Jean Michel Jarre in Paris – The Wall in Berlin


Mit gigantomanischen Freiluftveranstaltungen qualifizierte sich der Unterhaltungs-Elektroniker Jean Michel Jarre fürs Buch der Rekorde. Doch Roger Waters verwies ihn mit seinem Berliner "Wall"-Spektakel auf die Plätze. Die Musik blieb allerdings in beiden Fallen auf der Strecke.

Schon am Vortag wurden Straßen gesperrt; später stellten die U-Bahnen im Westen von Paris ihren Betrieb ein, während die Wirte der Bistros und Bars entlang der Avenue Charles de Gaulle Bier und Coladosen palettenweise horteten: „Konzert ßr hundertlausend Pariser“, unkte eine norddeutsche Zeitung mit leicht frivolem Zungenschlag, denn Jean Michel Jarre, der französische Elektronik-Papst aus der Kaste der Monumental-Künstler, hatte sich das weithin sichtbare Büro- und Geschäftsviertel „La Defense“ als gigantische Kulisse für ein Feuerwerk aus Sounds, Laserlicht und sinnstiftenden Projektionen ausgesucht. Und da der konservative Pariser Bürgermeister Jacques Chirac das Stadtsäckel aufschnürte und der sozialistische Kultusminister in seltener Eintracht ein paar Francs drauflegte, war das Spektakel für den Bürger kostenlos. So hielten sich am Abend des französischen Nationalfeiertags, des 14. Juli, anderthalb Millionen Menschen auf den Boulevards auf und waren dank ihrer mitgeführten Radios auch musikalisch ständig auf dem laufenden.

Anders die Situation in Berlin, als eine Woche später am 21. Juli die vollmundig als „größtes Rockereignis der Geschichte“ angekündigte Show „The Wall“ über die auf dem Potsdamer Platz aufgebaute Bühne ging. Die „Wall“-Berliner mußten knapp 50 Mark berappen, denn schon im Vorfeld hatten die Behörden signalisiert, daß sie ein Free-Concert solcher Größenordnung nicht in den Griff bekommen könnten. Was die Franzosen als organisatorische Selbstverständlichkeit sahen, geriet den zahlenden Gästen in Berlin zum doppelten Ärgernis: Erst wurde der Einlaß zwischen 14 und 16 Uhr immer wieder gestoppt, und als sie sich nach langem Schlangestehen endlich auf den unter einer Staubwolke liegenden Platz vorgekämpft hatten, wurden die Tore um 18 Uhr für jedermann geöffnet. Selbst schuld, wer eine Karte gekauft hatte: 150.000 hatten bezahlt, mindestens nochmal so viele Wall-Fahrer drängten ohne Ticket in die stickige Enge, standen zum Teil zwei Stunden lang auf ein Bier oder eine Cola für vier Mark an. Vom Vorprogramm bekamen nur die wenigen zähen Kämpfer etwas mit, die in unmittelbarer Nähe der Bühne standen: Frumpy, die Chieftains, die Hooters und The Band (ohne Robbie Robbertson) kamen soundtechnisch über die ersten hundert Meter nicht hinaus, und auch am Abend blieben die Soundprobleme weitgehend ungelöst. Schwierigkeiten mit der EDV-Anlage, so war zu vernehmen, erzeugten während der ersten sechs Songs Stromausfälle; Roger Waters kam aber stimmlich sowieso nicht in die Gänge. Fans von „The Wall“ erkannten ihr einstiges Lieblingswerk nicht wieder; Cindy Lauper als zickig kokette Schülerin und die immer charismatische Sinead O’Connor sowie der glänzend aufgelegte Bryan Adams waren noch die Lichtblicke in dieser musikalisch mediokren Show, zu der sogar etliche Fans aus Übersee angereist waren.

Aus Übersee hatte auch Jean Michel Jarre das musikalische Herzstück seiner Show importiert: Die Amocco Renegades, 50 Steeldrummer aus Trinidad, brachten neben einem arabischen Orchester ethnische Farbe ins ansonsten musikalisch simpel und konventionell gestrickte Unternehmen. Auch die Faszination der als Leinwand fungierenden Wolkenkratzer ließ schnell nach: Jarre will immer alles, was lichttechnisch möglich ist, und das auch noch gleichzeitig.

Also wurde projiziert, beleuchtet, gelasert und gefeuerwerkelt, was das Zeug hielt. Doch die Amocco Renegades stahlen Mister „Hunderttausend Lux“, dem Magier der Lampen, letztlich die Show. Sie spielten noch Stunden später hinter der Bühne für geladene Gäste den Calypso und zeigten, daß Jarre sicher nicht in die Reihe der zuvor aufs Hochhaus projizierten Prominenz gehört: Salvador Dali, Pablo Picasso, John Lennon, Elvis Presley. Charlie Chaplin und andere schauten da erstaunt aufs Millionenpublikum herab, und Chaplin soll sogar gelächelt haben. Er mußte wohl daran denken, daß weniger manchmal mehr ist.

Auf der Strecke bleibt bei derlei Großveranstaltungen – das wurde in Paris und Berlin deutlich – immer die Musik und damit letztlich auch der Zuschauer. Da ist es schon besser, wenn man das Spektakel im Fernsehen verfolgen kann und nicht auch noch für den Streß bezahlen muß.