Life Of Agony


Dreißig Mark Eintritt für vier Bands und knapp fünf Stunden Musik ist in teuren Zeiten wie diesen prinzipiell nicht viel Geld. Wenn sich allerdings drei der vier Gruppen als Flops und die Hauptattraktion des Abends als Durchschnitt entpuppt, mag man in diesem Falle vielleicht nicht von Finanz-, dafür von Zeitverschwendung reden. Oder, wie es ein am Ende der Veranstaltung leicht genervt wirkender Konzertbesucher ausdrückte: „Nichts gegen drei Vorgruppen – aber Format sollten sie schon haben.“

Die eisige Novembernacht stand in der Münchner „Charterhalle“ ganz im Zeichen des brachialen Lärms – mit Life Of Agony, New Yorker Hardcore-Band der Stunde, als prominentem Lockmittel. Kurz nach acht Uhr stand bereits das Wuppertaler Quartett Kind Tot auf der Bühne, das erste deutsche Signing der amerikanischen Heavy Rock-Plattenfirma „Roadrunner“. Von diesem Zeitpunkt an warteten die durchaus aufgeschlossenen Fans noch beinahe drei quälend-lange Stunden auf die Formation, wegen der sie den vereisten Weg in die Halle genommen hatten – Life Of Agony.

Kind Tot stammelten sich durch Worthülsen, die provokant klingen sollen und bei näherem Hinhören nichts als hohl sind, während ihre musikalische Auffassung von Hardcore erschreckend hausbacken ist. Die viel zu wenigen Plätze am Tresen und an den Flipperautomaten waren jedenfalls bei dieser Darbeitung in der gut gefüllten Halle die beliebtesten – und blieben es auch während des Gastspiels der nächsten Formation, den bis dato völlig unbekannten New Yorker Doom-Metallern Pist On. Daß die vier Düstermänner mit ihrem unglaublich beliebigen Schrammelsound auch in Zukunft keinen größeren Bekanntheitsgrad haben werden, dafür garantiere ich schon heute.

Ebenfalls aus New York sind Souls At Zero, die dritten im tristen Vorgruppen-Bunde. Die vier Boys schafften es mit ihrem Hauruck-Noisecore wenigstens, einige Mosher zum Luftgitarrenduell und einige Stagediver zum gewagten Absprung zu motivieren. Mehr aber auch nicht.

Gegen elf hieß es dann: Ring frei für die großen Hardcore-Helden der letzten Monate, das Quartett Life Of Agony. Endlich waren die Plätze an Tresen und Flipper verwaist, wie die Lemminge strömten die meist unter 20jährigen Fans an den Rand der Bühne, um ihren kaum älteren Idolen (die vier Jungs sind zwischen 21 und 25 Jahre alt) so nahe wie möglich zu sein.

Dort wurden sie vom wuchtigen Auftakt ‚Seasons‘ – der gleichzeitig auch der Opener des aktuellen Chartbreakeralbums ‚Ugly‘ ist – beinahe weggeblasen. Life Of Agony eröffneten ihren Gig so, wie man es erwartet hatte: mit sägenden Gitarren, wummernden Drums und dem stets leicht paranoid klingenden Organ von Sänger Keith Caputo. Das erinnert nicht unwesentlich an die Stimme von Maestro Ozzy Osborne – wie die Arrangements dieser Twens ganz prinzipeil an Black Sabbath erinnern, als diese Heavy Rock-Legende noch voller Saft und – dämonischer – Kraft steckte, also zu Beginn der 70er Jahre. Gerade dieser durchaus ehrenwerte Vergleich ist dafür zuständig, daß Life Of Agony bereits mit ihrer zweiten Scheibe in die erste Riege des Hardcore aufgestiegen sind – beeindruckend innovativ sind die Songs von ‚Ugly‘ zwar nicht, doch Bands mit ekstatischer Wucht und mystischer Tiefe sind in jeder Generation gefragt.

Genau die Tiefe von Titeln wie ‚Other Side Of the River‘, ‚Fears‘ oder ‚Lost At 22‘ wurden bei ihrem Live-Gastspiel allerdings schon nach wenigen Stücken schmerzlich vermißt. Caputo & Co. spulten zwar brav und engagiert ihr Programm ab, in dem kaum ein Titel der beiden bisherigen Langrillen fehlte – doch die Prise Magie und Leidenschaft, die ‚Ugly‘ zu etwas ganz Besonderem machten, geht den Songs live völlig ab. Den Fans war’s wurscht, denn die waren völlig auf Pogo und Punk eingestellt. So verkam der Gig einer der interessantesten Vertreter der neuen Lärmbastion zu einer netten, unverfänglichen, ausgelassenen Party mit Adrenalinstoßgarantie. Gerade die hatte man von ihnen eben nicht erwartet…