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Wolfgang Hertel Im Sommer 1992, um Viertel vor Grunge, kommen Guns N‘ Roses für fünf Konzerte nach Deutschland. Die monströse „Use Your Illusion“-Tournee läuft zu diesem Zeitpunkt bereits ein Jahr und wird noch 1A Monate dauern. Am Ende wird die Band zerbechen.

Was für eine Gigantomanie: 192 Konzerte in 27 Ländern, und das in einem Zeitraum von 26 Monaten. Die „Use Your Illusion“-Tournee erstreckte sich vom 24. Mai 1991 bis zum 17. Juli 1993, danach hatten mehr als sieben Millionen Menschen Guns N ‚Roses live gesehen. Die monströseste Tour der jüngeren Rock’n’Roll-Geschichte war zu Ende, mit ihr – wie sich später herausstellen sollte – eine ganze Ära. Drei blasse, abgerissene Typen aus Seattle hatten ein neues Kapitel eingeläutet – Nirvana. Die Mitglieder von Guns N‘ Roses, wahlweise ausgebrannt, drogensüchtig oder größenwahnsinnig, hatten nichts entgegenzusetzen, die Band zerbrach.

Am 1. August 1987 kommt „Appetite For Destruction“ auf den Markt, die Platte verkauft sich ordentlich, aber nicht berauschend. Tom Zutaut, damals A&R-Manager von Geffen Records, bittet seinen Boss, bei MTV anzurufen und seinen Einfluss geltend zu machen, damit das Video zu „Welcome To The Jungle“ gesendet wird. Die MTV-Leute lehnen ab, strahlen den Clip – um David Geffen nicht vollends zu vergTätzen – einmal aus, Sonntagmorgen um fünf Uhr. Die Telefonleitungen des Senders brechen daraufhin vor Anfragen zusammen, der Start einer unvergleichlichen Karriere. Im Februar 1988 – die Band spielt zu dieser Zeit im Vorprogramm von Aerosmith – erreicht „Appetite For Destruction“ Platz eins der Albumcharts. Um die Nachfrage der Fans zu bedienen, schiebt Geffen Ende November 1988 das Album „Lies“ nach, das neben der EP „Live ?!* @ Like A Suicide“ noch vier Akustik-Tracks enthält. Die Drogenprobleme der Band treten derweil immer offener zu Tage, genauso wie die labile Psyche ihres Sängers Axl Rose. Colleen Combs, seine langjährige Assistentin, erinnert sich später im amerikanischen Spin Magazine: .JKxlzeigte mehr und mehr paranoide Züge, er dachte, irgendwer sei hinter ihm her, irgendjemandwolle ihn umbringen“ Mitte 1990 beginnen die Arbeiten am Nachfolger zu „Appetite For Destruction“, kurz darauffliegt Schlagzeuger Steven Adler aus der Band, für ihn kommt Matt Sorum. Axl Rose offenbart erste Anzeichen latenten Größenwahns. Nochmal Colleen Combs: „Er wurde immer eitler, färbte sich die Augenbrauen und ließ sich die Zähne richten. Außerdem hat er sich plötzlich nurnoch von Sushi ernährt.“ ‚Die Aufnahmen zu den beiden „Use Your Illusion“-Alben ziehen sich in die Länge, trotzdem beginnt am 24. Mai 1991 – damals noch unter dem Motto „Get In The Ring“ – die in jeder Hinsicht rekordverdächtige Welttournee.

Axl ROSe beansprucht bei den Konzerten eine eigene Umkleide, hat 24 Stunden einen Bodyguard um sich, immer in Reichweite sind außerdem ein persönlicher Fitnesstrainer, ein Physiotherapeut sowie eine Masseurin. Rose istzu dieser Zeit komplett auf dem Gesundheitstrip, trinkt nur noch Mineralzeitlupe

wasser, in seiner Umgebung darf nicht mehr geraucht werden. Der Rest der Belegschaft lässt es dafür umso heftiger krachen. Slash hat seine Ernährung komplett auf Rock’n’Roller-Vollwertkost umgestellt: Jack Daniel’s und Vodka. Der Rest der Belegschaft bevorzugt ebenfalls Getränke mit hoher Drehzahl. Matt Sorum gibt später zu Protokoll: „Vordem Konzert in New York waren wir im Trump Tower Burger essen, das Stück für 35 Dollar.“ Aber das war im Vergleich zu dem, was noch kommen sollte, ziemlich harmlos. „Nach dem ersten Konzert im Giants Stadium, wo es backstagenur einen Flipper und ein paar Flaschen Alk gab, meinte Axt: ,Wir sind hier nicht bei den Rolling Stones! ‚Ab der nächsten Nacht hatten wir ein komplett ausgestattetes Spielcasino dabei, es gab ohne Ende Hummer und Schampus.“ Bis zu 100.000 Dollar gehen pro Abend für die After-Show-Party drauf. Hinzu kommen mehrere hundertausend Dollar an so genannten curfew violationfees , saftige Geldbußen, weil die Band regelmäßig überzieht, die Konzerte nicht rechtzeitig zu Ende bringt. Schuld ist Axl Rose, immer öfter lässt er die Fans – manchmal bis zu zwei Stunden – warten.

Im AuaUSt 1991 treten Guus N‘ Roses zum ersten Mal seit 1987 in Deutschland auf. Damals war es das „Tor 3“ in Düsseldorf, diesmal ist es das Mannheimer Maimarktgelände. Veranstalter sind Marek Lieberberg und sein damaliger Partner Ossy Hoppe. Sie wissen natürlich um die Risiken, der schlechte Ruf ist der Band vorausgeeilt. Im Interview mit dem MUSIKEXPRESS erinnert sich Hoppe: „Ichpersönlich bin immer sehr gut mit Axl klargekommen, er ist einsuperTyp, müdem man sich toll unterhalten kann. Er ist jemand, der sehr viel Wert aufgood vibes legt, und ich war anscheinend in der Lage, ihm diesegood vibes zu vermitteln.“ Eine Stunde vor Konzertbeginn ist Axl Rose noch immer nicht auf dem Maimarktgelände eingetroffen. 70.000 Zuschauer wissen nicht, dass die Show auf der Kippe steht, genauso wenig die Londoner Kollegen von Hoppe und Lieberberg, die sich vor Ort einen Eindruck machen wollen, um mögliche Risiken für die anstehenden Konzerte in England abzuschätzen. Rose ist noch im Hotel – nicht in Mannheim, sondern in Frankfurt. Doug Goldstein, der Manager von Guns N‘ Roses, bittet Hoppe, Rose abzuholen. „Wir sind in einem Höllentempo nach Frankfurt gerauscht“, so Hoppe, „hetzten in die Suite von Axl, wo er noch im Bademantel rumstand. ‚ Hoppe weiß, dass er Axl Rose nicht drängen darf, das würde die Situation eskalieren lassen. „Im Hotel hat Axl mich dann gefragt: ‚Don’twehave togo?‘, und ich hab gesagt: ‚Ne, gib mir erst noch einen Drink, wir trinken noch einen.‘ Innerlich habe ich natürlich gekocht.“ Schließlich rasen sie nach Mannheim. Axl Rose sprintet direkt auf die Bühne, alles scheint noch mal gut gegangen. Nach einer knappen Viertelstunde bricht er das Konzert ab. „Axl ist einfach von der Bühne marschiert, weil er glaubte, irgendwelche technischen Probleme zu haben. Er brauchte für solche Aktionen keine objektiven Gründe.“Rose versucht, das Gelände zu verlassen, aber – Hoppe schmunzelt „irgendwer hatte alle Tore nach draußen schließen lassen.“ Axl Rose wird in die Umkleide zurückverfrachtet und kommt – nach einer halben Stunde – auf die Bühne zurück. „Nach dem Konzert hat er mir gesagt, wiegeil er die Show fand. Aber sie war wahrscheinlich nur deshalb so geil, weil Axl supersauer war und seine ganze Wut auf der Bühne rausgelassen hat.“

Knapp ein Jahr spater spielen Guns N’Roses fünf weitere Shows in Deutschland. Der Größenwahn hat sich inzwischen endgültig Bahn gebrochen, Rose hat die Band – völlig sinnfrei – um eine Bläsersektion und zwei Background-Sängerinnen aufgestockt, hinter der Bühne werden sämtliche Rock’n’Roll-Klischees durchdekliniert. Selbst Faith No More, die bei einigen Konzerten als Vorband dabei sind, wird das Ganze zuviel. Sie versuchen Axl Rose zu erklären, dass sie sich einer völlig anderen Szene zugehörig und in diesem Umfeld nicht wohl fühlen. Rose scheint nicht ganz zu verstehen, was sie meinen, er schleppt sie in einen Wohnwagen, wo zwei Stripperinnen miteinander rummachen. Es wird kolportiert, dass inzwischen mehr Groupies als Roadies den Tross begleiten. Slash wird später sagen: „Dasganze Brimborium hat die Band belastet.Wir konnten mit der Situation gar nicht richtig umgehen, dieser ganze übertriebene Luxus.“ Ging es denn wirklich so heftig zur Sache? Ossy Hoppe lächelt: „Esging bei weitem nicht so wild zu wie bei den Parties, die wir in den Siebzigern gefeiert haben.“ Die ganze Wahrheit werden wir wohl nie erfahren. Das Material (Arbeitstitel: „The Perfect Crime“) des Filmteams, das Guns N‘ Roses während der „Use Your Illusion“-Tour mehrere Monate begleitete, ist im Giftschrank verschwunden.