Ein bißchen Wahrheit


Will Sheff, einer der feinsinnigsten und leidenschaftlichsten Songschreiber seiner Generation, war psychisch schwer angeschlagen, als er vor einem Jahr mit der Band Okkervil River das rauhe, packende Indierock-Meisterwerk Blck Sheep Boy eingespielt hat. „Ich hatte eine schmerzhafte Trennung hinter mir und keinen festen Wohnsitz“, berichtet er aus einem kleinen Apartment, das er sich inzwischen in Austin in Texas zugelegt hat. „Ich fühlte mich entwurzelt in einer Welt, von der ich das Gefühl hatte, daß sie auf den Abgrund zusteuert.“

Blättert man lediglich im Booklet dieses außergewöhnlichen Albums, das die Musiker oft nur mit Un terhosen bekleidet bei über 40 Grad in einer texanischen Wellblechhütte ohne Klimaanlage eingespielt haben, öffnet sich bereits ein Tor zu einer anderen Welt: Zwischen verstörenden Bildern des Künstlers William Schaff finden sich Texte von großer emotionaler Kraft, die losgelöst von der Musik ein Bild von Schmerz und Tod und Verzweiflung malen, das trostlos wie Steven Spielbergs Kulisse in „Krieg der Welten“ ist. „If you’re dying to be led, they ‚II lead youupthe hill in chains to their populär refrains until your slaughter’s been arranged, my little lamb, and it ’s too late total the knife out of their hands“, textet Sheff in „The Latest Toughs“ wie ein Prophet der Apokalypse. Legt man jedoch die CD ein, um das Kunstwerk in seiner Gesamtheit zu begreifen, offenbart sich eine Dimension, die Texte und Booklet alleine nicht transportieren können: So kraftvoll, wahrhaftig und direkt sind die Songs, die mit Gitarren, Wurlitzer-Pianos, Mandolinen, Vibraphonen, Lap-Steel-Guitars und Casio-Keyboards eingespielt wurden, daß sie einem direkt ins Herz fahren, daß man Hoffnung spürt und Trost erfährt, wo man in den bloßen Worten keinen fand. „Ich werde oft gefragt, warum ich immer traurige Lieder schreibe“, sagt Sheff. „Dabei versuche ich, den Songs auch eine ekstatische Qualität zu geben, die dem Gefiihl entspricht, das man hat, wenn man traurig und glücklich zugleich ist-wenn man spürt, daß man am Leben ist. Wenn du dir Songs anhörst, die Menschen ‚traurig‘ finden, wirst du feststellen, daß viele davon gar nicht traurig sind. Sie haben lediglich eine Tiefgründigkeit, die manche Leute schwer ertragen können. Aber echtes Glück kann man nun mal nicht erzwingen, indem man ein glückliches Gesicht aufsetzt. Man muß das Leben ernsthaft zu ergründen suchen, weil wir alle sterben müssen. Es ist tatsächlich auch wunderschön. Mein Ziel ist aber nicht, die Nerven zu streicheln und zu sagen, daß alles gut wird. Ich will nur ein bißchen Wahrheit vermitteln.“

Wie er es angestellt hat, daß er mit diesen Ambitionen nicht gescheitert ist, wird sein Geheimnis bleiben …

www.okkervilriver.com