Kommando Kuba


Maffay macht's mit Mao, Yello fidelt mit Castro: Wer im Massenangebot der Popvideos bestehen will, bucht besser gleich den Trip in die Exotik. Yellos Dieter Meier war unser Mann in Havanna

So heiß und feucht soll es sein, daß die Helden unserer 68er Studentenrevolte zusammenbrachen, als sie sich bei der Zuckerrohr-Ernte nützlich machen wollten. Was ich über Kuba sonst noch wußte? Die besten Tabake, der feinste Rum und die einzige erfolgreiche Revolution meiner Zeit kommen von dort.

Aber das alles sind nicht die Gründe, weshalb ich vor ein paar Wochen aus heiterem Himmel und durchaus hochstaplerisch erzählte, ich würde das Video für die neue Yello-Single „Desire“ in Havanna drehen. Eher war es ,,La Habanera“, gesungen von Zarah Leander in einem deutschen Fernsehfilm der 30er Jahre, und der Klang des Namens Havanna, der mir seit frühester Kindheit Sehnsucht in die Augen zaubert – nach Ferne, Einsamkeit, Verruchtheit und schmierigem Hafen, in dem Jean Gabin schwarz-weiß als verschlissener Cabaret-Sänger das Ende einer großen Liebe im Rum ertränkt und sich von Ernest Hemingway ein Paket Zigaretten schenken läßt, das ihm auf dem Gang durch den lauen Regen so naß wird in der Tasche, daß die Zigarette nicht mehr brennt, die er sich im „Floridita“ anstecken will, während er auf seinen Doppelten mit viel Eis wartet.

Die Reise: Von Madrid in die Eismeere Neufundlands, weil der sowjetische Tupolew bei Gegenwind der Sprit ausginge im Direktflug, der Küste des Feindes nachgeschlichen hinunter zum Golf von Mexico, wo von weitem schon das schwüle Lichtermeer Havannas flimmert, Ziel deiner Träume.

Verlegen, scheu und doch nicht zu unsicher, bestimmt und bescheiden versucht Meier sein von Flugzeugluft und Schnäpsen gedunsenes Gesicht scheinen zu lassen, als er die Gangway hinunter auf ein paar Kameras zugeht, die zu seiner Ankunft aufgestellt wurden. Wegen Problemen mit den Scheinwerfern muß er für die Fernsehkamera das Aussteigen wiederholen, was ihm mit der beschriebenen Miene problemlos gelingt, weil es schon beim erstenmal Theater war. Es ist 11 Uhr nachts, und die feuchte Hitze macht mich lachen, aus geblähten Wangen Luft ausstoßen und nach einem Taschentuch suchen, das ich mir klassisch über den Haaransatz zum Nakken führe, wie der Dicke im „Malteser Falken“.

In einem Paßkontrollhäuschen, das die DDR gemeinsam mit der UdSSR entwickelt hat, stiert ein Herr in einer Uniformbluse, ebenfalls ein Produkt deutsch-sowjetischer Zusammenarbeit, minutenlang reglos in meinen Paß. Hier in Kuba versteh‘ ich die Vorsicht. Seit der US-Invasion an der Schweinebucht hat der CIA unzählige Herren ins Land geschleust, die mit den bekannten Methoden die Lage im Inneren destabilisieren und so den Angriff von außen erleichtern sollten.

Die Häuschen sind hüben wie drüben die gleichen, nur sind sie hier nicht Ausdruck einer nationalen Identitätskrise, sondern verständlicher Schutz vor dem brandgefährlichen Riesenbaby im Norden, das immer, wenn es nichts Besseres zu tun hat, schreit vor Wut, weil Fidel Castro ihm ein Spielzeug aus dem Laufgitter genommen hat.

Die ersten Bilder: Spanisch-kreolischer Pentagonstil springt unvermittelt in die 50er Jahre Miamis, wo die Architektur-Zeit stehenbleibt. Die berühmten Al-Capone-Schlitten, nach eigenem Gusto von Hand gestrichen, brüllen auf drei Zylindern Richtung Innenstadt; jeder zweite eine fertige Zirkusnummer, die noch komischer wirkt, weil der Fahrer die Schlotterkiste pilotiert, als begleite er einen brandneuen Eldorado direkt in den Himmel. Auf Großplakaten wird zum III. Kongress der PCC die Bevölkerung zu erhöhter Verteidigungsbereitschaft und industrieller Produktion aufgerufen. Rote Fahnen säumen den Highway ins Zentrum. Che Guevara guckt verschmitzt und visionär aus seiner Urwaldmähne.

Rührend, wie in den Schaufenstern die uniformen Konsumgüter zu Pyramiden aufgetürmt sind. In kommunistischen Ländern wird die Bevölkerung versorgt, bei uns zum Konsum angeregt. In den liebevoll aufgeschichteten Konservendosen schwingt ein kleines Stück West-Welt. Verkommene Zuckerguß-Fassaden erinnern an Cinecitta: Der Film ist abgedreht und seine Darsteller in alle Welt zerstreut.

Die Revolution: 1953 stürmten Fidel und Raoul mit 100 Genossen eine Militärkaserne. Viele wurden getötet, die Brüder Castro zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Ein Jahr später erließ der Diktator Batista selbstgefällig eine Amnestie; Fidel zog sich nach Mexiko zurück. Hier stieß ein asthmatischer Arzt aus Argentiniens Oberschicht zu der Untergrund-Armee: Herr Ernesto Che Guevara auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. 1956 bestand die Truppe aus 100 Mann, 11 rostigen Pistolen und ein paar Dutzend zerflickten Hosen.

Einem schwedischen Weltumfahrer wurde eine kleine Motorjacht abgekauft. Völlig überladen geriet die „Granma“ im Golf von Mexiko in einen Hurrikan, als wolle das Schicksal die Ernsthaftigkeit der Revolutionäre ein letztes Mal prüfen. Die „Granma“ strandete an der Nordküste Kubas. Die revolutionäre Rumpf-Armee zog sich in die Berge zurück, geriet in einen Hinterhalt und wurde von den Truppen Batistas bis auf acht Mann aufgerieben.

Was in den drei Jahren bis 1959 geschah, ist fast mystisch. Eine Handvoll hemdsärmeliger Habenichtse befreit Kuba von einem mit 65000 Berufssoldaten bis auf die Zähne bewaffneten Diktator. Zu Silvester fällt Havanna kampflos, und Batista, der gerade dabei war, mit der Mafia die Stadt in Bordell und Casino der USA umzuwandeln, türmt mit der Staatskasse – wie Mafioso Lucky Luciano meinte, überstürzt.

Was Kuba, sicher zum Teil mit Hilfe der Sowjetunion und ihrer erklärten Weltmachtziele, aber letztlich doch unabhängig, in den letzten 25 Jahren erreicht hat, ist unglaublich: medizinische Versorgung auf dem Niveau der BRD, Senkung der Säuglingssterblichkeit auf das Niveau westeuropäischer Staaten, Ausrottung des Analphabetismus.

Hotel National: Neo-neoklassizistischer Stilverschnitt, gigantisch wie ein Weltbahnhof, erhebt sich das Prunkschloß des Spätkolonialismus über den Malecon, jenem zwölfspurigen Promenaden-Highway, auf dem die alten Ami-Schlitten majestätisch in den blutroten Sonnenuntergang rollen. Aus meinem Zimmer sehe ich die Tanker auf den Hafen warten – und ein Denkmal für einen großen Mann, von dem nur noch der Sockel steht, aus dem ein paar Stahldrähte schießen, als hätte man den Helden samt der Wurzel ausgerissen. In der Hotelhalle herrscht kubanischer Bazarbetrieb, durchzogen von DDR-Touristen, die ihre roten Gesichter wie Trophäen in den Intershop tragen, und verständlich selbstsicheren Russen.

Der Barmann kann ein Lied singen von Lucky Luciano, der mit Batista persönlich den Einbau der Roulettekessel überwachte, die kurz vor der Revolution im Ostflügel des Hotels eingebaut wurden. Hier gehe ich ein und aus und fühle mich gut, weil die Arbeit am Yello-Film den Tagen in Kuba einen so unmittelbaren Sinn gibt.

Das Video: Am zweiten Tag fahren wir mit dem kubanischen Team an die Drehorte. Ich werde wiederholt gefragt, was ich will, weiß es natürlich nicht und versuche mit sicherer Stimme diffuse Stimmungsbilder vorzutragen, die mir auf dem Weg zu Hemingways Stammlokal einfallen. Wie vor jeder Arbeit habe ich Angst, und wenn nicht der Montag als Drehbeginn endgültig festgelegt wäre, würde ich das Ganze verschieben, bis mir ein Bart gewachsen ist – so lang, daß ich drauf stehe und nicht wegkomme.

Das wichtigste Film-Motiv ist das „Tropicana“, ein Moulin Rouge unter dem tropischen Sternenhimmel im Dschungel vor Havanna. Im Fundus des kubanischen Fernsehens habe ich mir ein weißes Dinnerjacket ausgesucht, das ein Millionär hier vor 26 Jahren liegenließ. So komme ich auf die Bühne und versuche, den heruntergekommenen Entertainer darzustellen. Avelino, der Kameramann, verwandelt mit Flakscheinwerfern wie aus alten Ufa-Beständen die Urwaldbühne in einen apokalyptischen Kitschrahmen, in dem ich mein Lied vortrage, das von Sehnsucht nach Sehnsucht handelt. 120 Leute am Set. Die Kubaner sind ein großartiges Team: Stolz, beweglich und „allegre“ noch morgens um fünf, als wir beschließen, die Königspalme nun doch wieder blau zu beleuchten.

Hemingway: Seine Villa steht in der Vorstadt Havannas, leicht erhöht, mit geschwungener Anfahrt durch ein lichtes Wäldchen, vorbei an den Gräbern seiner Lieblingskatzen und einem grandiosen Swimmingpool. Der kolonialspanische Bungalow blieb seit Hemingways Tod bis in die kleinsten Details unverändert. Wie ein ägyptisches Todeshaus bewachen neun Frauen die Räume des Dichters, die man nur von außen durch die Fenster betrachten darf. Im Salon stehen neben dem Eiskübel Coca-Cola-Flaschen mit durchrostetem Deckel; im Badezimmer liegt das Rasierzeug bereit. Weil Hemingway die Revolution von Anfang an begrüßte, werden seine Spuren in Havanna sorgfältig gepflegt. In der Floridita-Bar, wo er täglich den Beginn der Nacht mit einem Daiquiri feierte, zeigt der alte Kellner auf seinen Stammplatz und meint, ein großer Zecher sei er nicht gewesen; am gleichen Drink hätte er oft über zwei Stunden genippelt. Zum Aperitif traf er sich für einen Mojito im Bodeguita del Medio mit Gagarin und Eroll Flynn, und dann verwischt sich seine Spur; vielleicht ist er nach Hause gegangen, weil er morgen zeitig fischen will.

Varadero: Um die romantische Machismo-Pose „Mann auf hoher See. fängt großen Fisch“ zu erleben, miete ich für 50 Dollar ein Schiff. Captain Luis zieht die Leine mit dem kleinen Köderschwertfisch durch die reichsten Fischgründe der Karibik. Nach einer Stunde schnellt die Rute nach unten, und der Silch surrt von der Rolle. „Medio“ meint Luis, stoppt die Motoren und läßt mich einen 12-Pfund-Loup-de-Mer heranziehen, der sich wehrt wie der Teufel. Nach zehn Minuten halte ich den toten Fisch am Schwanz, habe das idiotische Gefühl, etwas geschafft zu haben, und verstehe Dichter, Staatsleute und Millionäre, die sich als Jäger das Gefühl von Arbeit und eindeutigerem Sinn holen, als ihn ihre übliche Betätigung sonst mit sich bringt.

Finale: In Zisternenwagen wird herrlich kühles Bier an die Strände Havannas gefahren. Ein kleiner Junge hat drei große Pappkübel voll ergattert und verkauft das Bier in kleinen Bechern gegen Aufpreis ein paar Meter weiter drüben: „Hier kein Anstehen“. Alles klar.

Zum Kapitalismus gehört die Jagd, die Beute, die Aggression. Im Kommunismus fallen diese Antriebe des einzelnen weg. Damit fehlt etwas Ur-Tierisches, das Marx bei der Kreation seines Menschen ein für allemal abschaffen wollte. Das hat Vor- und Nachteile, aber dank Fidel Cas’tro kommt der sozialistische Versuch hier in Kuba nicht als Fassade zur Etablierung einer neuen Oligarchie daher, sondern als ehrliche Absicht eines Moralisten, der etwas Gutes will für die Menschen, die auf dieser Insel wohnen.

Fahrt nach Kuba, Leute, einen idealeren Sozialismus werdet ihr so schnell nicht zu sehen kriegen, und auch kein schöneres Meer, will ich zum Schluß burschikos beifügen. „Havanna… Fidel!“, begann Castro seine erste große Rede an das kubanische Volk. Und so ist es denn auch.

DIETER MEIER