wird mitkommen. Aber es ist trotzdem nicht immer ein reines Zuckerschlecken.“