Der Bürger als Revolutionär – Bruce Cockburn


Klänge gegen Kanonen? Verse gegen Unterdrückung und Diktatur? Der engagierte Kanadier versucht's jedenfalls. Christiane Rebmann besuchte ihn in Toronto.

„Sun City“ ist eine tolle Platte. Wenn alle Leute im Pop-Business diese Energie und diese Intelligenz in ihre Love-Songs investieren würden, dann ginge das Niveau der Popmusik sofort steil nach oben. “ sagt Bruce Cockburn und grinst.

Er hat natürlich gut lachen. Denn der dunkelblonde Kanadier ist spätestens seit seinem 84er STEALING FIRE auch in Deutschland bekannt dafür, daß er anspruchsvolle Rockmusik mit tiefschürfenden Texten verbindet. „Ich find’s gut, daß sich auch mal die anderen Musiker politisch äußern. Ich befiirchte nur, daß diese ganze Benefizwelle genauso schnell wieder abebbt, wie sie angeschwabbt kam, nur weil so n paar Journalisten die Sache für out erklären …“

Der 40jährige hängt schlapp auf seinem Stuhl im etwas luschig eingerichteten Büro seiner Plattenfirma True North, die vor 17 Jahren eigens gegründet wurde, um Cockburn auf die Vinyl-Sprünge zu helfen. Inzwischen hängen an den Wänden des Büros in der Innenstadt von Toronto zahlreiche Auszeichnungen für andere Künstler, die von der kleinen Firma betreut werden, zum Beispiel das Duo Rough Trade. Cockburn allerdings ist der Goldesel. Seit 1970 erhielt er fast jedes Jahr gleich mehrere Auszeichnungen.

Die Sekretärin fegt ins Zimmer, um dem Herrn Musiker eine wichtige Frage zu stellen. Bei True North herrscht Hektik. Bruces 19. Album WORLD OF WONDERS ist soeben in Kanada erschienen; seine Single „People See Through You“ wird täglich über den Äther gejagt. „Ich habe gehört, es läuft gut an“, berichtet Cockburn. „Ich war gar nicht hier, als die Single rauskam. Da war ich gerade mal wieder in Nicaragua.“

Damit sind wir bei seinem Lieblingsthema, auf das er seit 1983 garantiert in jedem Interview zu sprechen kommt. Damals fuhr er nämlich das erstemal in das mittelamerikanische Land, in dem seit Jahren ein blutiger Bürgerkrieg wütet. Was er dort sah, schockierte ihn so, daß er seiner Wut und seinem Schmerz in den Songs seines 18. Albums STEALING FIRE Luft machte. Auch in Interviews pflegt Cockburn in gemeinhin unpopulärer Eindeutigkeit für die sandinistische Sache und gegen die amerikanische Einmischungspolitik Stellung zu beziehen. Fürs Engagement bekam er jetzt sogar Anerkennung vom Präsidenten:

„Als ich diesmal dort war, hat sich Daniel Ortega persönlich für meinen Einsatz bedankt.“ Cockburn fühlt sich sichtlich in seinem Element. Wenn’s um Nicaragua geht, dann spricht er plötzlich doppelt so schnell.

„Das hatte ich natürlich nicht auf meinem Reiseplan. Ich ging nach Nicaragua, um meine Eindrücke aufzufrischen. Gleich am Anfang der Reise hatte ich eine längere Unterredung mit Rosario Murillo, das ist Ortegas Frau. Als Generalsekretärin der Künstlergewerkschaft war sie indirekt meine Gastgeberin auf dieser Reise. Wahrscheinlich fand sich mich sympathisch und sorgte deshalb dafür, daß ihr Mann mich einlud.“

Bei dem Spitzengespräch ging es hauptsächlich um politische Themen: „Ortega zeigte sich sehr besorgt über die weitere Entwicklung. Er meinte, wenn Reagans wahnwitzige Politik dieses Jahr nicht gestoppt werde, dann stehe es schlecht um Nicaragua. Und dann hat er sich für mein Engagement in der Musik bedankt. Ich war baff. Der kanadische Premierminister hat sich noch nie bei mir für meine Musik bedankt. „

Nicaragua ist aber nicht die einzige Angelegenheit, für die sich der streitbare Kanadier engagiert. Er plant schon die nächste Benefizveranstaltung: „Die Haida-Indianer aus British Columbia haben mich gefragt, ob ich nicht etwas für sie tun könne. Sie liegen sich gerade mit der Regierung von British Columbia in den Haaren. Da haben wir einfach unser Konzert in Vancouver in eine Benefizveranstalning umgewandelt. “ So einfach geht das.

Während andere Rockmusiker erst mit der Live-Aid-lnitiative auf den Benefiz-Zug aufsprangen und ihn schon wieder gelangweilt verlassen, läßt sich Cockburns Politisierung über die 16 Jahre seiner Laufbahn verfolgen.

Anfangs hatten seine Texte noch vor Naturbeschreibungen gestrotzt.

„Damals waren meine Songs wohl reichlich verklärt und introvertiert. Durch die Verwendung von Naturbeschreibungen konnte ich meine Gefühle und Visionen ausdrücken. Damals war ich halt sehr naturverbunden. Das bin ich zwar immer noch, aber im Moment geht es mir mehr darum auszudrücken, wer wir sind und was uns verbindet.“

Aber etwas von diesen schrillen, bunten Naturbildern ist auch noch auf dem neuen Album WORLD OF WONDERS zu finden. „Sogar ‚Berlin Tonight‘ hat was davon. Es sind dieselben Bilder wie früher, die Felder und die Bäume. Aber ich verwende sie jetzt auf eine andere Art. Ein Feld kann für alle möglichen Dinge ein Symbol sein, von Fruchtbarkeit bis Tod, je nach Zustand des Feldes. Wenn ich die loten Stoppeln im Winter beschreibe, dann gibt das eine ganz andere Stimmung wieder, als wenn alles auf dem Feld wächst. In ‚Berlin Tonight‘ wächst Weizen auf dem verschneiten Feld.“

Auf Cockburns jüngster LP gibt es fast keine Lovesongs mehr. Nur das karibisch angehauchte „See How I Miss You“ hat noch etwas von den verträumten Ruhepolen, die Songs wie „Sahara Gold“ und „Making Contact“ auf STEALING FIRE bildeten. Die Musik auf dem neuen Album ist überhaupt härter geworden.

„Auf STEAL1NG FIRE war die Gitarre sehr betont; jetzt habe ich wieder der Band mehr Raum gelassen. Außerdem brauchen die politischen Texte in Songs wie ,And They Call It Democracy‘ oder ‚People See Through You‘ natürlich eine härtere Instrumentierung. „

Er spielt mit dem Albumcover, das auf dem Tisch liegt. „Das sind die Dinge, die wir sozusagen selbst in der Hand hatten. Und dann kamen noch die äußeren Umstände hinzu, unter denen die Songs entstanden sind. Zum Beispiel, daß wir mitten im Winter in der DDR und der BRD waren. In .Berlin Tonight‘ habe ich versucht, alle meine Berlin-Bilder unterzubringen.

Oder daß wir für die jamaikanische Regierung die Trottel gespielt haben.“

Der sonst eher schüchterne Blonde redet sich in Rage. „Die jamaikanische

Regierung lud uns zu einem Jugendfestival im Rahmen des Internationalen Jahres der Jugend ein. Als wir ankamen, mußten wir feststellen, daß die konservative Regierung des Landes eigentlich mir ihre verstockte Politik feiern wollte. Es war kein einziger Musiker aus einem sozialistischen Land dabei. Sie hatten offensichtlich nichts anderes im Sinn, als zu beweisen, daß auch die konservative Jugend hip ist.“

„Dancing In Paradise“ reflektiert diesen Ärger, auch wenn der Song sonst in schwülstigen Tropenfarben lodert. Irgendwo taucht in Cockburns neuen Songs, auch wenn sie noch so romantisch sind, immer eine Straßensperre oder die Geheimpolizei auf. Dabei macht er im Gespräch durchaus keinen verbohrten Eindruck, wie man annehmen könnte, wenn man die Texte hört. Er genehmigt sich auch ganz abgehobene Träume: „Am liebsten würde ich mal nur mit meinen drei Background-Sängerinnen auf Tournee gehen, mit so herrlichen Gesängen wie auf, ‚To Raise The Mormng Star‘. Wir könnten dann wie die Staple Singers auftreten.“

Und er träumt davon, mal für ein Jahr nach Europa zu ziehen. „Amsterdam könnte ich mir vorstellen oder Portugal. Die Algarve ist sehr schön“, überlegt er, „aber da unten reagieren sie empfindlich auf alles, was auch nur von weitem nach Hippie aussieht. Ich habe meinem Wirt damals vergeblich versucht zu erklären, daß die Hippies längst ausgestorben sind. Die Nachwirkungen dieser Bewegungen hallen sich länger als die Bewegungen selbst.“

Profane Hitparadenmusik hört ein Bruce Cockburn natürlich kaum. Höchstens mal, wenn er im Auto unterwegs ist. Und sonst? „Hmm, kürzlich ging ich los und kaufte einen Haufen Planen. Die meisten fand ich gut. Die Waterboys zum Beispiel, oder The Cure. Oder den amerikanischen Jazz-Gitarristen Steve Tibbets. Nicht schlecht. Sonst hör ich natürlich Reggae und afrikanische Popmusik. Und Jazz.“

Und wie findet er „Russians“ von Sting? Immerhin erhebt der Song ja einen politischen Anspruch, auch wenn der Text im Gegensatz zu Cockburns Songs windelweich formuliert ist.

„Sting mag ich nicht, obwohl er ein guter Musiker ist“, Cockburn zieht ein angewidertes Gesicht. „Wie, sagtest du, hieß der Song?“