David Lynch über das Musizieren


Der bis heute dem Surrealen verpflichtete Künstler David Lynch machte sich in den vergangenen 35 Jahren vor allem als Regisseur einen Namen. Doch schon lange arbeitete er neben der Malerei und der Fotografie auch als Musiker und Komponist. Hier erzählt er, was ihn dabei antreibt.

Herr Lynch, Sie bezeichnen Ihre Musik als „modernen Blues“. Ist Ihnen der Blues, mit dem Sie aufgewachsen sind, zu altmodisch?

Nein, das kann man so nicht sagen. Ich bin mit Rock’n’Roll aufgewachsen. Rock’n’Roll ist dem Rhythm’n’Blues entsprungen, und Rhythm’n’Blues kommt aus dem Rockabilly. Ich liebe diese raue Kraft, die aus der „Hochzeit“ der Elektrizität mit einer Gitarre entsteht. Ich mag Elvis Presley, John Lee Hooker und diese Sachen.

Also ist Elektrizität das moderne Element?

In gewisser Weise ja. Mein Produzent Dean Hurley und ich haben mit Musik experimentiert, die auf dem Blues basiert – und versucht, sie in eine moderne Umgebung zu schubsen.

Die Single zum Album, „Good Day Today“, ist allerdings Clubmusik …

Ja. Das war ja auch der Anstoß für das ganze Album. Jemand brachte ein Mädchen mit und sagte: „Sie steht auf Dance.“ Da fragte ich mich: „Dance? Wie funktioniert das?“ Kurz danach hatte ich einen Text, und am nächsten Tag nahm ich mit Dean „Good Day Today“ auf. Ein Radio-DJ in L.A., der den Track spielte, hielt es für ein Stück von Underworld. Eine Plattenfirma wollte es vertreiben und bat um eine B-Seite, also gaben wir ihnen „I Know“, das schon wesentlich näher am Blues ist. Die Platte verkaufte sich gut, die Firma fragte, ob wir noch mehr Musik haben, und so kam das Album zustande.

Ihre Stimme ist auf dem Album meist manipuliert zu hören. Warum?

Um sie besser der Stimmung der Songs anzupassen. Und weil wir in dieser wunderbaren Welt leben, in der sich alles manipulieren lässt. Die Stimme ist dadurch bei jedem Song eine andere. Ich mag besonders die hochgepitchte. Wir manipulieren auch das Schlagzeug und die Gitarre. Sie klingt dann wie eine Maschine. Ich mag die Vorstellung, dass meine Gitarre mit Benzin läuft und einen alten V8-Motor aus den 50er-Jahren hat. Ein Ding, das qualmt und stinkt.

Haben Sie durch Ihre Mitarbeit an dem Projekt „Dark Night Of The Soul“ mit Mark Linkous von Sparkelehorse und dem Produzenten Danger Mouse viel für Ihr eigenes Album gelernt?

Ganz gewiss. Danger Mouse hat mich zu Hause besucht, um mich zu bitten, eine Fotoserie beizusteuern. Als er gerade ging, sagte ich spaßeshalber zu ihm: „Ich dachte, du würdest mich fragen, ob ich auf dem Album singen würde.“ Er dachte, ich mache einen Scherz und sagte: „Doch, doch, das wäre fantastisch!“ Und so kam es, dass ich tatsächlich zwei Songs auf diesem wundervollen Album singe. Ich kann kaum erklären, wie sehr mir das geholfen hat. Sie haben einmal gesagt, die Inspiration für die meisten Ihrer Filme käme aus der Musik. Woher kommt dann die Inspiration für die Musik?

Gute Frage. Von Filmen! (lacht) Nein, manchmal kommen die Texte aus der Musik, und manchmal kommen erst die Lyrics. Irgendwann ergibt sich eine kleine Geschichte … So sehe ich jeden Song: als eine kleine Geschichte mit Charakteren. Auf dem Album ist viel aus dem Jam hervorgegangen, also aus Akkorden, einem Gitarrenklang. Ein Jam besteht zu 80 Prozent aus Müll und zu 20 Prozent – wenn du Glück hast – aus Gold. Man nimmt das Gold, bearbeitet es, und hat einen Song.

Ist das Musizieren für Sie ein ähnlicher Prozess wie das Filmemachen?

Es ist eher wie Malerei. Ich brauche eine Idee, und dann folgt eine Abfolge von Aktionen und Reaktionen, um zu einem Ende zu kommen.

Also keine Bildhauerei, wo die Idee schon im Stein schläft, wo nur noch weggehauen werden muss …

Nein. Das ist ein sehr beängstigender Gedanke, so arbeiten zu müssen: etwas wegzunehmen und nur das dazulassen, was da hingehört – aber eben ohne die Möglichkeit, die „Undo“-Taste zu drücken.

Als Regisseur war Musik immer Teil Ihrer Kunst …

Musik machte immer schon 50 Prozent meiner Filme aus, und ich war daran immer beteiligt. Von Angelo Badalamenti, der u.a. die Musik für „Twin Peaks“ komponierte, habe ich dabei viel gelernt. Heute weiß ich, dass Musik eine Kunstform von eigenem Recht und eigener Kraft ist.

Albumkritik ME 12/11

David Lynch (65) machte sich bereits mit seinem Spielfilm-Debüt „Eraserhead“ (1977) einen Namen als Ausnahme-Regisseur. Das Angebot, „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ zu drehen, lehnte er ab, dafür setzte er das Mammutprojekt „Der Wüstenplanet“ in den Sand. Danach blieb er weitgehend dem surrealistischen, „Film noir“-geprägten Mystery- und Thriller-Fach treu. Schon früh arbeitete er auch aktiv an den Soundtracks seiner Filme mit, als Komponist, Texter und Musiker. Sein Einsatz für die TM-Organisation (Transzendentale Meditation), in deren Mittelpunkt das Erlernen und Propagieren einer Meditationstechnik steht, rief Sektenkritiker auf den Plan.