Die Reklamation


Wer der Depp ist.

Einen trifft es am Ende immer. Es ist zwar grundsätzlich nicht so, daß Journalismus funktioniert wie dieses Würfelbeiwerk bei Trivial Pursuit, wo man sein Ding mit irgendwelchen Dingern auffüllen muß, ohne genau zu wissen, warum. Aber gefüllt werden muß halt doch, z.B. wenn nun einmal vorgesehen ist, daß eine Reklamation ins Heft kommt, weil tausend Leute tausend gute Ideen und Anliegen hatten („Au ja! Ich wollte schon lange mal…!“ „Und ich muß endlich feststellen, daß …!“). Und dann wirft der Hausmeister die „Redaktionsschluß!“-Sirene an, und: nix. Herden von fröhlichen Promoterinnen wirbeln durch Gänge und Zimmer, man wirft sich Bussis, T-Shirts und Tips zu „Hör dir unbedingt mal die Dingsbums an! Die ist zwar bei und, aber trotzdem gut!“], rollt Stühle durch die Gegend, brüht Kaffee auf, köpft kästenweise Kaltgetränkeflaschen, läßt die Terminkalender flattern wie Amseln beim Frühjahrsbad in frischgetauten Pfützen. Und mittendrin steht ein einsamer Redakteur und heult: „Möchte vielleicht jemand reklamieren? Wir haben noch eine Stunde!“ Keine Reaktion.

Also setzt er sich selber hin und führt eine Inventur seiner persönlichen Antifaves und Superhasse durch. Eine finale Tirade gegen den Menschheitsfluch „Festival“ an sich? Wäre derzeit arg einzelmeinungmäßig. Ein donnerhallmäfliger Rundschlag gegen die Tatsache, daß mein Desktop jeden Tag anders aussieht und immer der „Papierkorb verschwunden ist? Etwas, ähem, themengebietsfremd. Die Levitentesung für Menschen, die Beach-Boys-Best-Ofs machen, auf denen Status Quo mitspielen? Eulen nach Athen. Mal anständig gegen den Frühling hetzen? Gegen klappernde Fenster, leere Kühlschränke („No, Mister! Die letzte Coke habe ICH mir ins Gefrierfach gelegt!“], „Krieg derSterne“-Terror („Nein, ich will Garbage nicht noch mal hören!“- „Du MUSST aber!“], kalauernde Mitredakteure [„Neustart an der Donau! HAHAHA!“), im fertigen Heft entdeckte Tippfehler, Hubschrauber über dem Dach, amoklaufende Bohrmaschinen im Untergeschoß, unverlangte Anrufe („Also, wir sind ’ne Grungeband aus Visselhövede und wollten mal fragen …“], iPods, die ausgerechnet bei Blondies „Die Young Stay Pretty“ skippen, News, die zu 93 Prozent aus P. Doherty bestehen, Autoren, die auf das Stichwort „Abgabetermin!“ nur eine Antwort wissen („Gleich morgen, du, echt!“], Mails, die zu 96 Prozent dieselbe Betreffzeile haben („Ihr Postfach hat die zulässige Größe überschritten“)? Alles schwachmatig, bescheuert, belanglos, meldet der Bullshit-Detektor. Draußen wütet der Föhnsturm und bläut der Himmel, daß es eine Art hat. Und da muß man halt mal nachgeben und einräumen, daß es einfach gar nichts gibt, über was sich zu schimpfen lohnte.