Falco


Seine Karriere war zu Ende. Doch dann machte ausgerechnet der Tod wieder einen Superstar aus ihm Claus J. Bellinghaus über himmlische Umsätze und teuflische Machenschaften mit dem Mythos Falco.

WAS KEINE HEERSCHAR VON DEVOTIONALI ANSAMMELNDEN FANS, keine geifernde Meute gieriger Nachlaßverwalter und keiner der händereibenden Musik-Leichenfledderer jemals so schnell zu Stande gebracht hätten, schaffte der Hurrikan „George“ in wenigen Minuten: Im Herbst letzten Jahres pflügte der verheerende Wirbelsturm nicht nur eine Schneise des Todes und der Verwüstung durch die Karibik – er zerstörte in Windeseile auch das komplette verbliebene Hab und Gut des im Februar verstorbenen Hans Hölzel alias Falco. Dessen Mutter, Maria Hölzel, stand mit Tränen in den Augen fassungslos vor der Garage, in der sie nach dem Tod ihres Sohnes all das hatte unterstellen lassen, was er in seiner Villa auf der Dominikanischen Republik zu Lebzeiten stehen, liegen und hängen hatte: Jugendstilmöbel, seine Rassgitarre, Goldene Schallplatten, Instrumente, Fotos, Aufzeichnungen, Erinnerungsstücke aus vier Lebensjahrzehnten – alles futsch, zertrümmert, zerweicht von den Urkräften des Tropen-Sturms, unwiederbringbare Werte, über deren Verlust auch die fetteste Erbschaft nicht hinweghelfen kann. Selten war nach dem Tod eines Popstars die Nachlaßfrage so schnell und einfach geregelt. Falco hatte ein kurzes, aber eindeutiges Testament hinterlassen. Alleinerbin seines gesamten Besitzes: Maria Hölzel. Allein Falcos Vater Alois könnte noch versuchen, seinen Pflichtteil einzuklagen. Doch der war 1967, Falco war gerade zehn Jahre alt geworden, zu seiner Freundin gezogen und hatte sich seitdem nie wieder um seinen Sohn gekümmert. Die Mutter erwartet deshalb von dieser Seite auch kein Störfeuer: „Es gibt ein Testament, das mich als Alleinerbin vorsieht. Natürlich kann Falcos Vater den Pflichtteil einklagen. Aber das wäre ein starkes Stück. Um sein Kind hat er sich sein Leben lang einen Nasenrammel gekümmert. Selbst für den Unterhalt mußte ich ihn ständig pfänden lassen.“

ES GEHT UM VIEL GELD. UM SEHR VIEL GELD SOGAR. Allein aus den Verwertungsrechten des musikalischen Nachlasses im Jahr 1998 kann die Erbin satte sechs Millionen Mark erwarten. Verwaltet wird der Nachlaß zur Zeit noch von Falcos Anwalt Georg Riedl und seinem Ex-Steuerberater Willibald Zmatlo. Beide arbeiten an einem Konzept der „professionellen Kommerzialisierung der Trademark Falco“, das dafür sorgen soll, „daß künftig nichts mehr verramscht wird“.

Eine berechtigte Sorge, schließlich brachte das vergangene Jahr nicht nur Dutzende von angeblich „engen Freunden Falcos“ ans Licht der Medienöffentlichkeit. Vor allem die übertourig angelaufene Vermarktungsmaschine des Musik-Erbes bereitet dem Anwalt Sorge Denn kaum war Hans Hölzel am 15. Februar von mehr als 6.000 Menschen auf seinem letzten Weg zum Wiener Zentralfriedhof begleitet worden, liefen in Deutschland schon die Plattenpressen heiß. Nur sieben Tage später kamen Album und Single „Out Of The Dark“ in die Läden und bewiesen binnen kürzester Zeit, wie recht Falco doch hatte: „Weißt Du“, erzählte er einmal seinem Vertrauten und Berater Hans Mahr, „mich werden sie in Wien erst richtig gern haben, wenn ich tot bin.“ Eine Erkenntnis, die ein anderer bekannter Wiener lange vor ihm hatte. Schon Helmut Qualtinger wußte: „In Wien mußt‘ erst sterben, daß‘ dich hochleben lassen. Aber dann lebst lang.“ Was Falco nicht ahnen konnte: Auch in Deutschland liebten die Plattenkäufer, die sich bei all seinen Alben seit „Wiener Blut“ (1988) geziert hatten, die Geldbörse zu zücken, den deutsch-englischen Sprechgesang des einzigen österreichischen Pop-Stars, der es auch in den LISA und in England bis zur Chartspitze (mit „Amadeus“) gebracht hatte, plötzlich wieder heiß und innig. Ein altbekanntes Symptom: Postmortale Portmonnaie-Power- Death Seils. Nicht immer, wie die eher schlappen INXS-Verkaufszahlen nach dem Selbstmord von Michael Hutchence beweisen. Eine Ausnahme, welche die Regel nur bestätigt: Queen nach dem Ableben von Freddie Mercury, Elvis, oder Nirvana in der Zeit nach Cobains Todesschuß – alles Künstler, deren Platten sich posthum besser verkauften als in deren jeweils letzten Lebensjahren. So brummte denn auch pünktlich und zuverlässig das Falco-Geschäft: Die Single „Out Of The Dark“ verkaufte über eine Million Einheiten, das gleichnamige Album und die nächste Single „Egoist“ jeweils 500.000, die Best-Of „The Hit-Singles“ ging Top Ten, Bücher und Videos überschwemmten den Markt. Wo „Falco“ drauf stand, war Geld drin. Und das soll nach dem Willen der Vermarkter auch noch ein hübsches Weilchen so weitergehen. „Push! Push!“, ein bislang unveröffentlichtes, musikalisch selbst für Falco-Kenner außergewöhnlich hartes Stück, ist als neue Single bereits auf dem Weg an die Chartspitze – unterstützt von dem amtierenden Boxweltmeister im Mittelschwergewicht, Sven Ottke, der zu diesem Song am 27. Februar zu seinem Titelverteidigungskampf einlaufen wird. RTL ist live dabei.

Falco, so heißt es in dem Info der Plattenfirma, soll im Studio zu seiner Gesangsarbeit bei „Push! Push!“ gesagt haben, es sei „die Performance meines Lebens“ gewesen. Gar nicht mal so unwahrscheinlich, daß er das wirklich gesagt hat, denn Falco hat in seinen 40 Jahren mehr geredet als andere Menschen in sieben Leben. Und: Wehren kann er sich ohnehin nicht mehr. Auch nicht gegen die fortgesetzte Ausweidung seines auf Tonbändern hinterlassenen Musik-Erbes. Immerhin – zwei Hände voll fetter Hits sind auf der am 22.

bruarerscheinenden Kompilation „The Final Curtain“ (siehe Kasten) zu hören.

Maria Hölzel flehte unlängst: „All jene, die meinem Sohn nicht so wohlgesonnen waren, bitte ich, ihn in Frieden aihen zu lassen.“ Eine Bitte, die im heißen Wind der Umsatzverlockungen ungehört verhallen wird. Ebenso wie die Wehklage des damaligen Falco-Entdeckers Markus Spiegel. Der hatte 1980 Falco als Pausenfüller bei einem Konzert von dessen Band Drahdiwaberl gesehen. Falco sang seinen Solo-Song „Ganz Wien“, und Spiegel war so überzeugt von der für damalige Verhältnisse überwältigenden Optik und Attitüde, daß er Hans Hölzel kurz darauf einen Vertrag über drei LPs auf den Tisch legte. In einem Interview mit dem österreichischen Magazin „News“ tobte Spiegel nun: „Seit dem Tod haben wir 100.000 Stück vom Back-Katalog verkauft. In der Branche gilt leider das zynische Sprichwort ‚Nur ein toter Künstler ist ein guter Künstler‘. Das letzte Album hätte Falco nie veröffentlicht. Zu Lebzeiten hätten ihn die Kritiker in der Luft zerrissen – und das war immer seine größte Angst. Das Bestreben, unautorisierte Falco-Titel zu veröffentlichen, sehe ich als Leichenfledderei. Ich besitze Rechte an Live-Songs und plane ein Album in Falcos Sinn.“

Doch genau hier liegt das Problem: Was in Falco Sinn war, wußte er zuletzt offenbar selbst nicht so recht. Etliche der neuen Songs des „Out Of The Dark“-Albums waren lange vor Falcos tödlichem Verkehrsunfall (am 6. Februar 1998 in der Dominikanischen Republik) fertig eingespielt, das Album hätte im Grunde längst veröffentlicht werden können. Ein EMI-Sprecher bestätigt: “ Das Tape lag fast zwei Jahre lang in unserem Safe, aber es hieß immer nur: ,Der Künstler hat es noch nicht freigegeben, will einige Songs noch überarbeiten‘. Es ist schon tragisch, daß er das Erscheinen der Platte nicht mehr erlebt hat.“ Das findet auch Helmut Fest, der ehemalige EMI-Boss: „Es ist schade, daß viele Menschen Hans‘ wahre Werte erst nach seinem Tode zu erkennen scheinen. Dieser fragile Mensch hätte einen Großteil der ihm nun entgegengebrachten Zuneigung zu seinen Lebzeiten gebraucht und verdient.“

EINER DER IHM DIESEN RESPEKT JAHRELANG GEZOLLT hat, ist der Berliner Musik-Mogul George Glueck, der Falco seit seinem 1995er Comeback-Versuch managte (die Single „Mutter, der Mann mit dem Koks ist da“ veröffentlichte Falco unter dem Pseudonym T»MA). Glueck erinnert sich: „Hansi war sensibel, höflich, einfühlsam. Falco war kreativ, impulsiv und brannte wie eine Kerze an beiden Enden zugleich. Hansi suchte Geborgenheit und Freundschaft auch bei der Arbeit. Falco suchte immer wieder den Weg zum Rampenlicht. Beiden gemeinsam war ein guter Sinn für Humor und die Gabe und Bereitschaft zur Inszenierung.“ George Glueck war es auch, der für Falco ein Team aus kreativen und auf der Höhe der Zeit arbeitenden Videoleuten, Managern und Produzenten zusammensuchte. Mit Dabei: Dolezal/Rossacher, der TicTacToe-Produzent Thorsten Borger, Reinhold Heil und Udo Arndt. Glueck: „Gemeinsam haben wir den Falco für das neue Jahrtausend erarbeitet. Schade, daß die intensive Zusammenarbeit mit diesem Mann der extremen Gegensätze so abrupt beendet wurde. Wir haben insgesamt eine Million Alben verkauft. Mir wäre es trotzdem lieber, wir hätten nur ein Viertel davon verkauft und der Hansi war‘ noch am Leben.“

„George Glück hat für das Album entsprechendes Material akquiriert“, bestätigte Falco in einem seiner letzten Interviews dem Reporter des Senders „03“. „Wir produzieren auf drei Ebenen. Mit Torsten Borger in Dortmund, mit Reinhold Heil in Berlin – und mit Jeo in Hamburg eine Coverversion von Rio Reisers ‚Geld‘. Ich hätte noch gern einen Kraftwerk-Titel. Leider habe ich gehört, daß bei denen die Verlagsverhandlungen sehr pingelig laufen.“ Falco war also bis kurz vor seinem Tod davon ausgegangen, daß das Album bald fertig sein würde. Mut und Zuversicht schöpfte er auch daraus, in Glueck einen Manager gefunden zu haben, der mit der Wankelmütigkeit des Sängers zurecht kam: „Sein Charme lag in gewissem Sinne auch in seiner Unberechenbarkeit“, meint Glueck. „Man konnte nie vorhersehen, was Falco präsentieren würde. Deshalb wußte nie jemand, ob Falco am anderen Tag einen Hit haben würde oder nicht. Aber es wagte aus diesem Grund auch niemand, ihn ganz abzuschreiben.“

Falcos Unberechenbarkeit und sein düsterer Hang zum Drogenexzess bis an die Grenze der Selbstzerstörung waren eine Folge der selbstgewählten Persönlichkeitsspaltung zwischen dem Privat-Hans und dem Glamour-Falco, an derer mehr und mehr zugrunde ging. Sein früherer Manager Horst Bork zeichnet die Verfallsgeschichte nach: „Mit jedem Mehr von Falco wurde Hans Hölzel weniger. Seine Freunde Jack Daniels und Johann Walker besuchten ihn immer häufiger und brachten meist Gäste mit den Vornamen ‚Psycho‘ und ‚K.o.‘ mit.“ In diesem Zusammenhang bekommen die aufgebrachten Worte von Markus Spiegel erst richtig Sinn: Für jede Plattenhrma der Welt ist so ein Künstler tatsächlich nur ein guter Künstler, wenn er tot ist. Erst dann läßt er sich ohne jede Gefahr des Dazwischenfunkens nach allen Regeln der Kunst vermarkten. Und in dieser Hinsicht wird Falco als Kunstfigur noch lange überdauern, denn die Pläne sind längst geschmiedet.

Falcos Grab auf dem Wiener Zentralfriedhof soll zu einer monumentalen Pilgerstätte ausgebaut werden. Maria Hölzel fand auf dem Grabstein beim täglichen Besuch den Entwurf eines Wiener Steinmetzes: Ein 3,2 Meter hoher Obelisk aus rotem Marmor, daneben eine Basaltsäule mit dem in Glas gegossenen Falco-Foto von dem „Nachtflug“-Cover. Kostenvoranschlag: 100.000 Mark. Falcos Villa in Gars (Schätzwert: rund drei Mio. DM) soll zu einem Falco-Museum umgebaut werden. Necro-Touristen können bereits seit dem 31. Juli 1998 mit der Lauda-Air Boeing 737 „Falco“ nach Wien fliegen – an diesem Tag wurde die Maschine von Heribert Paierl, Landesrat der Steiermark, mit den Worten getauft: „Musik liegt in der Luft – deshalb flieg, Falco, flieg!“ Niki Lauda, ein tatsächlich

enger Freund (Falco gab am 18. Dezember 1997 bei der Weihnachtsfeier der Lauda Air sein letztes Live-Konzert), fand angemessenere Worte: „Es ist die letzte Ehre, die ich einem alten Freund erweisen kann, für das, was er für Österreich und für mich getan hat.“ Falco-Sightseeing: Schon jetzt werden in Wien spezielle Falco-Stadtrundfahrten zu den einschlägigen Lokationen (Grab, Studios, Geburtshaus mit Gedenktafel etc.) angeboten. Nach der Besichtigungstour lädt das in Kürze eröffnende „Falco-Cafe“ zur Entspannungsjause. Der Gastronom und Musiker Ronnie Seunig plant eine Bar im Stil des „Hardrock-Cafe“ – mit einschlägigen Devotionalien vom Hermelinmantel aus dem „Sound Of Music“-Video über Falcos Bassgitarren bis hin zu Platin-Auszeichnungen. Im Testament erwähnt war Falcos Wille, von einem Teil seines Erbes eine Stiftung für verarmte Musiker zu gründen. Eine Stiftung, in die später einmal der gesamte Nachlaß fließen könnte: „Es ist der Wunsch der Mutter Hölzel“, bestätigt Anwalt Riedl, „ein Instrument zu schaffen, um auch künftig Falcos künstlerisches Erbe verwalten zu können. Denn wenn sie einmal stirbt und irgendein überforderter Verwandter dann auch Falcos Nachlaß erbt, wäre die Gefahr von Mißbrauch zu groß.“ Der erwähnte Ronnie Seunig gilt als heißester Kandidat für die Leitung dieser Stiftung. Immerhin war er mit Falco so eng befreundet, daß er Ende 1997 gemeinsam mit Hans und Maria Hölzel Falcos letztes Weihnachtsfest feierte. Er war auch der einzige der 20 von Falco per Fax eingeladenen „Freunde“, der auf eigene Kosten in die Dominikanische Republik geflogen kam. Falco dachte, es kämen mehr, um mit ihm dort kurz nach dem Umzug im Sommer 1996 eine kleine Party zu feiern. Kein Wunder also, daß die Anstrengungen der Video-Produzenten-Stars Rudi Dolezal und Hannes Rossacher (D0R0), das Andenken an Falco mit „Hoch wie nie“ (Buch und Longform-Video) und dem für Winter 1999 geplanten Kinofilm „Falco – Sterben um zu leben“ zu vermarkten, trotz ihrer permanent wiederholten Beteuerungen, es doch nur für den Intimfreund Hansi zu machen, in Österreichs Öffentlichkeit nicht ohne Widerspruch bleiben. Sicher – DORO haben bis auf „Vienna Calling“ sämtliche Falco-Clips gedreht (insgesamt 28 Stück), und man mag sich bei der Arbeit auch oft sehr nahe gekommen sein. Dennoch gilt auch – und vor allem – in einer Hoftheaterstadt wie Wien die Lebensweisheit, mit dem Won „Freund“ besser etwas vorsichtiger umzugehen. Werner Geier, Moderator beim Austria-Sender „FM4“, miesepeterte denn auch bereits in seinem kurz nach Falcos Tod geschriebenen Nachruf: „Und wenn Dolezal & Rossacher weiterhin mit der Behauptung, sie wären Deine Freunde gewesen, schamlos Geld verdienen, dann kack‘ ihnen auf die Birne, von dort oben. Peace, Du verwirrte Seele.“

„Dort oben“ wird Falco all den Trubel lächelnd genießen. Er wird vielleicht mit seinem neuen Kumpel Frank Sinatra das eine oder andere Fläschchen Jack Daniels leeren und dann dem beipflichten, was Sinatra einmal gesagt hat: „Du lebst nur einmal. Und so, wie ich lebe, ist einmal auch genug.“