Der Fantasy-Grundstein Der Herr der Ringe ist der erfolgreichste Roman des 20. Jahrhunderts. Jetzt zittern Millionen Fans der Verfilmung ihrer Bibel entgegen – und hoffen, dass der Mythos den Hype verkraftet.


Im Anfang war das Wort. Und das Wort war in diesem Fall Hobbit, und das Wort war bei John Ronald Reuel Tolkien, Professor für englische Sprache und Literatur, der zunächst selber nicht wusste, was das überhaupt sein sollte: ein Hobbit. Trotzdem sollte auch hier das Wort am Beginn der Erschaffung einer neuen Welt stehen. Es war irgendwann in den frühen dreißiger lahren des letzten lahrhunderts in Oxford, Professor Tolkien war gerade dabei, Examensarbeiten zu korrigieren, als er auf eines der Prüfungsblätter gedankenverloren einen Satz kritzelte: „In einem Loch in der Erde, da wohnte der Hobbit.“ Seine Wortschöpfung ließ dem Akademiker mit dem Faible für alte Sprachen und Mythen keine Ruhe mehr, er wollte herausfinden, was es mit diesem Viech auf sich hatte. Weil er aber noch nie von Hobbits gehört hatte, musste er ihre Geschichte eben erfinden – und Geschichten erfinden war zufällig auch ein Faible von Professor Tolkien.

So etwa geht der Gründungsmythos von „Der Herr der Ringe“, kolportiert von J.R.R. Tolkien höchstpersönlich. Zunächst wurde der Hobbit, von dem der fantasiebegabte Professor bald wusste, dass er ein gemütlicher Geselle mit haarigen Füßen war, zum Star der Geschichten, die Tolkien seinen Kindern zum Einschlafen erzählte. 1937 erschien dann „The Hobbit“ („Der kleine Hobbit“, später „Der Hobbit“), ein Kinderbuch-Renner, der die Saat dessen in sich trug, was Tolkien in den folgenden elf lahren mit manischer Detailversessenheit ausbrüten sollte: Seine Schöpfung, die Parallelwelt Mittelerde, komplett mit historisch-kulturellem Unterbau. 1954 erschien „Der Herr der Ringe“, ein fantastischer Roman von nie dagewesener Komplexität, der die Populär-Kultur des 20. Jahrhunderts verändern sollte: IRR. Tolkien hatte das Fantasy-Genre erfunden.

Seither ist viel Wasser den Brandyweinfluss hinuntergelaufen. In den ersten zehn lahren nach ihrem Erscheinen noch vergleichsweise ein Geheimtipp, entfaltete die Geschichte von friedliebenden Hobbits, die sich auf die schicksalhafte Mission begeben, einen mächtigen Ring des Bösen seiner Vernichtung zuzuführen, um ihre Welt vor dem LIntergang zu retten, ihre geballte Wirkung, als 1965 die erste Taschenbuchausgabe auf den Markt kam. Tolkiens Schilderungen fremder Welten voller Zauberer und Monster fielen auf den fruchtbaren, drogendurchtränkten Boden der counler culture der Hippies, für die „Der Herr der Ringe“ zur Bibel wurde, Pflichtlektüre für die verträumt-eskapistische „turn on, tune in, drop out“-Gemeinde. Die ausführlich beschriebenen Outfits von Tolkiens Romanfiguren spiegelten sich in der Mode wider, der anti-modernistische Charme seiner Parallelwelt kam den „zurück zur Natur“-Sehnsüchten der zivilisationsverdrossenen Gegenkultur entgegen (und tut es bis heute). Unzählige Bands und Pop-Künstler haben in den letzten 35 Jahren Ausflüge nach Mittelerde – und davon inspirierte Fantasy-Reiche – unternommen oder ließen sich dauerhaft dort nieder (siehe Kauen), augenzwinkernd, romantisch verklärt oder mit eifrigem Ernst: die frühen Pink Floyd, Led Zeppelin, Ten Years After, Marc Bolan, Bowie, Art-Rocker wie Marillion, Rush, Barclay James Harvest, Magnum und Styx, Metaller wie Blind Guardian oder Morgoth, in jüngerer Zeit Marcy

Playground und Enya sind nur einige der bekannteren neben eriner Armada von namenlosen Eso-Elektronikern und Progrockern, die die Fantasy-seligen Artworks von Roger Dean ins Gedächtnis rufen.

Tolkien inspirierte Generationen von Nachahmern, ein ganzes literarisches Genre, dazu verdammt, doch immer nur Zweitklassiges zu produzieren, weil sein Begründer bereits seinen unübertrumpfbaren Höhepunkt gesetzt hatte. Fantasy wurde zum gewinnträchtigen Zweig der Unterhaltungsindustrie und zum Lebensinhalt für zehntausende Hardcore-Fans (einmal abgesehen von Millionen „normalen“ Lesern, die das Buch in seinen Bann schlug), die in den weitläufigen Welten von IRR. Tolkiens Werk ihr Trainspotter-Eldorado fanden. Jahrzehnte lang spielte sich dieser Fankult in stillen Kämmerlein, Rollenspiel-Zirkeln und Fanclubs ab, dann brachte das Internet den Fans Anfang der Neunziger internationale Vernetzung. Seit ein paar fahren nun brodelt es richtig in der Szene.

Da nämlich machten erste Informationen die Runde, ein finanzkräftiges Studio trage sich mit Plänen, „Der Herr der Ringe“ zu verfilmen – 20 Jahre, nachdem der erste Versuch, das Buch auf die Leinwand zu bringen, spektakulär gescheitert war (siehe Kasten S. 35). Ein Grund, aufmerksam zu werden, aber auch Grund zur Skepsis. Von nun an war jedes in Erfahrung gebrachte neue Detail Tagesgespräch in Fankreisen. Bald stand fest, dass der Neuseeländer Peter Jackson das gigantische Projekt in Angriff nehmen würde, ein gestandener Independent-Filmer, der sich nach einem Karrierefrühling als Splatter-Horror-Meister („Bad Taste“, „Braindead“) auch mit Filmen wie „The Frighteners“ und „Heavenly Creatures“ denkbar weit vom Mainstream fern gehalten hatte. Erstes Aufatmen bei den Skeptikern (die freilich wussten, dass ihr weiser Meister noch zu Lebzeiten dem Super-GAU vorgebeugt hatte: ahnend, dass seine Hobbits früher oder später über die Leinwand spazieren würden, verfügte Tolkien per Testament, „Der Herr der Ringe“ dürfe niemals vom Disney-Konzern verfilmt werden, dessen verkitschte Märchen-Adaptionen er verachtete). Weltweit fanden sich nun junge, hungrige Tolkien-Freaks, die sich über Fans, Kontaktleute und „Informanten“ an die Fersen der Filmemacher hefteten und auf ihren wie die Pilze aus dem Boden schießenden Websites die Basis auf dem Laufenden hielten. Einer davon ist Stefan Servos, 26, Betreiber der anerkannt besten deutschsprachigen Film-Homepage www.herr-der-ringe-film.de. Der Journalismus-Student, der einräumt, sein Studium „in der letzten Zeit ein bisschen vernachlässigt“ zu haben, arbeitete in den anderthalb Jahren, als Jackson und seine Crew in Neuseeland zu Gange waren (die gesamte Trilogie wurde in einem Stück abgedreht, die drei Filme kommen nun im Jahres-Abstand jeweils zur Weihnachtszeit in die Kinos; den Anfang macht „Die Gefährten“ mit dem weltweiten Startdatum 19.12.) nach dem Prinzip „täglich ran“: „Wir hatten ein richtiges Netzwerk. Wir wussten jeden Tag, wo gedreht wurde und manchmal haben Fans es geschafft, da einen Fotoapparat in die Nähe zu kriegen und richtig gute Fotos über den Zaun zu machen. Manchmal hatte man halt auch nur einen Lastwagen, der zum Set fährt – aber es war schon eine spannende Zeit.“

Servos konnte seine Leute früh beruhigen, sah er in Downunder doch Mächte des Guten am Werk: Peter Jackson, selbst bekennender, besser: beteuernder Tolkien-Fan, war sich der strengen Blicke, mit denen sein Vorhaben von Tolkien-Gralshütern weltweit beäugt wurde, von Anfang an bewusst und setzte auf Entgegenkommen, indem er in Fankreisen anerkannte Experten in die Produktion einband. So stammt das gesamte Design der Trilogie von den Grafikern John Howe und Alan Lee, die sich als Illustratoren von Tolkien-Büchern und -Kalendern einen Namen in der Szene gemacht haben. Auch Spezialisten für die komplexen Phantasie-Sprachen wurden eingeflogen. „Tolkiens Sprachen haben ein eigenes System, eine eigene Grammatik“, weiß Servos. „Sie sind so kompliziert, dass vielleicht ein, zwei Dutzend Leute auf der Welt sie wirklich sprechen. Zwei davon waren als Berater am Set – und das sind halt wirklich Verrückte, die übersetzen die Bibel ins Eibische, solche Sachen.“

So viel Detailganauigkait und Sorgfalt – kann es da etwas anderes geben, als uneingeschränkte Vorfreude? „Ich habe immer davon geträumt, dass mal jemand eine Verfilmung des ‚Herr der Ringe‘ richtig gut anpackt“, sagt Marcel Bülles. „Meine persönliche Sicht ist: Ich freue mich auf den Film, total. Offiziell hab ich natürlich eine vorsichtigere Position.“ Persönlich ist Bülles Geschichte/Anglistik-Student und Tolkien-Fan, offiziell ist der 29-jährige Vorsitzender der 1997 gegründeten „Deutschen Tolkien Gesellschaft e.V.“ (www.tolkiengesellschaft.de). Und als solcher vertritt er 200 Mitglieder („in der letzten Zeit steigt die Zahl sprunghaft an“), die es sich in ihrer Satzung zur Aufgabe machen, „die wissenschaftliche Erschließung und die Verbreitung der Werke von Professor John Ronald Reuel Tolkien und anderer Werke, die zu einem Vergleich herausfordern“ zu fördern. Ganz klar; no bullshit. „Was ich bis jetzt in den Trailern gesehen habe“, urteilt Bülles, „da ist jede Szene falsch, wenn man’s genau nimmt. Das ist nicht das Buch. Aber Jackson hat ja auch von Anfang an klar gestellt: Das wird keine definitive Nachstellung des Buches, der Film wird meine Interpretation der Geschichte sein. Und wir hatten im Januar die Europa-Premiere des zweiten Trailers auf unserem Tolkien-Fest, das war unglaublich: da saßen 150 Leute, zum Großteil Erwachsene, und viele von denen haben einfach geweint.“ Vor Glück, muss man vielleicht dazusagen. Die Macht der Bilder ist eben nicht zu unterschätzen – aber was ein im Glauben gefestigter Tolkien-Head ist, der kann sich ihnen stellen: „Die meisten sagen: der Film wird die Bilder in meinem Kopf nicht verändern. Ich hab meinen Aragorn vor Augen, ich weiß, wie mein Gandalf aussieht.“

Was aber ist mit dar Kommerz-Materialschlacht, mit der eine Großproduktion wie diese heutzutage unweigerlich einher geht, noch dazu in Zeiten eines neuen Fantasy-Booms in der Bugwelle von Harry Potter? „Es gab ja schon ein Beispiel, wie’s schiefgehen kann“, meint Stefan Servos, „vor zwei Jahren mit ‚Star Wars Episode 1‘. Da war der Hype Monate vor Filmstart schon so groß, dass am Ende keiner mehr was davon wissen wollte. New Line (das produzierende Studio von Der Herr der Ringe) hat deshalb versucht, den Hype so lange wie möglich unten zu halten. Drum gab man eben zum Beispiel fast keine Nachrichten heraus. Momentan hat der Hype das Internet noch nicht verlassen.“

Das dürfte sich mittlerweile geändert haben, denn am 6. November lief eine Sperrfrist aus, die New Line dem Großteil der Lizenznehmer für „Herr der Ringe“-Merchandise auferlegt hatte. Der Hobbit-Whopper bei Burger King, „Herr der Ringe‘-Sammelkarten, -Softdrinks, -Mini-Statuen, -Schüttelkugeln, und -Christbaumschmuck dürften mittlerweile käuflich zu erwerben sein, sogar in den Überraschungseiern verstecken sich die Fantasy-Filmhelden. Schadet sowas nicht dem Nimbus der Ehrwürdigkeit von Tolkiens Werk? „In jedem siebten Ei ist Gandalf mit dabei, ich weiß“, lacht Marcel Bülles gequält. „Ja, da krieg ich auch meine Schreikrämpfe. Aber da sind wir machtlos. Wir können nur versuchen, mit denen zusammenzuarbeiten, die anspruchsvollere Sachen wie Bücher und Spiele vertreiben.“

Apropos „Star Warf“ – in einem Punkt sind sich alle einig: „Der Herr der Ringe“ mit seiner in 47 Jahren gewachsenen Fangemeinde quer durch alle Altersstufen wird George Lucas‘ „Episode 1“ in Sachen Zuschauergunst „mit Abstand“ übertrumpfen und den noch ausstehenden Episoden 2 und 3 die Platzhirsch-Stellung auf dem Event-Kino-Sektor der ersten Hälfte der nuller Jahre abspenstig machen. Dies wohl ahnend, unternahm Lucas seinerzeit den Versuch, New Line die Jahrzehnte lang verwaisten „Ringe“-Filmrechte in letzter Minute abzujagen, mit der beleidigten Argumentation, nur seine Effekteschmiede ILM sei in der Lage, diese Geschichte angemessen umzusetzen. Jetzt sieht Matthias Schäfer, Webmaster der Page www.tolkienworld.de, gar eine Trendwende im Kino nahen: „‚Der Herr der Ringe‘ wird Maßstäbe setzen, auch in Sachen Qualität der erzählten Geschichte. Die letzten Jahre wurden die Effekte immer ausgefeilter und die Geschichten immer dürftiger – ein Paradebeispiel war eben ‚Episode 1‘. ‚Der Herr der Ringe‘ ist der erste special-effects-intensive Film, in dem ein anspruchsvolle Geschichte erzählt wird.“ Marcel Bülles blickt derweil goldenen, aber arbeitsintensiven Zeiten entgegen, wenn es erst einmal gilt, Scharen von Tolkien-Angefixten getreu der Satzung der DTG auf den rechten Weg zu bringen: „Für uns ist es wichtig, den neuen Fans, die über den Film jetzt kommen werden, nahezubringen: Es gibt noch so viel mehr als nur den ‚Herr der Ringe'“, sagt er. Und seufzt schon auch mal: „Ich bin froh, wenn 2004 ist und der ganze Rummel vorbei ist. “ Offizielle Film-Site:

www.lordofthtrings.net