Ein Fall für zwei


Wer nach ungewöhnlich guter Musik fahndet, sollte Chris Lombardi und Gerard Cosloy mit der Suche beauftragen. Denn die Macher des Labels Matador werden immer fündig.

Wenn Gerard Cosloy und Chris Lombardi jede Nacht durchschlafen würden, wäre die Welt nicht mehr in Ordnung. Die beiden Chefs des US-Labels Matador sind einiges gewöhnt, z.B. früh um vier vom vollkommen aufgelösten Roadmanager einer ihrer Bands angerufen zu werden: „Da erzählt mir dieser Mensch aus Salt Lake City von einem chaotischen Konzert, von Schlägereien beim Auftritt und einem demolierten Band-Bus“, erinnert Gerard Cosloy sich, „um mir dann mitzuteilen, daß Jon Spencer von der örtlichen Polizei eingebuchtet worden ist. Und nun fragt dieser Manager uns nun nach einem Anwalt. Wir waren total verzweifelt. Am Schluß kam dann raus, daß alles nur erfunden war.““Und das war schon das zweite- oder drittemal, daß unsere Schützlinge so ein Spiel mit uns trieben“, ergänzt Chris Lombardi lachend.

Wer mit solch Ehrfurcht gebietender Fürsorge und rührenden Vatergefühlen die kleinen Marotten seiner Ziehkinder quittiert, kann nur ein Guter sein. Oder besser: zwei Gute – mit einem Faible für schräge Musik, die von den meisten Plattenbossen nicht mal wahrgenommen wird. Unter der Matador-Flagge erlebten einige der wichtigsten Exponenten der etwas anderen amerikanischen Rockmusik der 90er Jahre ihre Jungfernfahrt: Pavement und Liz Phair,dieJon Spencer Blues Explosion, Sleater-Kinney,Thinking Fellers Union, Local 282 und Cat Power- andere, wie Yo La Tengo, Mark Eitzel und Guided By Voices, stießen erst auf ihre alten Tage zum prominenten Label am Broadway in Manhattan, das heute 30 Angestellte beschäftigt. „Bei uns arbeiten genug Verrückte. Soll keiner sagen, wir beiden seien die einzigen“, mahnt Cosloy. In der Szene gilt er als glamouröser Querkopf mit Riecher für das nächste große Ding, seit er sich in den 8oern als Entdecker von DinosaurJr. und Sonic Youth profilieren konnte.“Bei Matador arbeiten Freunde von uns, Collage-Radio-DJs, Indie-Experten. Leidenschaft für Musik ist die beste Erziehung für diesen Job.“ Und Integrität, sollte man hinzufügen. Die muß sich das Matador-Duo immer wieder neu erstreiten.

Denn um effektivere Vertriebswege erschließen zu können, benötigen Cosloy und Lombardi die Unterstützung von anderen, bisweilen weit größeren Firmen. Und bei derlei Geschäften können die Belange des kleineren Partners schon mal leicht ins Hintertreffen geraten.Trotzdem sind die beiden Matador-Macher auf Kooperationen mit anderen Unternehmen angewiesen. „Auf diese Weise gelangen unsere Platten einfach besser in die Läden“, unterstreicht Lombardi noch einmal den Sinn der Deals mit anderen Firmen. Außerdem: „Seit wir mit Majors im Geschäft sind, können wir unsere Bands besser und fairer bezahlen.“ Der Großteil der Neuveröffentlichungen von Matador wird aber nach wie vor unabhängig vertrieben, so zum Beispiel in Deutschland über Rough Trade. Kommerzielle Großoffensiven aber werden über den neuen Partner Capitol/EMI gestartet.

Trotzdem: Die Matadore werden weiterhin im Untergrund wildern, ohne sich dabei auf einen bestimmten Sound festzulegen. So wurden die japanischen Hipster von Pizzicato Five nur deshalb verpflichtet, weileine Mitarbeiterin ein Video der Band mit ins Büro brachte. Seitdem gibt es das exotische Schubidu aus Tokio auch bei uns zu kaufen.

Liz Phair.jene US-Sängerin, die mit ihrem Matador-Debüt „Exile In Guyville“ auf zwei miniberockten Beinen eine ganze Lawine an femininen Pop-Entwürfen lostrat, verschaffte sich im Hause Matador mit Frechheit Gehör. „Sie rief uns an“, erzählt Cosloy, „und verlangte förmlich von uns, das Band mit ihren Aufnahmen in den Recorder zu stecken. Normalerweise legen wir bei Anrufen dieser Art einfach auf. Aber diesmal war es anders. Wir hörten uns die Songs an, und es fegte uns förmlich von den Sesseln.“ Der Rest ist bekannt – Liz Phair wurde zur bislang erfolgreichsten Künstlerin auf dem Matador-Label.

Bis zu diesem vorläufigen Höhepunkt in der Firmengeschichte war allerdings ein weiter Weg zurückzulegen. Lombardi gründete Matador 1989 mit geborgtem Geld von seinem Vater und einer Platte des österreichischen Avantgarde-Hardcore-Duos H.P. Zinker. Kurz darauf stieg Cosloy ein, und somit hatte Matador seine beiden Köpfe: auf dereinen Seite Lombardi, ein besonnener Riese, der abends die Lichter im Büro ausmacht, die Miete zahlt und auch sonst alles geradebiegt, was schiefläuft. Auf der anderen Seite Cosloy, ein Freak aus Boston, Fanzine-Verleger und Brillenträger mit Vorliebe für das Modell Elvis-Costello.

Richtig auf Touren kam der Matador-Motor nach dem globalen Erfolg von Nirvana und der damit verbundenen Explosion der Gitarren in Seattle. Wo stünde Matador heute ohne den weltweiten Grunge-Boom, auch wenn der Lärm aus dem Nordwesten der USA nur zwei Sommer andauerte? Cosloy glaubt, die Antwort zu kennen.- „Bevor es Nirvana gab – eine Band, die ohne Frage sehr wichtig war – .haben Typen wie Chris und ich,genauso wie eine Menge anderer Musikfreaks, das Klima für eine klangliche Revolution geschaffen. Auch Bands wie die Melvins und die Wipers haben dabei mitgeholfen. Wir schulden Nirvana also nicht allzu viel Dank.“