Hymnen des Bösen


Iggy & The Stooges

Raw Power (Legacy & Deluxe Edition)

Legacy/Sony Music

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Der Proto-Punk-Klassiker von 1973 in zwei unterschiedlich gepimpten Neuauflagen.

Sieben Nominierungsanträge waren nötig, bis The Stooges am 15. März 2010 in die Rock And Roll Hall Of Fame aufgenommen wurden. Ein Gezerre, das nichts Ungewöhnliches war für die Band aus Detroit – widrige Umstände begleiteten The Stooges auf sämtlichen Wegen ihrer Vita. Zwei LP-Meilensteine – THE STOOGES und FUN HOUSE – im klassischen Line-Up mit Sänger Iggy Pop, Gitarrist Ron Asheton, Schlagzeuger Scott Asheton und Bassist Dave Alexander und eine mehr als zweijährige Zwangspause lagen hinter der Band, als im Februar 1973 nach zähem Ringen RAW POWER mit dem ikonografischem Coverfoto von Mick Rock veröffentlicht wurde. Das Album – wie die beiden Vorgänger – verkaufte sich nur mäßig; die von Krawall, Chaos und Aufstand geprägte Do-It-Yourself-Attitüde der Stooges wollte nur einer Minderheit gefallen in einer Ära, in der Rock-Musiker vor allem eines sein mussten: Virtuosen.

Zeitweise sah es so aus, als würden die acht Songs, die zwischen dem 10. September und dem 6. Oktober 1972 in den Londoner CBS Studios eingespielt wurden, überhaupt nicht erscheinen. 1971 wurde ein erster Rohentwurf des Werks mit zum Teil anderen Tracks vom Label Elektra abgelehnt, das die beiden ersten Alben – ganz im Sinne des Zeigeists – als „Progressive Underground“ vermarktet hatte. Permanente Unpässlichkeit der Band, ausgelöst vor allem durch heftigen Drogenkonsum, führte zum Rauswurf. Mit nichts auf der Hand torkelten die Stooges zeitweise als Quintett mit Zweitgitarrist James Williamson sowie Bassist Jimmy Recca, der den alkoholkranken Dave Alexander ersetzte, durch die Clubs – eine Phase, die erst kürzlich mit der 4-CD-Box YOU DON’T WANT MY NAME … YOU WANT MY ACTION offiziell gewürdigt wurde. Das mündete in der kurzfristigen Trennung der Stooges. Rettung kam von unerwarterter Seite. David Bowie, Glam-Rock-Pionier und Star der Stunde, war fasziniert vom destruktiven Nihilismus der Bühnenshows, wenn Frontmann Iggy sich mit heißem Wachs begoß, sich in Glasscherben wälzte und Zuschauer genüsslich ableckte.

Das vom Bowie-Management arrangierte Vorsingen von Iggy mit „Shadow Of Your Smile“ bei CBS-Zampano Clive Davis brachte auf Anhieb einen neuen Deal. Doch das Projekt mit Gitarrist James Williamson war gar nicht als Fortsetzung der Stooges, sondern als Neustart geplant. Weil die beiden in England keine geeignete Rhythmus-Sektion finden konnten, griffen sie auf die in Detroit verbliebenen Brüder Asheton zurück. Zumindest anfänglich verursachte Gitarrist Rons „Degradierung“ zum Bassisten Spannungen. In einem Haus im Londoner Stadtteil Fulham entstand – unterbrochen von einem sagenumwobenen Konzert in Londons Kings Cross Cinema im Juli 1972, Manager Tony Defries‘ Intervention gegen allzu rüdes Material und Iggys Heroinkonsum geschuldeten Ausfällen – das endgültige Tracklisting. Harter amerikanischer Garagenrock fusioniert mit britischem Glam Rock zu einer Mixtur von hoher Sprengkraft, die Punk-Pioniere wie The Clash, The Sex Pistols und The Damned inspirieren sollte. Ex-Smiths-Gitarrist Johnny Marr zählte RAW POWER ebenso zu seinen LP-Favoriten wie Chrissie Hynde, Joan Jett, Henry Rollins, Tom Morello und Kurt Cobain.

Der in drei Tagen von David Bowie im Hollywood Western Studio angefertigte Mix des von Iggy Pop produzierten Albums spielte für die Legendenbildung eine wesentliche Rolle. Auf Iggys Produktion, die jahrzehntelang auf Bootleg kursierte und erst 1997 offiziell erschien, verzichtet die von Mark Wilder remasterte Neuauflage. Stattdessen gibt es auf der 2-CD „Legacy Edition“ einen Livemitschnitt aus L.A. sowie zwei Outtakes. Die „Deluxe Edition“ bietet zusätzlich acht Song-Raritäten, eine Doku-DVD, eine Seven-Inch-Single plus Kartendrucke.

Der Opener „Search And Destroy“ mit der Textzeile „I’m a street walking cheetah with a heart full of napalm, I’m a runaway son of the nuclear A-bomb“ vergleicht die kriminelle Verrohung Jugendlicher in den Großstädten mit dem Guerillakrieg der US-Army in Vietnam. „Raw Power“ beschwört als „No Future“-Hymne ein Leben außerhalb der Gesellschaftsnorm. Unterschwellig ebenso explosiv folgen die auf Wunsch der Plattenfirma in Windeseile komponierten Balladen „Gimme Danger“ und „I Need Somebody“. Wie die hinterhältigen Soziopathen der Droogs-Gang aus Anthony Burgess‘ Roman „A Clockwork Orange“ hetzen die Stooges durch weitere Hymnen des Bösen: „Penetration“, „Shake Appeal“, „Death Trip“ und das ursprünglich „Hard To Beat“ betitelte „Your Pretty Face Is Going To Hell“ umgibt eine bis dato im Rock’n’Roll unbekannte Aura aggressiver Gewalt. Der infernalische Krach war freilich der Vorbote des Endes der Stooges 1974, setzte sich aber wenig später in Hymnen des aufkommenden Punk wie „Anarchy In The UK“ und „White Riot“ fort. Wie stark die suggestive Kraft von raw power war, zeigt folgende Anekdote: Als Mick Jones 1977 bei den Aufnahmen zum Debüt von The Clash zum ersten Mal das Londoner CBS Whitfield Street Studio No. 3 betrat, zeigte er spontan Reaktion mit den ehrfürchtigen Worten: „The Stooges recorded RAW POWER here!“

www.iggyandthestoogesmusic.com

Name: The Stooges

Ursprünglicher Name: The Psychedelic Stooges

Stil: Punk, Glam Rock,

Psychedelia

Gegründet: 1968

Aufgelöst: 1974

Reformiert: 2002

Aktuelle Besetzung: Iggy Pop (voc),

James Williamson (g),

Mike Watt (bg),

Scott Asheston (dr)

Ehemalige Mitglieder:

Ron Asheton (g), Dave

Alexander (bg),

Steve McKay (sax)

Discographie: The Stooges (1969)

Fun House (1970)

Raw Power (1973)

The Weirdness (2007)

Einfluss auf: The Sex Pistols,

The Clash, Black Flag