Keine Atempause


... Geschichte wird gemacht, und zwaram 25. Februar 1980: Fehlfarben treten erstmals öffentlich auf. Die Düsseldorfer geben der Neuen Deutschen Welle nun wichtige Impulse - doch der Abgrund ist schon nahe.

Peter Hein, seit Juli 1978 Sänger bei Mittagspause, hat deren zunehmend richtungslose Arbeitsweise im Herbst 1979 satt: „Da wurde einfach zu viel gekifft.“ Gemeinsam mit seinem Gitarristen Thomas Schwebel sucht er Leute für ein neues Projekt, das den endgültigen Abschied von der totgelaufenen Punk-Szene und den Beginn des Ska-Zeitalters auch in Deutschland vorantreiben soll. Es finden sich Frank Fenstermacher (vom Plan), Ex-DAF-Bassist Michael Kemner und Schlagzeuger Uwe Bauer (von Materialschlacht). Der Bandname ist eine selbstironische Anspielung: „Wenn wir schwarze Musik machen, obwohl wir da gar nicht hinpassen, sind wir die klassischen Fehlfarben. Einfach so ein billiges Ding.“

Nach der Ska-Single „Abenteuer 8t Freiheit auf dem eigenen Label Weltrekord vergehen acht Wochen, bis die „Supergroup“ der Düsseldorfer Szene am 25. Februar ’80 erstmals öffentlich auftritt. Mittagspause-Gitarrist Franz Bielmeier erzählt Peter Hein am Telephon von einem Gig-Angebot, das man wohl nicht mehr wahrnehmen kann, und fragt, ob er nicht mit seiner neuen Band spielen will. “ Und dann „, so Hein, „haben wir in zweiWochen ein Set auf die Beine gestellt. Purer Ska. Pure Specials. „Der stilistische Rahmen wird schnell zu eng. Fehlfarben wollen „richtige“ Musiker sein und machen sich daran, Einflüsse von Disco, Sixties-Beat, Post-Punk und 68er- Sponti-Rock zu einer Synthese zu schmieden, die Peter Hein mit spontanen Collagen aus seinen Text-Notizen krönt mit schneidender, greller, sich überschlagender Stimme singt er von Liebe, Langeweile und dem Alltag im „Beton-Staat BRD“. Praktisch aUS dem Nichts entsteht ein neuer Stil, und zum ersten Mal seit den Tagen von Can, Kraftwerk und Neu! liefert die deutsche Szene einen eigenständigen Beitrag zur Pop-Internationale. Doch ist von der Aufbruchsstimmung, die in späteren Erinnerungen gerne beschworen werden wird, zu Beginn des neuen Jahrzehnts nichts zu spüren. „Das war die depressivste Zeit, die ich erlebt habe“, stellte Peter Hein inmitten einer wieder einmal virulenten 8oer-Revival-Stimmung kürzlich fest. Die ersten Punkbands, die ab Ende ’76 in München, später Düsseldorf, Berlin und anderswo entstanden, sind 1980 längst aufgelöst und Teil einer Geschichte, die von manischen Partikular-Historikern in den folgenden Jahrzehnten immer wieder ergänzt und umgedeutet werden wird. Geblieben sind Ratlosigkeit, Verwirrung – und ein seltsames Knäuel aus Minimalismus und frechen Ideen, dem der Sounds-Autor und spätere Plattenfirmengründer Alfred Hilsberg den ebenso prophetisehen wie verhängnisvollen Namen „Neue Deutsche Welle“ gibt. Die stößt bei den übrig gebliebenen Punks nicht nur wegen der medialen Konzentration auf Hilsbergs Umfeld von „genialen Dilettanten“und seine eigenen Produkte auf schroffe Ablehnung. Die Fehlfarben unterschreiben im Sommer 1980 gegen Hilsbergs verzweifelte Appelle als erste NDW-Band beim Großkonzern EMI und setzen sich damit endgültig zwischen alle Stühle.

Doch zunächst bleibt der Single-Titel „Abenteuer &. Freiheit“ das bestimmende Motto. Im Kölner EMI-Komplex soll die Band ein Album erstellen. Die dort übliche Arbeitsweise (die der einer Verwaltungsabteilung stark ähnelt, inklusive Stechkarten und Mittagspause) scheitert an der Non-Professionalität der Musiker, die nebenher normalen Tätigkeiten nachgehen, um ihre tägliche Gitarrensaite zu verdienen. Peter Heins striktes Festhaken an seinem Job bei der Kopierer-Firma Rank Xerox (der die Hannoveraner Konkurrenz Hans-A-Plast einen gleichnamigen Song gewidmet hatte) wird zu einer Art running gag. Die Aufnahmen, die folglich stets nach acht Uhr abends beginnen, wenn die „Schlagerfuzzis“ (Micha Kemner) Feierabend machen, sind für beide Seiten ein Kulturschock: eine Band, die kaum ihre Instrumente stimmen kann, steht abgebrühten Technikern gegenüber, die resignieren und die Sache passieren lassen. Als alle Stücke im Kasten sind, probiert Chic-Fan Schwebel ein neues Funk-Riff aus. EMI-Mitarbeiter Horst Luedtke bittet um Wiederholung, Peter Hein schreibt noch schnell einen Text: „Keine Atempause, Geschichte wird gemacht…“

Ohne es zu ahnen, hat die Band damit ihren Höhepunkt erreicht und eilt nun ohne Atempause auf den Abgrund zu. Das Album erscheint im Oktober; eine von der EM 1 avisierte Deutschland-Tournee mit Dexy ’s Midnight Runners kommt nicht zu Stande, dafür dürfen die Fehlfarben Ende Oktober die Londoner Schrill-Punks 999 Supporten. Dabei zeigt sich, wie tief die Kluft zwischen Punk-Tradition und Neuer Deutscher Welle (aber auch zwischen dieser und den Fehlfarben), zwischen vermeintlichem Untergrund und angeblichem Kommerz inzwischen ist obwohl die Band kaum 8.000 Platten verkauft hat und die Charts höchstens mit dem Fernrohr betrachten kann, wird sie bespuckt, beschimpft, mit Dosen, Flaschen und anderem Unrat beworfen. Die Techniker tragen ihren Teil bei: „In München hatten wir einen tollen Abend erwischt“, erzählte Kemner später, „das Publikum ging richtig mit. Aber nach vierStücken war die Monitoranlage komplett ausgeschaltet, so dass wir Überhaupt nichts mehr hörten.“ Ausgerechnet über diesen Auftritt schreibt ein Fanzine: „Weniger lustig die Fehlfarben – die waren bloß noch schlecht, hätten besserin ’ner Studentenmensa spielen sollen.“ ‚Dass der Hauptact 999 das denkbar erbärmlichste Beispiel einer von dauernden Tourneen abgefuckten Band bietet, treibt für Peter Hein den letzten Nagel in den Sarg eventueller Vorstellungen von einer Pop-Karriere.

Man konnte Hein eine Ikone nennen, in mehrfacher Hinsicht. Zum einen hatte er als Identifikationsfigur in den 8oern keine Konkurrenz — er war der Solitär, der einsame Rufer in der grauen Wüste von Effektivität, militärisch-industrieller Mentalität und verbissenem Spaßgekasper, in der Deutschland nach dem Herbst 1977 versank und in der eine andere Freiheit als die des Konsumierens nicht mehr denkbar schien. Ein Wiedergänger von Rio Reiser, der sich mangels widerstandsbereiter G emeinde auf wehmütige bis zynische Kommentare beschränken musste.

Andererseits ist Hein eine Ikone der paradoxen Verweigerung: der Mann, der sich standhaft weigert, den sicheren Bürojob {„Im Prinzip ist das ja Zeitverbringung. Man schiebt Daten von links nach rechts. Sachen, dieman nichtsieht, werden irgendwohin geschickt,

wo man nicht dabei ist“) aufzugeben, um ein richtiger Star zu werden – das passt so gar nicht zum Ideal des neoliberalen Popstars, der sich zum Einzelkämpfer drillt, um die Welt zu „erobern“, unterstützt von Firmen, die sich als .Armeen“ empfinden und „Schlachtpläne“ ausarbeiten, an deren Ende die Herrschaft stehen soll – über die Charts und ein höriges Heer volldynamisierter Konsumenten, für die Solidarität, Selbstbestimmung und Widerstand Fremdwörter und der Rückzug aus dem Rampenlicht allenfalls als karrieretaktisches Manöver vorstellbar ist.

Peter Hein wird der Widerspruch zu viel: Um seinen Traum zu retten, muss er ihn zerstören. Im März 1981 – die Fehlfarben sind gerade von den SOUNDS-Lesern auf Platz 2 der „Hoffnung ’81“ gewählt worden – steigt er aus und reist nach England, um seine alten Helden The Jam zu interviewen und sein Weltbild wieder ins Lot zubekommen. Und während „Monarchie und Alltag“ mit einem Jahr Verspätung zum Hit und in der Folge zum Klassiker wird, kehrt er mit seiner neuen Band Family 5 dahin zurück, wo alles begonnen hat: in Kneipen, Clubs und den Untergrund. —