Don’t kick it like Beckham


Wenn Popkultur nur aus bunten Farben, Metrosexualität und leeren Posen besteht, will M.I.A. kein Teil davon sein. Die Londonerin hat sich in den Kopf gesetzt, die Welt zu verändern.

„Vielleicht kann man nicht buchstäblich die Welt verändern“, sagt Maya Arulpragasam bei einer Tasse Tee im Cafe eines Berliner Hotels. „Aber man kann ein Samenkorn einpflanzen und hoffen, daß es gedeiht.“ Sie lehnt sich zurück, überlegt und bricht in ein offenes, fast kindliches Lachen aus. „Das sind sehr ehrgeizige Ziele. Die meiste Zeit bin ich selbst so überwältigt davon, daß ich mir einfach nur stundenlang die Haare kämmen will.“

Hätte Maya tatsächlich ihre Tage vor dem Badezimmerspiegel verbracht, sie wäre nie in den Genuß gekommen, Kunst zu studieren, in Justine Frischmanns Keller zu wohnen, MC zu werden und schließlich mit Hilfe einer Roland MC-505 Groovebox die explosive Mischung aus Bhangra, Ragga, HipHop und Elektro zu programmieren, die heute einen entscheidenden Beitrag zur Weiterentwicklung derbritischen Dance-Kultur leistet. Ihrer Mutter allerdings hätte sie auch viel Ärger erspart. „Sie hat lange die Hoffnung nicht aufgegeben, mich eines Tages noch mit einer arrangierten Heirat auf den richtigen Weg bringen zu können“, erzählt Maya belustigt. „Ich war zuhause nett und einfühlsam, weil es meine Mutter nie leicht gehabt hat. Da hat sie sich wohl gedacht, ‚Hm, vielleicht kann ich sie ganz sanft manipulieren, bis sie einen fetten Mann in Sri Lanka heiratet, den sie noch nie vorhergesehen hat‘.“

„Das Ding“ war der wenig liebevolle Spitzname, den sich Mayas Mitschüler für das zierliche Mädchen mit dem unaussprechlichen Nachnamen ausgedacht hatten. Daß sie jeden Tag auf Geheiß ihrer Mutter eine tamilische Nachmittags-Schule besuchen mußte, erschwerte zusätzlich die Integration. Maya lernte die Sprache nur langsam, denn sie war bereits elf Jahre alt gewesen, als die Arulpragasams ohne Vater – der sich tamilischen Rebellen angeschlossen hat und bis heute keinen Kontakt mit der Familie sucht – und ohne Geld 1986 nach England gekommen waren. Während ihre Mutter in einem Betrieb als Näherin arbeitete, verbrachte Maya als Teenager viel Zeit in der Wohnung in einer Sozialbausiedlung in Colliers Wood, einem rassistischen Stadtteil mit unkontrollierbarer Kriminalität. Da Einbrüche dort an der Tagesordnung waren, hörte Maya durch die dünnen Wände die ersten HipHop-Songs aus ihrem eigenen Radio, das seinen Weg in die Wohnung der Nachbarn gefunden hatte. „Wir waren eine von nur zwei asiatischen Familien in der Gegend“, berichtet sie. „Ich bin nach der Schule nach Hause gekommen und unsere Wohung wurde vor meinen Augen ausgeraubt. Leute haben einfach unseren Fernseher an mir vorbeigeschleppt. Aber das war immer noch erträglicher als Sri Lanka.“

Das ungeheure Potenzial, das Maya als Künstlerin hatte, erkannten erstmals die Professoren des rennomierten Central Saint Martins College of Art and Design in London. Der plötzliche Statuswechsel – die einstige Außenseiterin fand sich nach bestandener Aufnahmeprüfung in einem Kreis von Auserwählten wieder – katalysierte einen Reifungsprozess, der längst überfällig war: Sprühend vor Ideen begann Maya Plattencover zu designen (u.a. für Elastica), Bilder mit politischen Inhalten zu malen und Dokumentarfilme über brisante Themen zu drehen. Wie sich herausstellte, waren einige davon in den Augen der Schulleitung zu brisant. Nach einer Sri-Lanka-Exkursion, von der Maya 60 Stunden Film für eine Reportage über tamilische Terroristen zurückbrachte, wurde sie von ihren Professoren zum Gespräch gebeten. Das Projekt, gab man ihr zu verstehen, sei „nicht künstlerisch genug“. „Sie haben mich beiseite genommen und gesagt: ‚Maya, hör ENDLICH auf zu kämpfen! Warum mußt du immer die Konfrontation suchen?'“ erzählt sie und haut vor Erregung mit der Faust auf den Tisch. „Ich hab gesagt: Meine Mutter fliegt aus ihrer Sozialwohnung, weil sie die Miete nicht bezahlen kann. Mein Bruder ist im Gefängnis und mein Vater Terrorist, was soll ich machen? Ihr gebt mir keine Chance, weil ich in der Unterzahl bin: Auf eine wie mich, die die Realität zeigen will, kommen 25 Studenten, die filmen, wie sich das Wasser kräuselt und ein Blatt vom Baum fällt.'“ Um schnell zum Abschluß zu kommen, war Maya zu kleinen Kompromissen bereit und bepinselte beispielsweise ihre Fotos von vermummten Rebellen mit bunten, poppigen Farben: „Ich hab einfach getan, als ob ich auch so oberflächlich wie die anderen bin.“

Mit akademischem Grad aber ungebrochenem Idealismus machte sie sich nun daran, ihrem inhaftierten Bruder moralisch zur Seite zu stehen, indem sie ihn in ein vielversprechendes Kunst-Projekt einband: „Die Kids im Jugendknast haben unglaubliche Energie und wissen nicht, wohin damit. Gleichzeitig fühlen sie sich wie der letzte Dreck. Ich mußte verhindern, daß mein Bruder seine Selbstachtung verliert. Also hab ich ihm einen Kassettenrecorder geschickt und ihm aufgetragen, jeden Tag Berichte seiner Erlebnisse aufzunehmen, damit wir später ein Drehbuch schreiben können.“Die Rechnung ging auf: Wieder auf freiem Fuß erwieß sich ihr Bruder – sowie zeitweise bis zu 20 andere junge Ex-Häftlinge – als begeisterter Autor. Das Drehbuch stieß auf Interesse, doch die bürokratischen Mühlen des Produktionskonzerns New Line Cinema („Herr der Ringe“) bremsten schließlich Mayas Enthusiasmus. „Ich hatte Meetings mit dem Firmen-Präsidenten. Alles ging unglaublich zäh voran. Daß der Film schließlich nicht gedreht wurde, war aber nicht mehr so wichtig: Ich hatte bereits das Leben von zehn Kids zum Positiven verändert.“

Was zunehmend wichtiger in Mayas Leben wurde, war die Musik. Als persönliche Dokumentarfilmerin von Elastica hatte sie auf Tournee Blut geleckt und vor allem Gefallen an Drumcomputern gefunden. Da sie auch den Klang ihrer Stimme im Zusammenspiel mit komplexen Rhythmen gut leiden konnte, nahm sie Demos auf, die den richtigen Leuten in die Hände fielen. Produzenten wie Richard X, Anthony Whiting und Switch mußten im Studio nicht viel mehrtun, als hierund da ein paar Effekte einbauen und die oft chaotischen Rhythmen der musikalisch noch etwas tollpatschigen Künstlerin zu ordnen. Mayas Lebenserfahrung, ihr Optimismus, ihre Unbeugsamkeit und ihre Freude am Experimentieren taten ein Übriges – mit ARULAR zündete sie eine Underground-Explosion, deren Wucht auch den Mainstream erschüttern wird.

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