Laurent Garnier über die Zukunft von Techno


Während Fachleute die elektronische Musik wegen fehlender Innovationen seit einigen Jahren in die Krise reden, bleibt der französische DJ und Produzent Laurent Garnier optimistisch: „"Techno ist nicht tot."

Ende der achtziger Jahre war Laurent Garnier einer der ersten europäischen DJs, die House von Chicago und New York nach Europa importierten – als Resident DJ im legendären „Hazienda“ in Manchester. Von diesem mythischen Ort ging die Rave-Revolution um die ganze Welt. In seinem Buch „Elektroschock“ *, das zeitgleich mit seinem neuen Album THE CLOUD MAKING MACHINE erscheint, erzählt der Franzose die Geschichte des Techno anhand seiner eigenen Karriere und wirft einen manchmal wehmütigen – Blick zurück auf die große Zeit der elektronischen Musik Anfang bis Mitte der neunziger Jahren.

Ist Techno tot?

LAURENT GARNIER- Nein, überhaupt nicht! Ich lege immer noch in überfüllten Clubs auf, vor Leuten, die diese Musik wirklich sehr lieben, vor 12.000 Menschen, die dabei absolut verrückt spielen. Wenn das der Tod von Techno ist – okay, dann habe ich kein Problem damit. Die Presse würde es lieben, den Techno zu begraben. Genauso gerne wie sie in den achtziger Jahren den Rock’n’Roll begraben hätte, als House aufkam. Sie sagten: Gitarren sind tot. Schau dir an, was heute in der Rockmusik abgeht. Wenn wir in der elektronischen Musik nicht um das kämpfen, was wir haben, und wenn wir nicht sorgsam umgehen mit dem Baby, das wir einmal hatten, könnten wir möglicherweise die ganze Sache töten. Wir haben so lange an dieser Musik gearbeitet. Lasst uns dafür sorgen, dass sie nicht – wie so viele andere Spielarten – vom Kommerz getötet wird.

Kannst du dich an ein Elektronik-Album aus der jüng- sten Zeit erinnern, das so richtig gut war?

Ahm … gute Frage, (denkt nach) Es muss welche geben, ich poste jeden Monat auf meiner Website die Titel der Alben, die mir richtig gut gefallen. Es muss welche gegeben haben, aber ich kann mir so schlecht Namen merken.

Elektronik war ja immer eine Sache, die streng vorwärtsgewandt war. Um der heilte Scheiß zu bleiben, durfte man sich nicht wiederholen…

… aber warum? Rock hat sich ja auch nicht neu erfunden, um heute wieder in Mode zu sein. Nenn mir eine Band, die wirklich etwas Neues macht – außer Radiohead

… die elektronischen Musiker haben sich doch selber unter diesen Innovationsdruck gestellt…

… dafür bin aber ich der falsche Ansprechpartner. Ich habe immer gesagt, dass ich überhaupt nichts neu erfinde und ich versuche auch nicht, die ganze Sache durch meine Musik voranzubringen. Ich habe immer das gemacht, was ich gut fand, ich war nie auf der Suche nach „something dijferent“.

Nervt es dich, dass elektronische Musik von manchen Leuten nicht als „richtig“ und „handgemacht“ angesehen wird?

Ey, Mann, nach 17 Jahren habe ich mir das tausend Mal anhören müssen, das bringt mich nicht um meinen Schlaf, ich finde es eherlusrig (lacht).

Hast du das vor 17 Jahren auch schon lustig gefunden ?

Da hat es mich schon aufgeregt. Weil ich eine Musik verteidigen musste, die „anders“ war. Die meisten Leute, die früher keine elektronische Musik mochten, hörten damals Rock. Das Lustige ist, dass der Rock heute nicht da wäre wo er ist, wenn er nicht von der elektronischen Musik beeinflusst worden wäre. Das Lustige ist aber auch, dass der Rock ohne die elektronische Musik nie so ein starkes Comeback erlebt hätte, wie zurzeit. Wobei wir wieder bei Radiohead wären. Ohne Aphex Twin stünden Radiohead heute nicht da, wo sie sind. Und Radiohead sind zurzeit die innovativste Rockband.

Wolltest du dir beweisen, dass du ein „richtiger‘ Musiker bist, als du irgendwann beschlossen hast, mit einer Band auf Tournee zu gehen?

Als ich damit angefangen habe, Musik zu produzieren, musste ich mir ein paar unschöne Kommentare anhören: „Laurent Garnier ist zwar ein guter DJ, aber das mit der Musik sollte er lieber bleiben lassen „. Aber wenn du einmal mit dem Musikmachen angefangen hast, willst du unbedingt weitermachen. Zu einem bestimmten Zeitpunkt dachte ich, dass ich am besten mit einer Live-Band weitermachen könnte. Live aufzutreten war sehr wichtig für mich, als DJ zu arbeiten ist es aber auch.

HipHop ist längst die zweite Macht in der Popmusik geworden. Es stetlt sich nicht die Frage HipHop oder Rock. Es heißt HipHop und Rock. Warum ist das der elektronischen Musik nicht gelungen?

Ich weiß es nicht. Aber vielleicht liegt es daran, dass Elektronik überwiegend Instrumentalmusik ist. Die Leute lieben das Songformat. Auch wenn die Elektronik oftmals einen politischen Standpunkt vertritt, wird diese Musik nie auch nur halb so stark wirken wie HipHop, weil dort Worte in die Songs gesteckt werden. Und das bedeutet den Leuten einfach mehr. Warum ist deutscher HipHop in Deutschland so populär? Weil die Leute die Sprache verstehen und sich mit den Inhalten identifizieren können. Genauso ist es in Frankreich. Rock’n’Roll und HipHop sind Musikformen, die politische Statements verbreiten, Techno macht das nur bedingt. HipHop ist keine innovative Musik, bis auf den Underground-HipHop, der von der Electronica beeinflusst wird: Beans, And Pop Consortium und Dälek- all diese Bands sind aber den durchschnittlichen HipHop-Kids unbekannt, weil sie mehr Wert auf Musikalität legen. Vielleicht ist diese Musik zu anspruchsvoll für sie.

Im Epilog deines Buches beschreibst du, wie du im Jahr 2002 nach Manchester zurückkehrst und an der Stelle, an der die „Hacienda“stand, eine Baustelle für einen Wohnblock vorfindest. Das hat dich geschockt.

Ja, das war damals ein großer Schock für mich. Das lag aber nicht daran, dass der Club geschlossen war und dass an seiner Stelle Wohnungen gebaut wurden. Was mich vielmehr geschockt hat war, dass die Bauherren auf ihren Plakaten, mit denen sie warben, dasselbe Design, dasselbe Logo, diesselben Farben, exakt dieselbe Schrift benutzten, die die „Hacienda“ für ihre Flyer verwendet hatte. Da stand zu lesen: „The Party Is Over – It’s Time To Go Home“. Sie haben diesen Ort, der mittlerweile ein Mythos ist – so wie „Studio 54“ und die „Paradise Garage‘ – missbraucht, um Geld zu machen. Und das hat mich wirklich schwer getroffen.

Du giltst als einer der besten DJs der Welt…

… Oops…

… das ist so. Wirst du nach all den Jahren von einem DJ- Set noch so gekickt wie am Anfang?

Absolut. Wenn du vor Leuten auflegst, die wirklich heiß daraufsind dich zu sehen, musst du auch wirklich heiß daraufsein, sie zu sehen. Das ist wie in einer Beziehung.

Was ist besser: vor 15.000 oder vor 200 Leuten aufzule- gen?

Wenn du vor 200 Leuten in einem kleinen Club auflegst, kann das unter Umständen besser sein als bei n einem Rave. Mir waren die Clubs immer irgendwie wichtiger, weil ich da einen besseren Kontakt zum Publikum aufbauen kann.

www.fcom.fr

Laurent Garnier/ David Brun Lambert, „Elektroschock“ (Hannibal Verlag, 24,90 Euro)