In Demut – Euer Carlos


Carlos Santana – Spinner oder Scharlatan, verblendeter Naiver oder erleuchteter Weiser? Bisher konnten wir nur Vermutungen anstellen – genau wie so viele besorgte ME-Leser und Santana-Fans. Aber jetzt hat das Grübeln ein Ende: Wir haben Carlos ins Gebet genommen, und er hat alles gestanden. Ihr könnt Euch Euer Urteil jetzt selber bilden.

Dabei mußten wir dem 28jähngen Mexikaner keineswegs die pikanten Details seiner religiösen Karriere herauspressen. Tatsächlich war Carlos geradezu davon besessen, seine Erfahrungen unter der Obhut seines Gurus und Finanzverwalters Sri Chinmoy herauszukehren. Ort der Handlung: das romantische Schlößchen Ziegenberg im Taunus, das bereits zwei großen Deutschen gedient hat: Adolf Hitler im letzten Kriegsjahr als Hauptquartier und Goethe als Schauplatz für seine Wahlverwandtschaften.

Burgfest mit Carlos

An einem sonnigen Septembernachmittag gibt Carlos ein feucht-fröhliches Burg-Fest. Mit Wein, Weib, anläßlich der Goldverleihung. Carlos ist in einen eleganten Satinanzug gekleidet. Farbe natürlich weiß. Seine Frau kehrt den gemeinsamen hinduistischen Glauben noch stärker heraus: Sie erscheint in einem indischen Sari, dazu trägt sie albernerweise Turnschuhe.

Auf unsere Fragen antwortet Carlos mit leiser Stimme. Er spricht undeutlich, selbst heute hört man seinen spanischen Akzent. Er sucht oft nach Worten, verheddert sich, macht lange Pausen – dabei rinnt ihm ein Speichelfaden aus dem Mundwinkel. Er ist schmal, hat eingefallene Schultern, kurze, etwas schüttere Kraushaare. Die Faszination liegt in seinen braunen Augen: Sie blicken treu, lieb, naiv, verständnisvoll und barmherzig. Carlos ist mit sich und der Welt im reinen: Nichts Menschliches ist ihm fremd, wenig Weltliches kann ihn anfechten.

In Demut – Eurer Carlos

ME: Was bedeutet Dir die indische Religion und besonders Dein Guru Sri Chinmoy?

Carlos: „Mein Guru sagt: ‚Wenn die Macht der Liebe die Liebe zur Macht ersetzt, dann wird der Mensch seinen wahren Namen erkennen, und der ist Gott‘. Gott ist das absolut höchste Wesen, er ist der Vater von Krishna, Jesus, Buddha, Rama, Allah. Sie alle sind göttlich, denn sie haben den Baum des Lebens bis zum Gipfel erklommen. Wenn man mal da oben angelangt ist, will man nicht wieder herunter. Aber die wirklich Göttlichen denken an andere – Christus, Buddha, Krishna und Sri Chinmoy. Sie helfen uns bei unserem Aufstieg. Du und ich, wir sind besessen – Du von Deinem Bandgerät, ich von meiner Gitarre. Aber Sri Chinmoy ist frei. Er gibt mir alles, was er hat. Er ist mein Sklave.“

ME: „Woran denkst Du, wie weit Du bereits dem Gipfel nahegekommen bist?“

Carlos: „Es gibt dafür keinen Maßstab. Ich weiß nur, daß ich Fortschritte mache. Fortschritt heißt nicht: bessere Verkaufszahlen. Fortschritt heißt: immer mehr Leute werden durch meine Musik inspiriert. Ich bin wie eine reife Frucht: Ich verlange nach immer Höherem, nach einer anderen Realität. Mein Guru sagt dazu: Transzendenz oder Erleuchtung.

Wir leben in einem Zeitalter, in dem immer mehr Menschen nach innerer Erleuchtung suchen. Denn die Außenwelt – das ist Illusion, Frustration, Zerstörung. Drugs, you know …

Licht in der Außenwelt

ME: Interessiert Dich die Außenwelt nicht mehr?

Carlos: „Nur selten. Wenn ich meditiere, denke ich nicht. Hoffentlich wird das Konzert gut. Denn das wäre ja Spekulation. Meditieren heißt: Licht von deiner Seele in den Verstand bringen. In Deiner Seele ist Licht, Weisheit, Freude. In Deinem Verstand aber herrscht Finsternis, Böses, Unsicherheit, Zweifel, Versuchung. Wenn ich meditiere, sage ich mir: ‚Hör‘ auf zu kalkulieren und zu analysieren. Existiere einfach!“

ME: Das hört sich zwar gut an, aber wie kommst Du denn dann mit Plattenverträgen, Konzerten und Studioarbeit zurecht?

„Ich ziehe die richtigen Leute an“ –

Carlos: „Je größer Deine innere Harmonie ist, desto eher kommt der richtige Mensch, der sich um Deine Plattenverträge kümmert. Ob Baßspieler, Roadie oder Manager, irgend etwas sagt ihnen, sie sollen sich um die Band kümmern. Sie alle spielen eine göttliche Rolle – wie die Sonne und die Planeten. Alle sind ein Teil des Ganzen. Ich kümmere mich um mich selbst, eben was meinen Fähigkeiten entspricht. Ich stimme meine Gitarre und versuche, ein besserer Mensch zu werden.

Zusammen sind wir eine Welle, eine Strömung, die um die Welt geht und den Leuten Herz und Seele öffnet. So kann ich helfen, die Welt zu verändern.“

ME: „Was hat sich in Deinem täglichen Leben verändert?“

Carlos: „Vieles. Ich verkehre mit anderen Leuten, ich gehe woanders hin, ich esse andere Sachen. Ich denke nicht mehr soviel. Denn wenn man viel an bestimmte Sachen denkt, werden sie auch wahr. Ich schiele nicht mehr gierig nach allem, was mein Auge sieht. Denn ich kann unterscheiden zwischen Dingen, die ich wirklich brauche und Dingen, die ich nur möchte. Ich bin entschlossen, mich selbst zu regieren und mich nicht von meinen Sinnen leiten zu lassen!“

ME: „Haben diese Veränderungen den ständigen Wechsel Deiner Bandmitglieder zur Folge gehabt?“

Carlos: „Bestimmt. Viele hat meine Religion abgeschreckt. Aber ich habe bessere Freunde gefunden, die immer für mich da sind und nicht nur bei mir herumhängen, weil sie das schick finden. Der andere Grund ist: Ich habe mich eine Zeitlang stark für Jazz interessiert. Und dann ging mir allmählich der Hochmut der Jazzmusiker und der Jazzfans auf den Wecker. Ich mag nämlich auch andere Stilrichtungen. In der Musik will ich frei sein. Ich bin für Hilly-Billy genauso offen wie für deutsche Musik.“

ME: „Dein Guru sagt: ‚Wenig Sex, und wenn schon, dann morgens um sechs mit Blumen am Bett.‘ Warum so abstinent?“

Ich bin die Sonne, da brauche ich kein Zündholz

Carlos: „Mein Guru sagt: ‚Menschliche Liebe ist natürlich. Ebenso natürlich ist es aber, der Begierde zu erliegen.‘ Wenn wir unserem Körper erliegen, sind wir wie die Tiere. Wir wollen doch nicht zurück zur Natur, wir wollen uns vorwärts entwickeln! Meine Frau und ich fragen uns: ‚Wann fühlen wir uns am besten?‘ Die Antwort ist: Wenn wir göttliche Liebe fühlen. Menschliche Liebe heißt: Ich gebe Dir, was Du mir gibst. Aber Gott handelt nicht. Er gibt einfach.

Woher kommt göttliche Liebe? Sie kommt aus den Augen von Sri Chinmoy, von Christus-Füßen oder aus Krishnas Bewußtsein. Wenn ich in die Augen meines Gurus sehe, brauche ich nichts und Niemanden. Er läßt mich fühlen, daß in meinem Inneren eine Sonne brennt. Dagegen ist Sex nur ein Zündholz. Hörst Du? Ich bin die Sonne, da brauche ich kein Zündholz!“ Dazu können wir nur hoch eins sagen: AMEN.