Flotte Fossilie


Für "Relikte aus den 60ern" sind sie erstaunlich lebendig. Allem Kritikerschmäh zum Trotz füllt das traditionsliebende Trio noch immer die großen Konzerthallen. Auf skandalträchtige Schlagzeilen und geneigte Kritiker, so Bassist Holroyd, kann man dabei problemlos verzichten. Andreas Kraatz erfuhr, wie man auch unauffällig erfolgreich sein kann.

Am guten alten „Mocking Bird“ hat“s wohl nicht gelegen. Obwohl der seltene Vogel bereits 1971 in die Charts segelte und Barclay James Harvest damit den ersten großen Hit bescherte, blieb Fortuna dem Softrock-Trio aus Manchester beileibe nicht treu. Im Gegenteil, in der nunmehr über 21jährigen Karriere von Les Holroyd, John Lees und Mel Pritchard spielte lange Zeit Schmalhans den Küchenmeister, kochten die Aussichten auf den großen Erfolg auf kleiner Flamme.

Selbst als die drei Engländer Mitte der 70er Jahre ausgerechnet in Deutschland zum Höhenflug ansetzten, blieb ihnen in der Heimat vor allem eines versagt: Anerkennung. „Genide in England hauen wir lange Probleme, überhaupt registriert zu werden“, blickt Les, der Sänger und Bassist der Band, kopfschüttelnd zurück. „Dabei ging es gar nicht so sehr um die Musik oder unsere Shows — als vielmehr um die Tatsache, daß wir als Band niemals durch Skandale aufgefallen sind. Wir haben keine Hotelzimmer zerlegt oder randaliert. Warum auch, wen interessiert so etwas? Am Ende doch wohl nur irgendwelche sensationslüsternen Journalisten, die krampßaft nach neuen Schlagzeilen suchen.“

Da mag was dran sein. Aber nicht der Mangel an schlagzeilenträchtigen Skandalen allein hat ihnen schwer zu schaffen gemacht. Auch und besonders die cleane, bisweilen keimfreie Musik der Band trug ihren Teil dazu bei. Die Barclays versteckten ihre individuellen Persönlichkeiten immer wieder erfolgreich hinter den wohlklingenden Fassaden ihrer Musik.

Daß es zumindest auf Tour auch schon mal ausgelassener zugehen kann, möchte Les mit folgender Episode beweisen: „Es geschah auf einer unserer Deutschland-Tourneen, in einem Münchner Hotel. Aus irgendeinem Grund wurde das Konzert an dem Tag plötzlich abgesagt, was uns und die Roadcrew natürlich unheimlich nervte.

Daraufhin beschlossen wir, uns die Zeit eben auf andere Weise zu vertreiben — indem wir nämlich an dem Liftsystem des Hotels herummanipulierten. Wir haben schließlich das gesamte Computerprogramm umgepolt. Wenn jemand zum Beispiel in den siebten Stock wollte und den entsprechenden Knopf drückte, fuhr ihn der Lift statt dessen in den neunten und so weiter. Und das in einem großen Hotel mit insgesamt vier Liften und zehn Stockwerken. „

Denkt man in dem Zusammenhang an die wüsten Orgien krawallfreudiger Bands, so fällt ihr Temperamentsausbruch vergleichsweise bescheiden aus. Randale um jeden Preis ist nun mal nicht ihr Ding, dann schon eher“.subtiler Humor“, der — wie ihre wohltönenden Songs — auf vergleichsweise leisen Sohlen daherkommt.

Böse Zungen behaupten mitunter, Barclay James Harvest sei ein einziger Anachronismus — oder weniger scharf formuliert, zumindest doch ein musikalisches Relikt aus den Sixties. Da ist sicher was dran. Auch wenn ihnen auf dem europäischen Kontinent die Fans seit Jahren zu Füßen liegen, auch wenn sie noch immer Gold und Platin en masse einheimsen, sind sie doch im Grunde bis auf den heutigen Tag dem Rhythmus der Gründerzeit verhaftet geblieben.

„Mit den Beatles fing meiner Meinung nach alles an. Da waren vier gleichberechtigte Musiker in einer Band, keiner spielte die erste Geige — und das brachte die Plattenfirmen dann wohl auf die Idee, an diesem Modell, dieser Formel , Vier in einer Band‘ auf Gedeih und Verderb festzuhalten. Doch irgendwann ging diese Rechnung nicht mehr auf, reichte es eben nicht aus, vier Musiker auf eine Bühne zu stellen, die Hände in den Schoß zu legen und den nächsten Hit zu warten.

Heule ist die Situation in der Popmusik noch um etliches diffiziler, vor allem wegen des Video-Booms. Da fragt man dich mittlerweile nicht mehr nach der nächsten Single-Auskopplung sondern: Wie sieht das nächste Video aus? Musik wird fast nur noch per Video an den Mann gebracht. Wobei ich ausdrücklich hinzufügen möchte, daß ein großer Teil dieser sogenannten Video-Bands nicht einmal in der Lange sind, ihre Musik auch live vor Publikum zu spielen. Da trennt sich dann die Spreu vom Weizen.“

Stichwort: Handwerk, der Nachweis musikalischer Kompetenz vor den Augen der Zuschauer. Das, genauer gesagt: die Lust auf Live-Performance. der Kontakt zum Publikum sind das eigentliche Elixier, aus dem die unverbesserlichen Romantiker auch noch nach 21 Jahren ihre Begeisterung schöpfen. Jeder kann Songs schreiben oder Platten machen, wenn er nur will. Beim heutigen Stand der Technologie muß er dazu nicht einmal ins Studio, sondern kann die Aufnahmen genauso gut in seinem Schlafzimmer machen. Das ist nicht der Punkt. Wirklich inHandwerker mit goldenem Boden: (v.l.) Les, John und Mel.

teressant ist das Performen, diese knisternde Kommunikation zwischen Band und Publikum. Das ist für uns das Kriterium. „

Solch Statement ist nicht sonderlich neu und könnte ebenso gut von einer anderen Veteranen-Band wie etwa Deep Purple oder Supertramp stammen. Trotzdem zeigt es, wo die Wurzeln ihrer enormen Popularität liegen: auf der Bühne, in den Konzerten.

„Wir sind rundum happv“, erklärt Les. „Wir sehen die Welt und werden auch noch da fiir bezahlt. Und das Ganze für zwei Stunden, die wir allabendlich auf der Bühne stehen und spielen. Was will man denn mehr vom Leben ?“

Allenfalls, daß es immer so weiter geht. Nach dem neuerlichen Volltreffer ihres letzten Albums FACE TO FACE braucht man sich diesbezüglich allerdings keine schlaflosen Nächte zu machen. Die ausverkauften Konzerthallen auf ihrer laufenden Europa-Tournee sprechen eine deutliche Sprache.