Der Wahnsinn strahlt


Das LoFi-Wunderkind Ariel Pink ging zum ersten Mal in ein Studio. Was das aus seiner Musik macht? Konkreten Pop. Was es aus ihm macht? Spannende Frage.

Es gibt ein frühes Foto von ihm, auf denen post er als Posterboy. Ein californian suburbian teenage rebellion Posterboy wie Matt Dillon in seinem Debüt „Wut im Bauch“ von 1979. Oder eher noch ein Junge aus einem Larry-Clark-Film, eingekreist von all den Abgründen der Erwachsenen, für einen letzten Moment der Jugend hell und unschuldig strahlend. Doch wenn Ariel Marcus Rosenberg, inzwischen 32 und kein Boy mehr, aber auch denkbar weit entfernt von einem Mann von stiernackiger Eindeutigkeit, strahlt – und das vermag er absolut, in seiner Musik, hell zu strahlen -, strahlt auch ein wenig Wahnsinn mit ab.

Das ist Teil der Inszenierung. Das einstige Metal- und Gothic-Rock-Kid aus Hollywood schminkt sich den dunklen Wahnsinn immer mal gerne noch ins Gesicht. Sein Blick sticht dann selbst durch seine langen, verschwitzten Haarsträhnen. Seine Gesten lappen ins Unkontrollierte.

Aber es ist auch Teil seiner Persönlichkeit. Wie er in zuweilen bizarren Texten verstörend kurze Wege geht vom Wer-oder-bin-ich? zum Befrei-mich-zerstör-mich-kastrier-mich! und den blauen Himmel einen Lügner schimpft. Wie er Songs über Songs, bis dato rund 500, eben nicht nur ersinnt, sondern sie auch gleich aufnimmt, als gäbe es keine Garantie dafür, dass sein 8-Spur-Rekorder das noch lange mitmacht. Mit dem arbeitet er vor allem aus pragmatischen Gründen: „Ich will einfach nur, dass es okay klingt. Ich habe keine Ahnung, wie man es dazu bringen könnte, dass es perfekt wird.“

Aber stopp, das war der alte Ariel Pink! Dieses wunderliche, von Papa und der eigenen surrealistischen Malerei querfinanzierte LoFi-Wunderkind, das bei seinen Halbplayback-Auftritten Buh-Rufe erntet. Das eines Tages jedoch seine Musik auch der Band Animal Collective zusteckt. Und die veröffentlicht tatsächlich einiges davon auf ihrem Label Paw Tracks. Und Ariel Pink gründet tatsächlich eine Band: Haunted Graffiti. Und die geht in ein richtiges Studio und nimmt ein Album auf: BEFORE TODAY. Es wird auf 4AD veröffentlicht, einem der geschmackvollsten und erfolgreichsten Indie-Labels überhaupt. Pink behauptet glatt: „Es ist mein erstes Album!“ Kein Stückwerk mehr und kein Sound, der mehr versteckt als dass er zeigt – ein Album.

Und weil es sein erstes ist, hat Ariel Pink sehr viel von dem hineingesteckt, was ihm durch den Kopf spukt. (Auf die Interviewfrage „Hörst du dir viel obskures, schräges Zeug an?“ antwortete der ehemalige Kunsthochschüler einmal: „Selbstverständlich. Aber auch eine Menge populäres Zeug.“) Ariel Pink ist ein Referenzpopper, und als solcher ein hoffnungsloser Fall. Doch sein trotz großem Popappeal progressives Songwriting, seine Arrangements und der Sound, der im Studio zwar differenzierter, aber gleichzeitig ordentlich psychedelisch geworden ist, machen diese Referenzen zu seinen Referenzen. Was BEFORE TODAY aus ihm machen wird? Ganz sicher keinen Popstar. Dafür ist Ariel Pink zu komplex und verstörend. Vielleicht strahlt er aber einfach auch nur ein wenig zu hell.

Albumkritik ME 7/10

www.arielpink.com