Jahresrückblick

Die 50 besten Alben des Jahres 2021: Plätze 10-1


Wir haben unsere Platten des Jahres gewählt. Hier, im Finale, die Plätze 10-1, mit Japanese Breakfast, International Music und, natürlich, Little Simz. Gönnt Euch!

2. International Music – ENTENTRAUM (Staatsakt/H‘Art, VÖ: 23.04.)

International Music zeigen auf diesem Album vor allem eines: Es ist möglich, Musik zu machen, die blitzgescheit und ernsthaft ist, die leichtfüßig von Idee zu Idee, von Höhepunkt zu Höhepunkt springt – und die sich trotzdem traut, an den richtigen Stellen witzig, manchmal sogar albern zu werden. Die Nordrhein-Westfalen verabschieden sich auf ihrem zweiten Album endgültig von der Idee, Texte müssten irgendwelche Inhalte, irgendwelche Gedanken, vielleicht sogar irgendwelche Positionen vermitteln. Gleichzeitig sind die Lyrics ein ganzes Stück vielwinkeliger geworden. „Wenn ich wüsste, was in dieser Kiste ist“, heißt es im eröffnenden „Fürst von Metternich“, und diese Zeile kann man durchaus als exemplarisch für das ganze Album lesen: Um was genau es in diesem Song geht – er leitet das Album warm und weich ein, fast keltisch-folkig klingt das –, ist überhaupt nicht nachvollziehbar, und im Ungefähren bleibt das Trio auch im weiteren Verlauf.

Zu beachten ist dabei, dass der Zuhörerschaft trotzdem nichts zugemutet wird. Niemand muss hier Chiffren knacken oder nach Bedeutungen suchen. Vielmehr ähneln diese Texte Besuchen in einem Tierpark. Der Zoo, das sind die Köpfe von Pedro, Peter und Joel. Die Tiere sind die mal putzigen, mal bedrohlichen Wortgebilde, an denen man als Hörer*in vorüberschreitet, manchmal sind es auch einzelne Töne, etwa dieses Klavier-„Pling“ in „Wassermann“: Es verleiht dem Schönklang des Songs eine gewisse Keckheit, gerade so, als würde ein Spatz Caspar David Friedrichs „Wanderer über dem Nebelmeer“ auf die Schulter scheißen.

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Musikalisch haben International Music ohnehin noch einmal angebaut. Wo sich auf dem Debüt vor allem Bezüge zu Gitarrenmusik herstellen ließen, besitzt ENTENTRAUM einen sehr distinktiven Sound, der über das Wechselspiel aus Harmonie und Wiederholung kommt, dem man an einigen Stellen eine Schulung am Krautrock anhören mag, der aber auch an den britischen Psychedelic Folk, und den Progressive der 70er-Jahre denken lässt. Unterbrochen wird er von gelegentlichen Störfeuern; von ruppigen Tracks wie „Marmeladenglas“ oder „Spiel Bass“.

Klingt checkerhaft? Ist es, Gott sei’s gedankt, überhaupt nicht, denn die Vermengung dieser Musiken mit eingangs erwähnten Textkaskaden führt zu einem eigenen, eigenartig anheimelnden Sound, der seinen Höhepunkt in der zweiten Albumhälfte erreicht: Das Songdoppel „Beauty Of The Bar“ und „Raus aus dem Zoo“ ist zunächst gefühlig, dann beschäftigt, erzählt von Love und von Life, klingt nach Tasse Tee und Reden und nach Glas Champagner und Rauchen. Irgendeine andere deutsche Band behauptete mal, sie würde von allen Gedanken die interessantesten schätzen. Ich glaube, International Music schätzen auch die schönsten; ich würde mich rasend gerne bald in einem Stehcafé (aussterbende Gastronomie-Gattung, kommt in „Erosion Korosion“ vor) mit ihnen unterhalten. (Jochen Overbeck)

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