Ferryboat Bill


Donnerstagnacht, halb eins. Ein Düster-Club im hintersten Kreuzberg. Eigenhändig bauen die Musiker von Ferryboat Bill ihre Anlage auf. Gitarrist und Sänger Klaus Uebelhöde schraubt sich das Mikro auf Mundhöhe, sein Bruder Bernd installiert die Effektgeräte seiner halbakustischen E-Klampfe. Das Schlagzeug wird in Stellung gebracht, und der Baßmann zieht sich aus dem Band-Bierkasten auf der Buhne noch ’n Pils. Eine halbe Stunde später lassen sie, die gleichen Klamotten auf dem Leib, in denen sie eben noch die eigenen Roadies waren, ihren rüden Ruhrpott-Rock vom Stapel rollen. Ohne jedes Zugeständnis an die Regem des Showbusiness stehen die vier Jungs von nebenan“, gelegentlich vom Piano-Mann Wolfgang Finke verstärkt, auf der niedrigen Bühne. Rund 100 Nachtschattengewächse sind erschienen, um sich diesen höllisch lauten Mix aus Country. Psychedelic-Rock und Punk auf die Trommelfelle krachen zu lassen.

Die Vier von Ferryboat Bill scheuen sich nicht, ihren Rock ’n‘ Roll gegen den Strich zu bürsten. Wenn sie einen Titel melodiös starten, vielleicht im Stil von Dave Edmunds oder Hank Marvin, heißt das noch lange nicht, daß er auch so endet. Nicht selten herrscht am Schluß das Inferno. Das ist übrigens nicht die einzige Parallele zur New Yorker Kultband Velvet Underground, denn Klaus Uebelhödes sonore Stimme erinnert phasenweise an Lou Reed.

Außerdem kämpft er mit seiner Gretsch, es ist eine dieser Nächte, in denen sie sich partout nicht stimmen lassen will. Doch seine Unstimmigkeiten lassen Bernd kalt, unbeeindruckt beginnt er die Ballade von „Luke The Drifter“ ohne den älteren Bruder. Zwei Meter entfernt steht Bassist Thomas Lörx, dem niemand anmerkt, daß er nur als Ersatzmann eingesprungen ist. Im Team mit Willi Henke, der auf dumpfe Drums einschlägt, meistert er Rockabilly-Verwandtes genauso wie die infernalischen Passagen. Unter solchen Klängen blühen die Berliner Nachtschattengewächse auf, beginnen hin und her zu wogen und vereinzelt sogar im Pogo zu hopsen.

Gegen Ende brodelt, mit wütendem Wah-Wah-Gitarren-Geheul, der „Big Boiler“: Die Augen geschlossen, schreien die beiden Uebelhödes ihren Text in die Mikrophone. Doch heute nacht geht es den Westfalen nicht um Worte. Die sind ohnehin nicht zu verstehen. Selbstbewußt und eigensinnig transportiert ihr Kohlenpott-Rock diese Botschaft: Das ist unsere Musik. Sie ist so, wie wir sie lieben, ehrlich und handgemacht. Entweder ihr steht drauf, oder ihr könnt uns am Arsch lecken. Ferryboat Bill macht keine Kompromisse.