„Haußmann gab uns rote Pillen“


Jedes dieser Bilder erzählt eine Geschichte. Nur welche? Wir haben nachgefragt. Diesmal: Alexander Scheer

1 „Sonnenallee“

Mit dem Film aus dem Jahr 1999, in dem Alexander Scheer den Hauptdarsteller Michael Ehrenreich spielt, gelingt dem damals 23 Jahre alten Schauspieler der Durchbruch. Der Regisseur Leander Haußmann hatte sehr spezielle Methoden, um seine jungen Mitarbeiter zu motivieren.

Das hier war die letzte Szene, die wir gedreht haben. Leander Haußmann kam zu uns mit einer kleinen, silbernen Dose, sagte „Mund auf“ und schmiss Robert und mir eine kleine rote Pille rein. „Weil’s der letzte Drehtag ist.“ Das ist jetzt 15 Jahre her, da kann man solche Geschichten schon mal erzählen. Deswegen sind wir später, in der Szene auf dem Balkon, auch so abgegangen. Es waren sowieso alle ständig drauf, wir haben gerne mal einen Joint geraucht. Das waren die geilsten Dreharbeiten meines Lebens.

2 Friedrichshain

Alexander Scheer ist im Ostberliner Arbeiterbezirk Friedrichshain aufgewachsen. Sein damaliger Kiez ist heute ein beliebter Wohnort für Besserverdienende. Den Anfang nahm diese Entwicklung im Jahr 1990 – mit der Räumung besetzter Häuser.

Es ging damals los mit der Räumung der Mainzer Straße. Ich war 14 und wir haben in der Straße immer unser Hasch gekauft, direkt in der Wohnung unseres Dealers, in einem der besetzten Häuser. Irgendwann war die Straße gesperrt, alles war voll mit Polizisten, 5 000 Mann in römischer Formation. Es war das erste Mal, dass man Westbullen in so großer Zahl gesehen hatte. Und natürlich standen wir auf dem Dach und haben den Besetzern die Molotowcocktails angereicht. Es sah aus wie in Sarajevo: Barrikaden, brennende Autos. Das Tränengas zog bis in die Rigaer Straße hoch und setzte sich im Schulgebäude ab. Wir hatten drei Tage schulfrei. Das war mein Friedrichshain.

3 „Das Wilde Leben“

Im Jahr 2007 spielt Alexander Scheer im Film „Das wilde Leben“, der Geschichte des ehemaligen Fotomodells und Groupies Uschi Obermaier, den Gitarristen der Rolling Stones, Keith Richards. Um sich auf die Rolle vorzubereiten, gründet er eine Band.

Ich dachte nur: „Keith zu spielen ist unmöglich, ohne eine Band zu haben!“Also besorgte ich mir eine Fender Telecaster und rief die Jungs an. Meine jetzige Band, Der Internationale Wettbewerb, war damals noch eine Straßenmusik-Combo. Wir nannten uns dann einfach Die Rockboys, drehten die Verstärker auf und hatten ein paar feine Mucken in Berlin. Sechs Jungs hauen ihre Lieblings-Rock’n’Roll-Nummern raus. Das war heiß. Man kann sagen: Keef hat mir das Gitarrespielen beigebracht.

4 The Whitest Boy Alive

Durch eine zufällige Begegnung mit Erlend Øye auf einem Flur sorgt Alexander Scheer für die Gründung der Berliner Band.

Wir hatten damals ein Tonstudio im Café Moskau in Berlin, unten im ehemaligen Konservenlager. Im ersten Stock kommt mir Erlend Øye (damals schon bei Kings Of Convenience, Anm. d. Red.) entgegen und wir unterhalten uns über Brillen. Irgendwann fragt er: „Kennst du nicht einen Drummer, der einen straighten House-Beat spielen kann?“ Ich sage: „Komm, wir nehmen den Fahrstuhl. Im Studio sitzt mein Freund Sebastian Maschat und trommelt Jazz.“ – „Kannst du auch House?“ Er legt los und Erlend sagt nur: „Mach weiter, ich hole meine Gitarre.“ Der Rest ist Geschichte.

5 „Kein Schnaps für Sascha“

In März erscheint das Album Kein Schnaps für Sascha der Band Der Internationale Wettbewerb, in der Alexander Scheer Gitarre spielt.

Richtig, mein Freund Jan Opoczynski, unser Bandleader und Songschreiber, reimte einmal: „Der Internationale Wettbewerb, die erste Wahl bei Stromausfall.“ Da gingen in der Bar 25 nämlich alle Lichter aus, und wir haben einfach unplugged weitergespielt. Die Platte haben wir im ehemaligen LPG-Kulturhaus Torgelow aufgenommen, auf einer Studer Bandmaschine, die mal Eric Clapton gehört hat. Unser Engineer war wiederum Maschat von Whitest Boy, der jetzt nur noch analog aufnimmt. Diese Scheibe hat keinen Computer gesehen und das ist der Sound, auf den wir stehen. Kein Schnaps für Sascha heißt sie deshalb, weil man mit Sascha oft die abenteuerlichsten Sachen erlebt. Das Leben ist doch nichts ohne Freunde.

6 Schauspielhaus Bochum

Nach „Sonnenallee“ folgt Scheer Leander Haußmann ans Schauspielhaus Bochum und sammelt dort erste Theatererfahrungen. Die sind nicht immer jugendfrei.

Es war die Fortsetzung der Dreharbeiten von „Sonnenallee“ auf Theaterniveau. Purer Rock’n’Roll. Hinter dem Schauspielhaus waren die Kammerspiele. Hatte man eine Szene frei, war es üblich, rüberzurennen und im anderen Stück mitzuspielen. Nur, um die Kollegen zu ärgern. Die haben sich natürlich revanchiert. Es war ein Wettbewerb und die Königsdisziplin war das Schwanzspiel: Zeige deinem Kollegen deinen Schwanz, ohne das es das Publikum mitbekommt. Da hält dann jemand einen Monolog, ein anderer holt die Nudel raus und flüstert: „Es steht fünf zu drei, streng dich an.“ Mann, hatten wir Spaß und ich dachte, Theater ist immer so.

7 „Carlos der Schakal“

In dem mit einem Golden Globe prämierten Film „Carlos der Schakal“ aus dem Jahr 2010 spielt Alexander Scheer die Rolle des deutschen Terroristen Johannes Weinrich.

Bei den Dreharbeiten hatten ich den besten Feierabend meines Lebens. Es war vier Uhr morgens, wir hatten 14 Stunden gedreht. Es fehlte nur noch eine Szene: Die Terroristen steigen ins Taxi und fahren aus dem Bild. An der Stelle, wo das Taxi stehen bleiben sollte, war zufällig eine Karaokebar. Wir sind also jedes Mal nach der Aufnahme raus aus dem Taxi, rein in die Bar und haben einen Kurzen bestellt. Wir drehten ungefähr 15 Takes. Der Abend ging so zu Ende: Ein Venezolaner, ein Libanese und ein Deutscher stehen in 70er-Jahre-Klamotten in einer Karaokebar in Budapest und singen: „We Are The World“.

8 „American Showdown“

Mit seinen Freunden gründet Scheer die Produktionsfirma Nine O’Clock Pictures und produziert die Actionfilm-Reihe „American Showdown“. Nach der Party zur Veröffentlichung der DVD im Jahr 2005 sorgt er in einem ICE auf dem Weg nach Hamburg für einen Polizeieinsatz.

Die Idee der Reihe war, wir drehen immer nur den Showdown, die letzte Actionszene und fertig. Der erste Teil ging nur 30 Sekunden. Der siebente Teil war schon 20 Minuten lang, mit einer Bootsjagd auf der Spree, alles ohne Drehgenehmigung. Im Berliner Café Moskau haben wir die DVD-Releaseparty gefeiert, ich hatte einen Tarnanzug an, auf dem waren Blutflecken, ich hatte mir vorher beim Bassspielen die Finger blutig gespielt. Und dazu noch eine Spielzeugpistole. Irgendwann fiel meinem Freund Sascha auf: „Musst du nicht nach Hamburg, Othello spielen?“ Also sind wir schnell zum Bahnhof, in den Zug gestiegen und eingeschlafen. Irgendwann wachte ich auf und vor mir stand die GSG 9, mit zehn Mann, einem Hund und Handschellen. „Wir haben die Terroristen.“ Der Zugchef hatte wohl Angst.