Die dunkle Seite


Oberflächlich betrachtet, ist das neue Album von Rilo Kiley vor allem netter, angenehmer Pop. Doch hinter der glänzenden Fassade tun sich erschreckend tiefe Abgründe auf.

Knapp 38 Minuten. So lange nur dauert das neue Werk von Rilo Kiley. Es ist ein zehnfach poliertes Album, das klingt wie das Lieblings-Tape einer netten kalifornischen Familie, die mit dem Auto den Pacific Coast Highway hinunterfährt. Doch es geht auf dieser Platte um viel mehr: um Sex, um Pornografie, um L.A. – und um glatte Oberflächen und das Brodeln darunter.

More Adventurous vor drei Jahren war ein Album, das laut „Pop“ schrie. Auf Under The Blacklight schreit nun gar nichts mehr, dafür gibt es tadellose Melodien mit einer verträglichen Dosis TV-Serien-Soul, leichtem Country-Twang und Eighties-Synthies. Darüber Jenny Lewis‘ klassische Pop-Stimme, in der sich Karen Carpenter, Belinda Carlisle und Patsy Cline zu vereinen scheinen. Die Frau zur Stimme ist ein zierliches Wesen mit schneeweißer Haut. Typ: quirlige Folkpop-Sängerin mit flatterndem Haar. Doch da ist etwas Trauriges in ihrem Gesicht. Etwas, das sich aber nur manchmal zeigt.

Jenny Lewis beißt in einen Apfel; sie spricht in etwa so, wie Dolly Parton singt: „Wir wollten einfach eine tighte Pop-Platte machen keine Schnörkel, keine vierminütigen Bridges oder so etwas. Und kurz sollte sie sein, alle meine Lieblingsplatten sind kurz. Die Leute werden heute mit viel zu vielen überflüssigen Songs vollgestopft. Was das Songwriting angeht: Irgendwann geht man zurück und besinnt sich auf die Klassiker: Fleetwood Mac, die Beatles, Neil Youngs Harvest, die Zombies, die Carpenters. Ich hatte noch nie etwas gegen Mainstream. Ich musste niemals mit Musik rebellieren, meine Mutter hat ohnehin alles von Lou Reed bis Barbara Streisand gehört.“ Neben der kleinen Lewis sitzt der zwei Meter große Bassist Jason Boesel, der die Sängerin nur mit „Lewis“ anspricht. Ein verbindlicher Typ, der gerne erklärend alle Lücken schließt: „Wenn man jung ist, muss Musik eben ein bisschen anstrengend sein, das ist auch gut so. Aber irgendwann hört das auf.“ „Stimmt“, nickt Lewis apfelkauend, „deshalb wohl meine HipHop-Phase“.

Letztlich ist Under The Blacklight dann doch mehr als nur ein hübsches Pop-Album. Wenn man auch nur mit halbem Ohr auf die Texte hört, merkt man bald, dass es hier nur selten um die Sonnenseiten des Lebens geht. Was hat es etwa auf sich mit dem Titeltrack „Under The Blacklight“? „Der Song erzählt davon, dass viele Dinge an der Oberfläche sehr gesund wirken, aber wenn du sie unters Schwarzlicht hältst, siehst du die Wahrheit, und die ist oft überhaupt nicht strahlend“, erzählt Lewis und sieht dabei selbst gerade mal wieder so angeknackst aus, als würde sie unter dem großen Schwarzlicht des Lebens sitzen. So oder so ist der Albumtitel ein perfektes Bild für die Szenerien, in die man mit diesen mitreißenden Popsongs geführt wird. Es ist das L.A. der Porno-Industrie, der minderjährigen Mädchen, die etwas erleben wollen und an zwielichtige Gestalten geraten. Es geht um Leben, Sex und Tod. Ist Under The Blacklight letztlich ein Konzeptwerk über L.A.?

Lewis: „Das Album ist jedenfalls sehr LA. Wir leben dort, und wir haben die Songs dort geschrieben. Die Songs handeln von Menschen, denen ich begegne, wenn ich durch die Stadt laufe. Frühreife Mädchen, schmierige Typen, Porno-Starlets. Diese ganze Sexwelt läuft immer parallel mit, wenn man dort lebt. Ich bin im Nordwesten der Stadt aufgewachsen, dort hat die Pornoindustrie ihren Sitz. Unvorstellbar, aber dort bin ich zur Highschool gegangen. Jeder, dem ich auf dem Schulweg begegnete, hatte etwas mit Pornos zu tun. Man weiß einfach, dass der nette Kellner im Café nach Feierabend Pornos dreht. Mein Leben ist also von dieser seltsamen Welt infiltriert.“ Boesel ergänzt: „Und man darf das Wetter in L.A. nicht vergessen. Es zieht sich durch das Album, Ein Wetter, das unglaubliche Trägheit mit sich bringt.“ „Oh Gott“, ruft Lewis aus, „Los Angeles kann so langweilig sein!“

Man darf, wenn man mit der angeschlagenen Schönheit Jenny Lewis spricht, nie vergessen: Sie ist ein ehemaliger Kinderstar. Zwar lehnt sie diese Bezeichnung ab, doch so viel sollte klar sein: Die junge Frau wurde schon früh von ihrer Mutter ins Rampenlicht geschubst – um etwas zu sein, das sie nicht war. Eine solche Erfahrung geht an niemandem spurlos vorbei, auch wenn Lewis alles tut, die Sache herunterzuspielen. Auf die Frage, ob sie sich fühle, als sei sie in die Welt des Showgeschäfts hineingezwungen worden, reagiert sie abwehrend: „Ach, ich bin doch letztlich nicht anders aufgewachsen als andere Kinder. Natürlich könnte man behaupten, ich sei in diese Welt hineingezwängt worden. Aber wer Eitern hat, die ganztags arbeiten und abends auf dem Sofa sitzen, der wird ja auch in etwas hineingezwängt.“ Boesel abermals hilfreich: „Das ist das Schicksal des Kindes: Es darf keine Entscheidungen treffen.“ Doch auch hinter dieser oberflächlichen Antwort brodelt es. Der Kontakt zur Mutter, die Lewis‘ Geld aus Kinderstar-Zeiten verprasste, ist gestört. Lewis möchte nicht darüber sprechen. Dennoch kommt man nicht umhin, all die verwundeten, verletzten Charaktere auf dem Album als Stellvertreter für ihre eigene Geschichte zu sehen. Aber auch hier ist Lewis Profi genug, sich nicht zu verplaudern: „Wir fanden es einfach ein schönes Thema, die Entertainment-Industrie zu beleuchten. ‚The Moneymaker‘ etwa handelt davon, dass sich jeder letztlich für Geld verkauft.“ An anderer Stelle, im luftig dahintänzelnden „Close Call“, heißt es: „The funny thing about money for sex / You might get rich, but you die by it.“ Abgründiger geht es wohl kaum.

Am Abend des Interviews spielt die Band ein Konzert in einem Kölner Club. Es ist seltsam: Lewis singt unglaublich schön, doch man kommt dieser Band in keinem Moment so richtig nahe. Dann plötzlich, bei „Give A Little Love“, beginnt der MP3-Player, der das Backing zum Song liefert, zu spinnen. Lewis muss abbrechen: „This is fucked“, ruft sie und lacht. Zum ersten Mal, so hat man den Eindruck, kann man an diesem Abend unter die makellose Oberfläche dieser Band blicken. Unter dem Schwarzlicht liegt die Wahrheit – und diese Wahrheit ist mitunter finster. Das Städteporträt, das sich auf Under The Blacklight ausbreitet, zeigt einen Mikrokosmos, der von Geld und Sex regiert wird. Eine verführerische Welt, die man sich gerne – fast wie in einem Robert-Altman-Film – vorführen lässt, der man aber lieber nicht angehören möchte. Doch über eine sensationelle Pop-Platte nähert man sich dieser Schattenwelt nur allzu gerne.

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