Die Ärzte


Über das seit letztem Jahr allseits ausgerufene Punk-Revival können Die Ärzte nur müde lächeln. „Das ist nicht neu, aber nett“, sagt Farin Urlaub mit leichter Herablassung. Recht hat er. Die Ärzte haben schon zum Pogo aufgespielt, als Green Day’s Billie Joe Armstrong noch ein wilder Blick in den Augen seiner Eltern war. Doch wer glaubt, die Fans seien mit den Ärzten gealtert, irrt. Das hohe Zahnspangenaufkommen an diesem Abend signalisiert: ‚Die Ärzte aus Berlin‘ erfreuen sich bei den Teens nach wie vor ungebrochener Beliebtheit. Natürlich sind auch Fans der ersten Stunde da, leicht zu erkennen am Bauchansatz, der die geschmackvollen grün-orangfarbenen Streifen des ‚Planet-Punk‘-Tour-Shirts leicht nach außen wölbt. Ansonsten aber Friede, Freude, Eierkuchen. Die Kids sind schon durchgeschwitzt, noch bevor Farin, Bela und Rod den ersten Ton von sich gegeben haben – die Vorgruppe Wizo hat ganze Anheizer-Arbeit geleistet. Dann aber geht’s los: Licht aus, Kreischen und eine pompös-geheimnisvoller Ouvertüre mit den ersten Takten von Led Zeppelin’s ‚Stairway To Heaven‘. Plötzlich ein Knallen, ein pyrotechnischer Effekt – dann stehen sie da und legen von Anfang an richtig los, „imrrfer mitten in die Fresse rein“, wie es im ‚Schunder-Song‘, ihrer aktuellen Single, so schön heißt. Zwischendurch erweisen sich die Kurpfuscher des Punk als Meister der Ansage – flach, aber herzlich. „Hey Bielefeld“, nölt Farin, „bis jetzt liegen hier eine Jacke, ein Schuh und drei Klo-Rollen auf der Bühne. Ihr scheint euch ja richtig vorbereitet zu haben. Aber wir sind nun mal Die Ärzte. Also schmeißt gefälligst Stofftiere, Geldscheine, Liebesbriefe und BHs rauf!“ Und nach mehrmaligem Auffordern landen tatsächlich die ersten Brustkörbchen on stage, „sogar getragen“, wie Farin schnuppernd feststellt. Sichtlich aufgekratzt spielen sich Die Ärzte durch einen repräsentativen Querschnitt ihrer Hits. ‚Radio brennt‘, ‚Quark‘, ‚Vollmilch‘. Technisch erstaunlich versiert spulen sie ihren Set herunter, Farin und Rod wechseln sich desöfteren an Gitarre und Bass ab, Schlagzeuger Bela beweist Kondition im Dauerpogo-Beat. Zwischendurch immer wieder der entwaffnende Sarkasmus der Flach, aber herzlich: Chef-Arzt Farin Urlaub „sympathischen Millionäre“ (ärztliche Selbsteinschätzung): „Diese superoriginelle Ansage hast du ja schon vorgestern gemacht“, pflaumt Bela Farin an, worauf der sich grinsend an die Kids wendet: „Und dafür habt ihr Geld bezahlt!“ Doch schon geht’s weiter im Hit-Programm: ‚Du willst mich küssen‘, ‚2000 Mädchen‘, ‚Westerland‘. Die Ärzte bieten erstklassiges Entertainment, vor allem die Lightshow braucht internationale Vergleiche nicht zu scheuen. Mal spielt Schlagzeuger Bela mit poppig glimmenden Neonsticks, dann gleißt der Ärzte-Schriftzug aus tausend Strahlern ins Publikum. Bei der Schnulze ‚Mach die Augen zu‘ bedient Rod auf abgedunkelter Bühne einen schaurig-schön kitschigen herzförmigen Baß mit roter Neonleuchte im Plexiglas-Korpus. Effekt jagt Effekt, die Halbgötter in Punk haben keine Wiederholungen nötig. Sie sind sich ihrer Mittel bewußt routiniert, souverän und abgeklärt. Denn sie wissen: Wenn Ärzte-Kongreß ist, kommen alle – jung und alt, arm und reich. Natürlich tun die Ärzte heute niemandem mehr weh, und wenn sie mal ein Skandälchen plazieren, dann doch höchstens auf dem Damentaschentüchlein sittlicher Entrüstung. Die Kids stört das nicht. Sie fordern Zugabe um Zugabe, bis schließlich mit dem politisch korrekten Antifa-Song ‚Schrei nach Liebe‘ endgültig Schluß ist. Fazit: Was die Ärzte heute praktizieren, ist coole Teenie-Abzocke, aber kein Nepp. Sie bieten etwas für’s Geld: Zwei Stunden verdammt gute Unterhaltung nämlich.