Deshalb liebt sie auch das Land


Der Regisseur, dem es lange Zugfahrten angetan haben, würde ihnen sofort die Rolle der drei Männergeben, die stundenlang in einem Abteil sitzen, ohne sich eines Blickes zu würdigen. Ein Regisseur, dereinen markigen Rockfilm zu besetzen hätte, würde die drei Kandidaten jedoch in die Wüste schicken und weiter nach Jungs suchen, die viel glaubwürdiger ein smartes, ehrgeiziges und homogenes Rockpop-Trio aus New York darstellen könnten.

Ira ist ein sonniger Schlacks mit schwarzem Schopf, der jeden zweiten Satz mit einem Scherz beendet, gerne auf eigene Kosten. Erträgt Skaterklamotten und ist der Schlagzeuger. Daniel kleidet sich lieber in Leder, hat Dreadlocks in der Mache, was ihn mit seinen hohen Wangenknochen und dem Eifer in seinen Augen ein wenig wie den Klingonen an Bord der Band erscheinen läßt, obwohl er doch nur den Baß zupft. Matthew ist so blond, daß sogar seine Augenbrauen hell leuchten. Und wenn sein Kopf ein wenig zu tief zwischen den Schultern sitzt, könnte das an seinem Hang zur melancholischen Innensicht Hegen. Er schreibt die Songs, spielt die Gitarre und singt. Matthew Caws, Daniel Lorca und Ira Elliott- drei Typen, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten.

Sie sind Nada Surf, eine Band mit fünf feinen Studioplatten und einer Geschichte von bald zehn hindernisreichen Jahren.

Daß Matthews Kopf auch jetzt wieder ein wenig tief zwischen den Schultern sitzt, könnte aber auch am Jetlag liegen. Vor acht Stunden ist er zu Hause aufgebrochen, vor einer halben Stunde im Berliner Büro der deutschen Plattenfirma eingetroffen, um erst einmal über eine gewaltige Familienpizza herzufallen. Ira ist schon ein paar Tage länger in Europa, „Freunde in London besuchen“, während Daniel „mal wieder ein paar Wochen in Spanien unterwegs“

war, privat. In diesem Büro liegt sie auf dem Tisch, die erste Nada-Surf-Platte seit drei Jahren. Gerade mal 40 Minuten Musik, über die wir 40 Minuten lang reden können.

„Wir wollten es eigentlich noch kürzer halten“, erzählt Ira: „Aufgenommen haben wir zo Songs, von denen es nur zehn auf die Platte geschafft haben. Kurz und gut sollten Rockplatten sein, oder? “ fragt er, denkt nach und sagt: „Es sei denn, du bist ein Fan von … Tool!“ „Nein, wirklich“, unterbricht Matthew das allgemeine Gelächter und wischt sich mit der Papierserviette über den Mund: „40 Minuten ist die maximale Aufmerksamkeitsspanne, die einem Album zugebilligt werden kann. Wenn dir Musik gefällt, dann willst du dich doch richtig darauf konzentieren, weil es so viel zu entdecken gibt, oder sie wenigstens immer im Hintergrund laufen lassen, weil sie wohltut. Wir wollten eine Platte machen, die du immer wieder hören kannst.“

Immer und immer wieder dieselbe Musik hören zu wollen, das mag ein wenig nach dem ehrgeizige Versuch der Quadratur des Kreises klingen, wo doch Pop und die Aufmerksamkeit seiner Hörer tendenziell von flüchtiger Natur sind. Was nur wenige Bands so deutlich wie Nada Surf zu spüren bekommen haben. Eine Überraschung wie den Hit „Populär“ beispielsweise muß man erst mal wegstecken. Einen Anfang, der ein Ende ist. Man stelle sich nur mal vor, ein Song erobert erst die Clubs in der New Yorker Indie-Szene, dann das Radio, wo er immer und immer wieder zu hören ist und dort für das Album „High/Low“ wirbt, daß es bis auf Platz 63 der Billboard-Charts schafft. Während die Band schon am Nachfolger arbeitet, erwirbt sie sich mit ihren energetischen Konzerten bald den Ruf einer inoffiziellen „großen Indie-Hoffnung“ des Sommers 1996. Und 1997.1998 auch. 1999. Spätestens 2000, als vier Jahre ohne ein weiteres Lebenszeichen verstrichen waren, dürften viele Fans die Hoffnung aufgegeben haben. Nada Surfein One-Hit-Wonder.

„Alles lief einfach fantastisch, einfachgroßartig“, erzählt Daniel, blickt dabei aber finster drein. „Populär“ war ihnen in den Schoß gefallen, dieser eine Hit, und nun wollten sie ein adäquates Album folgen lassen: The Proxymiti Effect. Im Herbst 1997 gingen die ersten Demos zu Electra – und kamen postwendend zurück. ,“Wir hören keinen Hit!'“, erinnert sich Matthew, „das war es, was sie uns gesagt haben, als sie uns wieder zurück ins Studio schicken wollten. Es war eben eine große Plattenfirma. Wir wußten, daß wir uns mit Geschäftsleuten einlassen. Aber wir wußten auch, daß wir unser Bestes gegeben hatten.“

Mit Blick auf den näher rückenden Veröffentlichungstermin wurde gefeilscht, verhandelt, argumentiert. „Was sollten sie denn schon groß tun? Die Platte in den Giftschrank sperren? Uns mit Beton an den Füßen im Hudson versenken?“ So beschreibt Matthew, der damals noch gelegentlich für ein Gitarrenmagazin schrieb, die damalige Stimmung in der Gruppe: „Es war halt der klassische Konflikt zwischen Kunst undKommerz.“ Um ein Haar hätte er ihre Karriere gekostet. Am Tag, als the Proximity Effect erscheinen sollte, wurden dann zwar niemand ertränkt – doch Electra weigerte sich, das Album zu veröffentlichen. Auch hergeben mochten sie es nicht mehr. Sie sperrten es in den Giftschrank. Einfach deshalb, weil eine Klausel im Vertrag es ihnen erlaubte. Jemand in den oberen Etagen muß entschieden haben, an uns ein Exempel zu statuieren, uns ein für allemalfertig zu machen“, sagt Daniel kopfschüttelnd: „Sie schickten sogar ihre Anwälte nach Europa, als sie Wind davon bekamen, daß die Veröffentlichung dort in einigen Ländern nicht mehr rückgängig zu machen war.“

Unter dem juristischen Druck knickten die Partner in einigen Ländern ein, darunter auch in Daniel Lorcas Heimat Spanien. Andere Fillialen des Mutterkonzerns schafften vollendete Tatsachen, indem sie die erste Lieferung einfach in die Läden stellten. 1998 waren Nada Surf somit unversehens von einer amerikanischen zu einer europäischen Band mutiert: „Frankreich hat uns den Arsch gerettet“, kommentiert Daniel trocken.

Während in den USA die Erinnerung an die Band verblaßte, spielten Nada Surf fleißig vor ent- und begeisterten Franzosen, die sich geschmeichelt fühlten von der freundlichen Indieprominenz in ihrem Provinzschuppen. Zumal sie auf den Nimbus ihrer Herkunft nicht viel zu geben scheinen: „Die Szene in New York? Gibt es doch gar nicht, alles Legende!“, schimpft Lorca: „Das CBGB’sPEin Shopfiir Antiquitäten ist das geworden, sollen sie es doch schließen!“

Noch nie habe er einen Club erlebt, der so arrogant und gleichzeitig so dilletantisch gemanagt wird: „Undich weiß, wovon ich rede, weil ich jeden feuchten Konzertkeller in Europa kenne. Und das ist gut so, denn normalerweise verkaufen Bands in Märkten wie Frankreich etwa zo Prozent ihrer Platten in den großen Städten, 80 auf dem Land. Bei uns steht’s 50 zu 50, das macht schon einen Unterschied.“

Einen Unterschied machten außerdem auch die Sprachkenntnisse von Matthew und Daniel, die schon früh zusammen die Schulbank drückten. Sein Gefühl für lakonische Poesie läßt Matthew Caws Songtexte über Fruchtfliegen schreiben. Und ohne Sprachkenntnisse dürfte es wohl selbst einem Herzensbrecher wie Daniel Lorca schwer gefallen sein, das Herz einer intelligenten und talentierten Nouveau-Chanson-Diseuse zu gewinnen: Coralie Clement, die in Frankreich eine Popularität genießt, wie sie hierzulande höchstens einer Kreuzung aus Meret Becker und Judith Holofernes zufallen würde.

Unterdessen verhandelten sie weiter mit Electra um Freigabe ihres geistigen Eigentums, und endlich, nach drei Jahren, im Dezember 2000, durften sich auch die Fans in den USA „an einer Plattefreuen, die nach 1997 klang“, wie Matthew kühl feststellt.

Erst 2002, endlich dem Würgegriff der Anwälte entronnen, machten sich Nada Surf mit dem ebenso druckvollen wie atmosphärisch dichten Meisterwerk Let Go an die Reconquista ihres gestohlenen Rufs, brachten sich auch in den USA wieder in Erinnerung. Drolligerweise merkte die Welt nicht sofort, womit sie es hier zu tun hat. Lange lief das Album eher schleppend, bevor es Fahrt aufnahm und sich zu dem modernen Klassiker entwickelte, das es heute ist – eine Platte, die wächst. „Wir nennen es unseren Slow-Burner-EJfeld“, sagt Matthew lächelnd: „Essiehtso aus, als wäre das Offensichtliche nicht unsere Stärke.“

www.nadasurf.com