Green Day – der Punk feiert doch nicht etwa ein Comeback?


Grunge ist nur noch für ein Gähnen gut. Der längst totgesagte Punk dagegen feiert fröhliche Urständ. Im Gefolge von Bad Religion mischen Bands Green Day und The Offspring die Charts ganz kräftig auf.

„Bei der ersten Punkwelle in den Siebzigern ging es doch nur um eine Flucht aus der Realität mittels Musik und Drogen. Das war ziemlich geistlos. Die Kids von heute sind da doch wesentlich intelligenter“

„Punk’s not dead.“ Das war lange Zeit der Spruch und das Mantra der Ewiggestrigen. Urplötzlich ist diese Parole wieder aktuell und quicklebendig. Aus Kalifornien schwappt eine frische, freche und fröhliche Punk-Pop-Welle nach Europa und erfaßt ein Partyvolk, dem monotone Techno-Beats nur noch schnuppe sind. Auf die Gleichmacherdroge Ecstasy und den weitabgewandten Hedonismus, der damit einhergeht, hat dieses Völkchen keine Lust. Echt. Als Neo-Punk zählt man zu den kritischen, bodenständigen Kids, die über elitäres Club-Gehabe und ein spießiges Styling-Diktat nur lachen können.

Die Helden der Stunde heißen Green Day, Bad Religion und The Offspring, deren schnelle, laute und süffige Songs – man höre und staune! – sogar Bewegung in die Hitparaden bringen. So kletterten Bad Religion, die Paten des melodischen Punk, mit ihrer Ohrwurmsammlung ‚Stranger Than Fiction‘ bis auf Platz sechs der deutschen Albumcharts. Das Rotznasen-Trio Green Day befindet sich auf dem Weg in die Top Fifty, dicht gefolgt von The Offspring. Und was ist nun so neu am kräftig boomenden Neo-Punk? Die Antwort findet, wer sich mit dieser Musik eingehender auseinandersetzt.

Im Gegensatz zu Genre-Gründern wie den Sex-Pistols oder The Clash sind die ‚Neuen Wilden‘ nicht Rebellen im traditionellen Sinne. Jede Form von anarchischer Botschaft oder Propaganda lehnen sie ab. Denn was vor 15 Jahren als rebellisches Pflichtprogramm galt, ist heutzutage ohnehin selbstverständlich. „Wir befassen uns eher mit persönlicher Politik. Es geht darum, wie man in diesem ganzen Chaos zurechtkommt und einen eigenen Platz im Leben findet“, erklärt Billy Joe Armstrong, Gitarrist und Sänger von Green Day. „Das hat mit Liebe, Langeweile, Frust und Haß zu tun. Darüber schreiben wir.“ Zum Thema Texte fügt Blunnt, Gitarrist der kanadischen Newcomer SNFU, hinzu: „Unsere grundsätzliche Botschaft ist, sich der Welt, so wie sie ist, bewußt zu werden. Bei der ersten Punkwelle in den Siebzigern ging es doch nur um eine Flucht aus der Realität mittels Musik und Drogen. Das war ziemlich geistlos. Die Kids von heute sind wesentlich intelligenter.“

Flott gereimt, machen die Punks von der Westcoast ihre Probleme mit Sex, Gewalt, TV und anderen Frust zum Thema.

Daneben strotzen ihre Verse natürlich vor standesgemäßen Frechheiten und schwarzem Humor. NO FX zählen dabei zu den originellsten Combos. Auf ihrer neuen LP ‚Punk In Drublic‘ besingen sie jüdische Skinheads, einen Kumpel mit Hang zu Birkenstock-Sandalen oder ihren besten Freund – den mit Linoleum belegten Fußboden. Was ihre Kleiderordnung, Haarlänge oder die Musik angeht, lehnen die neuen Punkbands jegliche Dogmen ab. NO FX spielen Reggae, Ska und Calypso, wenn es ihnen gerade in den Kram paßt. Und eine Band wie Green Day hat keinerlei Hemmungen, im Konzert Lynyrd Skynyrds eher konservative Südstaaten-Hymne ‚Sweet Home Alabama‘ oder Survivors Schlachtgesang ‚Eye Of The Tiger‘ anzuspielen. Dabei zählen zu ihren Idolen übrigens auch die Beastie Boys. Aber was macht das schon? Erlaubt ist, was gefällt.

Die melodischen Dreiminuten-Songs der Neo-Punks zählen zu den absoluten Gewinnern des Musikjahres 1994: Green Day haben in den USA von ihrem dritten Album ‚Dookie‘, dem ersten für den Plattenmulti Warner, bereits über zweieinhalb Millionen Stück verkauft. Das Nachrichtenmagazin Time sah in der Scheibe eine „kathartische Punk-Explosion“ und „die beste amerikanische Rock-CD des Jahres“. Derweil erklomm die Single ‚Longview‘ sogar die Spitze der Singles-Charts. The Offspring haben inzwischen zwei Millionen Exemplare der LP ‚Smash‘ abgesetzt, die im Fahrwasser ihres Hits ‚Come Out And Play‘ Platz 5 erreichte. „Punk kann sehr monoton sein. Viele Kids schreien einfach nur rum, können aber keine Songs schreiben“, meint Frontmann Dexter Holland. „Ich liebe die Energie des Punk, doch gleichzeitig wollte ich auch melodische Songs komponieren.“ Der Erfolg seiner Band ist um so erstaunlicher, wenn man bedenkt, daß The Offspring von einem kleinen Independent-Label betreut werden.

Die Firma Epitaph in Los Angeles erweist sich inmitten des Booms als Auge des Hurrikans. Sie gilt momentan als hipstes Label seit Sub Pop aus Seattle. Neben The Offspring veröffentlichte das überschaubare Unternehmen die ersten sieben Alben von Bad Religion sowie Platten von NO FX, Rancid, Pennywise und Gas Huffer, Underground-Helden, die inzwischen auch Clubs in deutschen Städten mühelos füllen können. Der Chef des Epitaph-Labels heißt Brett Gurewitz und war Gitarrist von Bad Religion, bevor er sich wegen Arbeitsüberlastung von der Band trennte. „Mit The Offspring schreiben wir Musikgeschichte“, strahlt er, „noch nie hat eine Punkband auf einem Indie-Label zwei Millionen Platten verkauft.“ Nach dem Motto ‚Loud Fast Rules‘ legt Punk-Guru Gurewitz bei seinen Gruppen Wert auf schnelle Rhythmen und eingängige Melodien. Doch das allein erklärt ihren plötzlichen Durchbruch noch lange nicht. Erst die Verbindung von Underground und Pop scheint auch hier den Erfolg zu garantieren. Nach dieser Formel funktionierte schon der Höhenflug Nirvanas. Kurt Cobain ist der Pionier des Punk-Pop. Kaum eine junge Band, die nicht sein ‚Smells Like Teen Spirit‘ in den höchsten Tönen lobt. Doch weitere Hymnen wollte Cobain, der Popstar wider Willen, leider nicht schreiben und hinterließ so ein Vakuum, in das nun mit Vehemenz die Westküsten-Combos stoßen.

Neben handwerklichem Können und starkem Songwriting zeichnen sich die Bands durch ihre Glaubwürdigkeit aus. An ihnen haftet noch der Geruch der Straße. Viele der Neo-Punks touren schon jahrelang durch die Vereinigten Staaten. The Offspring beispielsweise existieren schon seit neun Jahren. Ihre Preispolitik dürfte in den Zeiten leerer Hosentaschen eine wichtige Rolle spielen. Während Metaller wie Pantera, die Suicidal Tendencies oder Prong, die sich stets ihrer Volksnähe rühmen, 42 Mark und mehr für ein Ticket verlangen, konnten zahllose Pogo-Fans Bad Religion, Green Day und SNFU kürzlich für schlappe 25 Mark bestaunen.

The Offspring verlangten während ihrer letzten Clubtour im Schnitt sogar nur 15 Mark Eintritt. „Wir wollten nie eine große Band sein“, erklärt Green Day-Frontmann Billy Joe, „uns ging es um eine gute Show mit packender Musik und halbwegs vernünftigen Texten. Das war das einzige Ziel, das wir je hatten.“

Als die erste Punkwelle rollte, zählte Billy Joe gerade fünf Lenze. Seine Lieblingsbands, unter anderem The Jam, The Clash und die Dead Kennedys, entdeckte er erst mit zwölf. Abgesehen vom Biertrinken, neben der Musik sein liebster Zeitvertreib, lehnt er den Konsum von Drogen strikt ab. Sex mit Groupies ist für den 23jährigen ein „Rock’n’Roll-Tabu“. Statt dessen schläft er lieber mit seiner Ehefrau. Ein Baby ist auch schon unterwegs.

„Die Musik ist heute kaum noch originell,“ meint Billy Joe, „da ist es um so wichtiger, daß sie von halbwegs originellen Menschen kommt.“ Vor diesem Hintergrund bedienen sich die Musiker von Green Day denn auch ungeniert bei allen möglichen Bands, von Stiff Little Fingers bis hin zu Hüsker Du. Daß sie noch mehr von den respektlosen Vätern des Punk gelernt haben, bewiesen die drei unlängst bei der Verleihung der MTV Video Awards. Gefragt, was er denn mit dem Preis zu tun gedenke, wenn seine Band ausgezeichnet werden sollte, antwortete Bassist Mike Dirnt: „Ich schiebe mir das Ding in den Hintern.“ Doch dieses eindringliche Problem blieb ihm erspart. Denn Green Day gingen leer aus. Dennoch sorgte die Band für Furore. Sehr zum Ärger der Programmdirektoren intonierte sie nicht ihren angekündigten, zweiten Hit (‚Basket Case‘), sondern den völlig unbekannten Song ‚Armitage Shanks‘, der noch nicht einmal auf Platte erhältlich ist. „Die qualmten vor Zorn aus den Ohren“, lacht sich Billy Joe noch heute ins Fäustchen.

Schlagzeilen auch in Boston. Dort spielten Green Day bei einem kostenlosen Konzert, zu dem statt der erwarteten 10.000 Fans gleich 80.000 Besucher gekommen waren. Die Massen stürmten schließlich die Bühne, wo einige Konzertgänger von überforderten Sicherheitskräften verprügelt wurden. Daraufhin zogen randalierende Fans durch die Straßen und plünderten Geschäfte.

Im Vergleich dazu eher harmlos: Green Day bei der Neuauflage des Woodstock-Festivals. Die Publikumslieblinge lieferten sich lediglich eine Schlammschlacht mit Konzertbesuchern, wobei Mike Dirnt gegen eine Monitorbox rutschte und drei Zähne verlor. Billy Joe ließ derweil die Hosen runter und zeigte dem begeisterten Publikum seinen besten Freund – Spaß muß sein.

Doch allen Eskapaden zum Trotz: Auch nach ihrer Entdeckung durch das Mainstream-Publikum stehen viele Neuzeit-Punks bislang noch fest auf dem Boden der Tatsachen. „Billboard-Plazierungen sind nur Zahlen. Erfolg bedeutet uns nichts“, will Noodles, Gitarrist bei The Offspring, glauben machen. „Wir haben nie damit gerechnet, daß wir mal unsere Jobs aufgeben könnten. Erst vor vier Monaten habe ich meine Arbeit als Hausmeister bei der Schulverwaltung aufgegeben – nach dreizehn Jahren. Unser Ziel ist es, als Band zu wachsen und bessere Gigs hinzulegen. Die neuen Rolling Stones aber wollen wir nicht werden.“ In der Rolle des Autogramme verteilenden Rockstars fühlt er sich denn auch sichtlich unwohl. „Ich sage den Leuten, daß wir völlig normale Menschen sind. Beim Punk gibt es schließlich keinen Unterschied zwischen Musiker und Fan.“ Was der 31jährige Spät-Punk wohl auch auf die Plattenfirma bezieht. Immerhin denkt seine Band nicht mal im Traum daran, vom kleinen Epitaph-Label, zwölf Angestellte und ein Boss, zu einer größeren Firma zu wechseln. Schließlich, so ihr Gitarrist, sei man funk- und fernsehmäßig in hinreichendem Maße präsent. Außerdem: „Die Leute bei Epitaph sind äußerst integer und stehen hundertprozentig hinter ihren Bands. Man kann sogar wunderbar am Telefon mit ihnen blödeln. Bei Sony oder Warner würde es das wohl nicht geben“, meint Noodles.

Fest steht: Ohne Vorarbeit von Bad Religion und Epitaph-Chef Gurewitz stünde der Punk heute weit weniger gut da. „Ich bin ein Getriebener“, sagt der 32jährige über seine Motive. „Zehn Jahre meines Lebens war ich heroinabhängig. Seit sieben Jahren bin ich runter von dem Zeug. Seither muß ich ständig ein Level furioser Beschäftigung halten. Ich muß dauernd etwas zu tun haben und schlafe nur drei Stunden pro Nacht.“ Da ist der Tag entsprechend lang. Immerhin: Der Mann hat sein Label, einen Musikverlag, ein Studio, er produziert und schreibt Songs. Obwohl ihm große Plattenfirmen ebensogroßes Geld für sein Label geboten haben, denkt er nicht ans Verkaufen: „Das Geschäft gibt mir was, denn die Arbeit ist ausgesprochen kreativ. Wobei ich ursprünglich von kaufmännischen Dingen keinen Schimmer hatte. Derlei Sachen lerne ich, während ich sie erledige.“ Und was passiert mit dem Profit? „Der geht an Wohltätigkeitsorganisationen und fließt in politische Projekte.“ Edel sei der Mensch, hilfreich und gut. Und schnelle Autos? „Hey“, lacht Brett Gurewitz, „jeder braucht doch ein Laster.“