Gespräch

Klan im Interview: „Ein Bildschirm kann Nähe nicht ersetzen“


Die Krise als Kreativ-Chance? Das Brüderpaar KLAN steuert mit Wohnzimmerkonzerten und dem Soundtrack zum Alleinsein durch die für Künstler*innen schwierige Zeit. Warum sie als ehemalige Straßenmusiker dabei einen Vorteil haben und wie sich die Musik durch Corona verändern wird, lest Ihr im Interview.

Ein Mann schleicht durch Berlin bei Nacht, umhüllt von einer überdimensionalen, transparenten Kugel. Das alte Leben, es scheint nur eine Armlänge entfernt und ist für uns im Moment doch nicht erreichbar. Im Musikvideo zu „Rot Blau Grün“ visualisierten die beiden Brüder Stefan und Michael Heinrich der Indiepop-Band KLAN treffend, wie sich die Isolation für viele von uns anfühlt. Doch es gibt noch mehr Möglichkeiten, musikalisch auf die Krise zu antworten. Wir haben sie im Mai danach gefragt.

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Musikexpress: Berlin hat sich durch die Corona-Krise ganz schön verändert. Wie nehmt ihr die Stadt momentan wahr?

Michael: Ich bin echt positiv überrascht wie es so läuft mit der ganzen Situation. Viele haben geschrieben, dass die Berliner immer lascher werden, was das Einhalten der ganzen Regeln angeht. Ich muss sagen, das ist nicht so meine Beobachtung.

Stefan: Jetzt, wo die meisten Gründe wegfallen, wegen denen man nach Berlin zieht, bleiben halt vor allem die Nachteile der Großstadt. Die Bars und Clubs sind zu, dafür hocken die Leute eng aufeinander, es ist laut und es ist teuer. Irgendwie anstrengend.

Michael: Wobei man natürlich sagen muss, dass es gut ist, dass erstmal alles geschlossen ist. In der jetzigen Situation merkt man aber: Es fehlt die Natur.

In dem Dorf, in dem ihr aufgewachsen seid, gab es davon reichlich. Habt ihr zwischenzeitlich Sehnsucht danach?

Michael: Unsere ersten Lebensjahre haben wir ja in Lampertswalde verbracht, irgendwo in der Pampa zwischen Dresden und Leipzig. Danach waren wir aber lange in Leipzig. Das ist auch das, was wir heute als unsere Heimat bezeichnen würden – unsere Mum, unsere Großeltern und andere Verwandte wohnen auch noch da. Ostern nicht dort zu verbringen zu können, war auf jeden Fall komisch, aber durch Facetime-Gespräche sehen wir unsere Mum zum Beispiel sogar häufiger als sonst.

Stefan: Diese Rückbesinnung auf Orte war für mich nie das Entscheidende. Im Herzen bin ich immer noch Leipziger, Berlin mag ich eigentlich nur so mäßig. Aber ich kenne natürlich die Vorteile, die Berlin mit sich bringt, insofern ist das auch eine funktionale Angelegenheit bei mir. Früher oder später werde ich aber wohl wieder nach Leipzig ziehen – oder zumindest aus Berlin weg.

In letzter Zeit wird – zumindest unter Kulturschaffenden – darüber gesprochen, was die Corona-Krise mit Musiker*innen macht. Wie arrangiert ihr denn euren Alltag zurzeit, was beschäftigt euch?

Michael: Ich habe zum Glück eine WG, in der ich mich sehr wohlfühle. Mit meinen Freunden treffe ich mich auf Skype, mit Stefan arbeite ich viel an neuer Musik – das heißt, ich bin schonmal nicht einsam. Wir haben gleich zu Beginn der Krise alle unsere Instrumente in Stefans Wohnung geschleppt und sein Zimmer zu einem halben Studio umgebaut.

Stefan: Was das Finanzielle angeht, haben wir einen sehr guten Kreis an Kolleg*innen, der zusammenhält. Unsere Freundin Mine schickt zum Beispiel immer viele Infos herum, wo man Soforthilfe beantragen kann und wie das mit dem Papierkram funktioniert. Das ist auch die Quelle, aus der wir uns momentan finanzieren, denn uns sind natürlich auch unsere Frühjahrstour und die Festivalauftritte weggebrochen. Immerhin ist das ein Anreiz, mehr Musik online herauszubringen.

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Wie euren Song „Rot Blau Grün“, auf dem ihr auch über das Isolationsgefühl singt – und über das Vermissen. Wen vermisst ihr momentan?

Michael: Das ist wohl unsere Mutter, glaube ich.

Stefan: Und unseren Freundeskreis! Ich wäre dieses Wochenende eigentlich mit zehn Leuten im Wander-Urlaub gewesen (lacht). Jetzt treffen wir uns zumindest über Zoom, auch wenn das immer ein bisschen unbefriedigend bleibt. Das ist ja auch Inhalt des Songs: Die Nähe zum Bildschirm kann tatsächliche Nähe nicht ersetzen. Am Ende saßen wir zwar alle mit ´nem Bier da und haben gelacht, aber sobald der Bildschirm aus ist, ist man wieder allein.

Im Musikvideo habt ihr das mit einer großen, durchsichtigen Kugel visualisiert, mit der ihr euch durch die leere Stadt bewegt…

Michael: Die haben wir von so einem Event-Verleih, normalerweise kann man damit in Schwimmbädern übers Wasser laufen!

Stefan: Eben hat mir noch jemand auf Instagram geschrieben und auch danach gefragt. Die Nachfrage steigt also momentan nach diesen Bällen (lacht).

Michael: Es hat was von einer Trump’schen Idee, mit der man sich vielleicht aus dieser Situation befreien könnte, wenn alle in diesen Kugeln unterwegs wären. Wobei man bei diesen Dingern alle 10 Minuten die Luft austauschen muss, das könnte ein Problem werden.

Parallel macht ihr seit ein paar Wochen Wohnzimmerkonzerte auf Instagram, normalerweise seid ihr aber viel auf Tour – vor Livepublikum! Und angefangen habt ihr ja auch mit Straßenmusik, bei der man auf anwesende Zuschauer angewiesen ist.

Stefan: Tatsächlich war das der Grund, warum wir beide im Jugend- und Erwachsenenalter musikalisch zusammengekommen sind. Wir sind vier Jahre auseinander, als Micha sein Abitur gemacht hat, hatte ich schon meine ersten Studienjahre hinter mir. Mit 18 und 22 haben wir dann als Nebenjob angefangen, zusammen auf der Straße zu musizieren.

Ihr seid also immer gewohnt, Publikum zu haben. Wie fühlt es sich an, jetzt nur noch vor einer Kamera zu spielen?

Michael: Ach, es ist schon ganz cool. Wir haben ja vorher schon Live-Sessions gemacht, bei denen man Live-Songs aufzeichnet. Aber es verschiebt sich gerade auch einiges, die Leute haben total Bock drauf, dass da ein Event-Charakter dazukommt – also zusammen in einem Moment da ist und auf Kommentare reagiert. Wir haben zum Beispiel ein Format etabliert, bei dem wir als menschliche Jukebox Songs spielen, die uns Zuschauer vorschlagen. Auch etwas, bei dem wir von unserer Erfahrung als Straßenmusiker zehren.

Stefan: Die Stille zwischen den Songs muss man natürlich aushalten lernen. Wir haben irgendwann angefangen, uns selbst zu beklatschen (lacht).

Michael: Aber Bock auf laute Konzerte, bei denen der Schweiß von der Decke tropft, haben wir natürlich auch.

Ihr habt eure Musik mal als „Conscious Pop“ bezeichnet, auf gesellschaftliche Themen zu reagieren war euch schon immer wichtig. Habt ihr überlegt, euch auch mal zu der wachsenden Skepsis gegenüber den Corona-Maßnahmen, insbesondere den lauter werdenden Verschwörungstheorien, zu äußern?

Michael: Stefan hat da gerade ein kleines Weltrettungsprojekt gestartet…

Stefan: Ich habe alle Verschwörungstheoretiker in meinem Umfeld angeschrieben und versuche die, wieder auf die richtige Bahn zu lenken. Mein Ansatz ist, diesen Leuten ganz liebevoll zu begegnen und mit ihnen in ein Gespräch zu kommen, bei dem sie nicht das Gefühl haben, ich sei „gegen sie“. Obwohl ich in einem sehr linken und aufgeklärten Umfeld aufgewachsen bin, merke ich, wie viele da gerade abdriften. Mein Gefühl ist, dass das ganz viel mit fehlender Liebe und Zuneigung zu tun hat. Ich glaube auch nicht, dass es bei Xavier Naidoo um Argumente geht – denn die hat dieser Mann nicht. Er nähert sich den Menschen viel mehr über Charisma und schwarze Rhetorik.

Dabei waren Musiker*Innen doch eigentlich immer die „Guten“, wenn es um gesellschaftliche Konflikte ging.

Stefan: Die Punkband Akne Kid Joe hat vor ein paar Tagen erst einen Beitrag gepostet, in dem sie sich gewundert haben, dass offenbar die Rollen getauscht wurden – schließlich sind doch die Punker eigentlich immer die Systemkritiker gewesen. Aber jetzt müssen wir das erste Mal sagen: Geil, dass wir dieses System haben, lasst uns das beschützen. Das gilt glaube ich auch im Größeren: In dieser Zeit der Krise kann man sich auch als Linker einmal sehr dankbar gegenüber dem Wohlstand und den demokratischen Freiheiten zeigen, die wir erarbeitet haben. Dass die Systemkritik gerade von rechts am lautesten ist, hat sicher auch damit zu tun, dass unsere eigentlich konservative Regierung in der Vergangenheit Entscheidungen getroffen hat, die dort angeeckt sind, etwa die humanistische Haltung in der Flüchtlingskrise.

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Glaubt ihr, die momentane Situation wird Musik und ihre Ästhetik verändern? Und wie?

Michael: Vielleicht wird Bedroom-Pop jetzt noch einmal eine Nummer größer, als es ohnehin schon in letzter Zeit geworden ist. Und auch dieses Bedrohungsgefühl, das ja auch bei den Verschwörungstheorien eine wichtige Rolle spielt, könnte Einfluss auf die Musik haben und sie etwas düsterer machen. Ein bisschen wie bei Billie Eilish vielleicht.

Stefan: Was ich mir wünschen würde, ist, dass es wieder vermehrt zu progressiver Musik kommt. Unser Song „Rot Blau Grün“ ist ja auch eher eine vierminütige Reise, als dass er eine krasse Hook hat. Mein alter Mitbewohner hat mir beispielsweise geschrieben, dass er den Refrain „angenehm unhookig“ findet (lacht). Ich fände es geil, wenn es mehr Leute gäbe, die Konzeptalben machen und es durch die viele Zeit, die die Leute jetzt haben, eine Art Renaissance der Kunst gäbe.

Abschließend: Wenn ihr euch jetzt an einen Ort eurer Wahl teleportieren könntet, wo wäre das?

Michael: Ich wäre gerne mit meinem Freundeskreis in Schwannewitz. Tagsüber rennen wir da im Wald rum und pennen abends in einer kleinen Hütte auf dem Boden.

Stefan: Eigentlich wäre ich jetzt wie gesagt wandern im Harz unterwegs gewesen, das wäre schon perfekt gewesen. Im Wald, dem Sehnsuchtsort der Deutschen (lacht). Aber es scheint ja grade schön die Sonne, dann ist es auch hier ganz okay.

KLAN haben für uns außerdem eine exklusive Zuhause-Session eingespielt – Kings-Of-Leon-Cover inklusive:

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