Amy Winehouse: „Ich bin ein unsicherer Mensch“


ME-Autor Jochen Overbeck erinnert sich an seine Begegnung mit Amy Winehouse Anfang 2007.

Dass ich einer der wenigen war, die ein Amy-Winehouse-Interview geführt hatten, sprach sich offenbar herum und führte zu eigenartigen Nachbeben, als sich nach den Drogeneskapaden im Mai 2008 der Boulevard anfing, für sie zu interessieren. Es gab zum Beispiel eines Tages den Anruf einer TV-Klatschsendung. Ich habe doch, so sagte der Herr am anderen Ende der Leitung, einmal mit Amy Winehouse gesprochen. Und ich könnte doch sicher ein bisschen etwas darüber erzählen, wie sie so drauf war. Da gäbe es ja sicher einiges zu erzählen, nicht wahr? Ob ich vielleicht in zwei Stunden im Fernsehstudio sein könne? Dann könne man das noch aktuell „mitnehmen“.

Ich lehnte ab, weil ich nicht ins Fernsehen wollte. Vor allem aber, weil es so arg viel nicht zu erzählen gab. Zumindest nicht jene Art von Geschichten, die den Boulevard interessiert hätten. Mein Interview mit Amy Winehouse verletzte die üblichen Regularien des Spiels nur insofern, dass es erst am Abend stattfand. Ansonsten alles wie gehabt. Ein Hotelzimmer im „Park Inn“, direkt am Berliner Alexanderplatz. Die Fragen waren vermutlich die üblichen. Ein bisschen was zu ihrer Herkunft. Ein Gespräch über ihre Vorbilder. Kurze Diskussion über den besten Shangri-Las-Song. Zwei, drei Fragen zu den Texten, die jeweils sehr freundlich, aber mäßig interessiert beantwortet wurden, was aber keinesfalls daran lag, dass Amy Winehouse nicht in der Lage war, zu folgen: Sie hatte einfach keine Lust, deren Inhalte zu erklären oder gar zu rechtfertigen, was natürlich ihr gutes Recht ist. Sie taute erst auf, als wir über moderne Musik sprachen. Über Lily Allen und die Babyshambles. Und über Mos Def. Sie würde gerne, so sagte sie, eine HipHop-Platte aufnehmen, am liebsten mit dem New Yorker Conscious-Rapper. Der habe ihr einige Tage vorher seine Telefonnummer gegeben. Stolz zeigte sie mir ihre Jeans: Dort hatte sie die Nummer mit einem schwarzen Edding notiert. Ansonsten gibt es zu sagen: Sie war klein. Zierlich, nein, dünn. Ihre Haare waren ordnungsgemäß toupiert. Im Minutentakt schaute sie auf ihr Handy, entschuldigte sich aber dafür – sie könne ihren Freund nicht erreichen, mit dem sie ein Wochenende in Paris plane. Und in diesem Hotel habe man einfach keinen Empfang. Nach 20, 30 Minuten, ich weiß es nicht mehr genau, verabschiedete ich mich und erwischte gerade noch meinen Flieger zurück nach München.

Ein paar Dinge sind dann aber doch erwähnenswert: Schon damals erstaunte es mich, wie die Plattenfirma das – zumindest im Ansatz erkennbare – Alkoholproblem der Künstlerin völlig reflektionsfrei als Marketingtool benutzte. Man scheute weder Kosten noch Mühen. Das Konzert, das am Abend vorher in der Berliner Kalkscheune stattfand, wurde von einer VIP-Party flankiert. Etwa 300 Leute im Keller. Ein paar TV-Moderatoren, ein paar Seriendarsteller, dazu die übliche Mixtur aus Journalisten, Plattenfirmenangestellten und Leuten, die aus unbekannten Gründen immer dabei sind. Dass man umsonst saufen kann, ist bei solchen Veranstaltungen nicht selten, und es wäre sehr scheinheilig, sich darüber zu beschweren, wenn man selbst freudvoll mittrinkt. An jenem Abend wurde das Thema Alkoholkonsum aber eine Spur zu penetrant als Leitmotiv gewählt. Es wurde der angebliche Lieblingsdrink von Amy Winehouse gereicht, er nannte sich „Rickstacy“ und bestand aus vier verschiedenen Spirituosen. Besonders lecker war er nicht. „Sie haben ihn auf viel zu wenig Eis serviert. Er hätte kälter sein müssen“, sagte sie selbst. An der Wand des Gewölbes hing – klar, die zu bewerbende Single hieß „Rehab“ – ein großes Portrait von Betty Ford.

Eine Künstlerin, heruntergerechnet auf ihre Sucht. So wurde Amy Winehouse seinerzeit der Öffentlichkeit vorgestellt. Das Bild bestand bis zu ihrem Tod. Ich hätte mir so sehr gewünscht, dass sie zeigt, dass das Blödsinn ist. Dass diese enorme kreative Kraft, die in Back To Black steckte, all diese Emotionen, noch einmal abgerufen würde. Oder dass sie irgendwie anders den Frieden mit sich gefunden hätte. „Ich bin ein unsicherer Mensch“, sagte sie mir damals. Aber singen, das würde sie immer, bis an ihr Lebensende. Es ist so wahnsinnig schade, dass Amy Winehouse nicht älter werden durfte.