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Nobody's coming undone? Blutige Nasen!

Zwei Stunden vor dem Konzert sitzt James Murphy beim Interview vor einem Häufchen Pillen, die er in der Folge mit Kaffee runterspült, daneben eine Handvoll Halspastillen für später, „I’m losing my voice“, erklärt er, und es ist nicht ganz sicher, ob ihm klar ist, daß er gerade etwas Witziges gesagt hat. Man verkneift sich das „na, besser als den edge“, denn es ist ebenfalls nicht ganz sicher, ob Murphy zu Späßen aufgelegt ist. Immerhin hat er heute schon ein paar Leute gegen sich auf – und gerade einen recht endlosen Soundcheck hinter sich gebracht. Ein Team von Arte wollte das Konzert filmen und wurde von Murphy kurz vor knapp wieder ausgeladen, weil er seine Stimme für nicht aufzeichnungswürdig befand. Da ist der Mann, der die bessere Hälfte von DFA ist, ebenso wenig für Kompromisse zu haben wie wenn es um das Kalibrieren des Instrumentariums seiner vierköpfigen Band geht: Der 35jährige hat die Hälfte seines Lebens damit verbracht, Bands zu mixen und zu produzieren, da wird bei der eigenen nicht geschludert, sondern geschraubt und mit dem Vertrauten am Mischpult konferiert, bis die letzte Kuhglocke richtig im Mix sitzt.

Kurz nach Mitternacht ist klar, wofür das alles gut war. Das grandiose „Beat Connection“ mit seinem Percussion-Vorbau hat die Grooveschraube angezogen, und keiner will diesen Spottgesang auf die Coolness und wie sie einem den Abend verderben kann „Nobody’s coming undone / Everybody here is afraid of fun“ – auf sich sitzenlassen. Alles tanzt, besser: windet sich, so gut es geht in der drangvollen Enge des Magnet. Und durch das Dickicht schneiden die Songs, in vollem Nuancen- und Detailreichtum. Elektrobeats und Realtrommel verdrechseln, verschachteln sich, geritten von gewitzten Bässen, Gitarrensäge, Quietschkeyboard und Congas funken dazwischen. Und hier: Kuhglockensolo! „Tribulations“, „Beats On Repeat“. „Daft Punk Is Playing At My House“, NUR Hits, die sich-mal schleichend, mal plötzlich – von einem minimalistischen Groove in gleißende Raserei steigern; bei der Punkexplosion in der Mitte von „Movement“ gibt es fast blutige Nasen. Und Murphy steht da oben nicht etwa als kühler Sprechsänger und macht den abgeklärten Producer/Bandleader, sondern kräht sich den Hals wund. Es ist eine der schwitzenmachendsten Rockund eine der euphorisierendsten Dance-Sausen seit langem, eines dieser raren Konzerte, bei denen man Zeit, Raum und sogar das Bierholen vergißt. Zur Zugabe gibt’s „Losing My Edge“, voller Einsatz („THE SONICS!“), dann sind die Pastillen alle. Und Berlin darf sich als gerockt betrachten.

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