Popkolumne, Folge 228

Linus Volkmanns Popkolumne: Neun Gründe, warum ihr „Avatar: The Way of Water“ verpassen solltet


Heteronormative Kleinfamilien from outer space: Linus Volkmann meint, die überlange Runkelrübe mit Überwältigungskomplex sollte man sich nicht antun.

Der Original „Avatar“ aus dem Jahr 2009 stellt den bis dato erfolgreichsten Film aller Zeiten dar. Eine Fortsetzung ließ lange auf sich warten – seit dieser Woche nun ist sie im Streaming zu sehen. In dieser Popkolumne wird allerdings davor gewarnt, sich die überlange Runkelrübe mit Überwältigungskomplex anzutun. Ein Rant.

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Wer dachte, dass diese blutleere Tolkien-Verwünschung „Die Ringe der Macht“ den Gipfel der cineastischen Stuhl-Anhäufung mit KI-Anmutung darstellt, irrt. Es geht noch schlimmer, jetzt wurde in die digitale Sickergrube ohne Herz und Story bis zum Grund getaucht – und damit herzlich willkommen in der dieswöchigen Popkolumne.

Ich hoffe, niemand aus Pandora und keiner der Na‘vi fühlt sich von den folgenden Zeilen persönlich verletzt. Es ist allerdings meine Pflicht als „Deutschlands zentralster Fantasy-Kritiker“ (Selbstbeschreibung) niemand im Unklaren darüber zu lassen, was in diesem Film für ein verkitschter computeranimierter Superquark auf ihn/sie herabregnen wird.

An dieser Stelle schon mal eine Gedenkzeile für all jene Opfer, die sich „James Camerons neues Meisterwerk“ (Quelle: Jagd & Hund) Anfang des Jahres im Kino gegeben haben. Für euch können wir nichts mehr tun, doch dieser Text möge euch rächen.
Seit dieser Woche steht „Avatar: The Way Of Water“ nun bei dem Streamingdienst Disney+ und schwappt in die Haushalte. Schützen Sie sich und ihre Familie davor.

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1. Rabatt auf die eigene Lebenszeit

Ohne hinzugucken, was würde man schätzen, wie lang ist wohl der neue, der zweite „Avatar“-Film? Vermutlich lang, sehr lang, oder?

Natürlich hat man damit recht: Der überflüssigste Film des Jahres zieht sich über sage und schreibe 193 Minuten, das sind drei Stunden und eine Viertelstunde. Klar, die Megalomanie kontemporärer Blockbuster verlangt nach Überlänge. Einen Marvel-Streifen auf 90 Minuten? Würde doch niemand mehr ernst nehmen! Und James „Titanic“ Cameron fängt ja bei zwei Stunden erst an. Doch bei schwachen Stoffen und dünnen Storys richtet sich die allgegenwärtige Zerdehnungshuberei mit ihrem haarigen Hintern komplett gegen die Zuschauer:innen und nimmt – um im Bild zu bleiben – stundenlang auf seinem Gesicht Platz. Das ist bei dem neuen „Avatar“-Teil so ausufernd der Fall, wie bei kaum einem anderen zeitlich entgrenzten Kinoprojekt der jüngsten Zeit. Denn – wer hätte es gedacht – Plot und Figuren von „Avatar – The Way Of Water“ erweisen sich als so dünn, dagegen wirken selbst homöopathische Tinkturen deftig wie Rahmsoße.

2. Uns trifft keine Schuld

Man könnte natürlich denken, wer sieht sich überhaupt so einen Film an? Vornehmlich Leute, die Artist-Bändchen bekommen, wenn sie in den Zoo gehen, oder? Mitnichten. Denn der erste Film (von 2009 und immerhin „nur“ 163 Minuten lang) besaß durchaus Qualitäten, implementierte eine homogene Verbindung zwischen echten Schauspieler:innen und nachträglich in Szene gesetzten Phantasiegestalten – eine Kombination, die schon bei der Serienverfilmung von „Meister Eder und sein Pumuckl“ zu gefallen wusste. Nach dem ersten „Avatar“ kam lange nichts und sein aufwendiger Neuaufguss jetzt weckte zurecht die Hoffnung auf „rattenscharfes Popcornentertainment“ (Quelle: Privater Newsletter von Olaf Scholz).

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3. Abgezockt von der KI

Warum das Original von vor fast 15 Jahren also seinen Charme besaß? Eben nicht nur wegen des digitalen Overkills, sondern vor allem auch wegen der Schauspieler:innen. Wie gesagt, solche sahen sich in jenem ersten Film noch den hochauflösenden Blaumännchen entgegengesetzt. Dieser Aspekt fällt dieses Mal weg. Ja, nicht nur das, sondern der „echte Mensch“ wird im Blockbusterkino dieses Jahrzehnts bizarr neu zusammengesetzt: Tritt Sigourney Weaver nämlich in dem aktuellen Teil tatsächlich doch noch mal auf, gibt es kein Aha-Erlebnis, bloß die ernsthafte Verstörung, warum die mittlerweile über Siebzigjährige so seltsam jung und künstlich aussieht? Ach so, das ist eine digitale Anpassung des Bildes, ein Abbild so sehr ge-beauty-filtert, dass das Ergebnis über die Grenze zur Neuerschaffung hinausschießt. Längst scheint es nicht mehr darum zu gehen, vom Computer animierte Figuren nach echten Menschen aussehen zu lassen, sondern viel eher umgekehrt. Der Mensch als sein eigener – Achtung Gänsehaut-Moment in diesem Text – „Avatar“. Klingt futuristisch, sieht in der digitalen Realität dieses Film allerdings unterm Strich genauso leblos wie bemüht und trashig aus.

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4. Ausgekotzt von der KI

So haben wir es hier neben den großen blauen Männchen mit aus Menschen gerenderten Figuren mit Pixar-Vibe zu tun. Das ist aber nur die eine Hälfte der grotesken Überwältigungszumutung. Auch der Plot wirkt, als hätte ihn eine sich selbst überschätzende KI nach der „Analyse“ (eigentlich: statistischen Auswertung) erfolgreicher Big-Player-Movies erbrochen.

Der Computer spielte also etliche Emo- und Epos-Simulationen durch und kam auf den Trichter, dass es doch sicher eine starke „Idee“ wäre, was von Außenseitern zu erzählen, die von der neuen Gemeinschaft erst gegängelt werden, sich dann aber den Respekt verdienen – und zum Schluss und vor allem in einem nicht enden-wollenden Finalkampf wird dann der gemeinsame äußere Feind besiegt. Na? Auch schon die Taschentücher gezückt bei so einer überraschenden und hochemotionalen Story? Dem Hollywood-Rechner, der dieses bis ins Kleinste korrupte Scherenschnitt-Skript ausgespuckt hat, wünsche ich einen schmerzhaften Trojaner ins System. Ja, richtig gelesen: Leide, wie wir leiden, KI! Vielleicht lernst du so ja etwas über wirklich gute Storys …

5. Guess what!

Doch nur weil sich die Heldenreise in „Avatar – That Way Of Water“ so wenig spektakulär ausmacht wie eine Straßenbahnfahrt in Paderborn oder Kaiserslautern, heißt das nicht, dass der Film nicht in sich völlig verworren ist. Todeslost, wie wir jungen Leute sagen. Schuld daran ist diese Prämisse, die der Stoff mitbringt: Einerseits gibt es Menschen (a.k.a. „Sky people“) und die edlen blauen Wilden aus Pandora, allerdings gibt es auch Menschen, die eigentlich in so Super-Tanks liegen und irgendwie per Bluetooth als künstliche Avatare mitmischen – dieses latent unübersichtliche Inventar ergänzt der neue Teil nun noch um aus den Erinnerungen menschlicher Soldaten zusammengeklonte Na‘vi, die irgendwie undercover unterwegs sein sollen. Herauskommt ein Figurenensemble wie ein schlechtes Bowl-Gericht im gentrifizierten Hipsterviertel der Stadt: Random Zutaten in einen schicken Eimer geklatscht – kalt und ohne verbindende Soße serviert. Wohl bekomm’s.

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6. Blaue Barbies

Nächsten Monat erscheint mit der „Barbie“-Verfilmung ein weiterer „hochkarätiger Event-Movie“ (Quelle: Apotheken Umschau). Auch hier erscheint die Fallhöhe immens. Barbie-Figuren standen vor allem früher sehr in der Kritik: Denn die Körpermaße von Barbie auf einen Menschen umgerechnet, ergibt den Schluss, dass ein menschliches Wesen dieser Proportionen nicht lebensfähig sei. Insbesondere biete der Unterleib nicht genug Platz für alle lebensnotwendigen Organe. Das führte dazu, dass die blonde Plastikbohnenstange ohne Raum für einen Dickdarm und Ähnliches über die Jahrzehnte immer wieder realen Körperformen angeglichen werden musste. Antrieb dafür: Gesellschaftlicher Druck.

Wer allerdings sagt den Creaturedesigner:innen von „Avatar“ endlich mal, dass ihre Blaumenschen aussehen wie schmerzhaft in die Länge gezogene Barbies nach der „Boss-Transformation“ (#Kollegah). Barbies, bei denen nicht mal Blinddarm oder Milz unterkommen könnten? Das Extraterrestrische löscht hier natürlich alle Forderungen nach realistischen Körperformen aus, dennoch tut es sicher nicht nur mir weh, diese Biester mit ihren übertighten Poserkörpern überhaupt anzuschauen.

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7. Heteronormative Kleinfamilie from outer space

Ein weiterer Brückenschlag zum konservativen Barbie-Erbe findet sich in der Welt des aus Teil Eins hinübergeretteten Hauptprotagonisten Jake. Der reitet im neuen Film nun mit seiner ganzen Familie in die Trashfilm-Historie ein, Vatermutterkindkindkind.

Das Wohl des Planeten und der Allgemeinheit? Geschenkt! Es geht alles nur um unsere kleine blaue Familie! Vergesst Barbie, bei dieser egozentrischen Überbetonung des eigenen DNA-Verbands bekommt man viel eher „Soprano“-Vibes. Die Mafia-Serie von HBO, die seinerzeit die Nuller prägte, problematisierte aber zumindest den entgrenzten Familienkult seiner Figuren. „Avatar“ nutzt jenen dagegen lediglich zur plumpen Verkitschung und versucht damit die riesigen emotionalen Leerstellen zu füllen, die die digitalen blauen Unsympathieträger:innen stundenlang umgeben.

Apropos „Sopranos“: Edie Falco, die seinerzeit Carmela Soprano, die Mutter des New Jersey Mobster-Clans, spielte, besetzt in „Avatar – The Way Of Water“ eine der wenigen Personenrollen. Dieser Fakt besitzt allerdings über seinen Trivia-Wert hinaus keine Bedeutung – was Edie Falco nicht grämen möge. Denn kein:e Schauspieler:in der Welt hätte diesen Multimillionen-Carcrash von einem Film retten können.

8. Das Gift der anderen

Macht man sich die Mühe hinter die verwirrten Hurra-Rezensionen von „Avatar – The Way Of Water“ zu blicken, fällt auf, dass es wirklich kein Geheimnis darstellt, was für eine deformierte Niete James-Camerons-Mega-Franchise hier aus dem Nassmüll gefallen ist. An dieser Stelle habe ich mal ein paar griffige Zitate zusammengetragen:

„Dass die Kinder im Laufe eines einzigen Films dreimal gefangen genommen und gerettet werden, steht einfach für ein schlecht geschriebenes Drehbuch.“
(Forbes)

„Camerons Unterwasserwelt ist wie ein Billionen-Dollar-Bildschirmschoner.“
(The Guardian)

„Den Film zu sehen fühlt sich an, als würde man mit türkisfarbenem Zement gequirlt.“
(Daily Telegraph)

„Cameron betäubt das 3D-Publikum mit so viel Schnickschnack, dass es sich eher angegriffen als beeindruckt fühlt.“
(Mashable)

„Mit seinen 193 Minuten ist ‚The Way of Water‘ weniger ein Film als vielmehr eine endlose Tech-Demo, die man vielleicht noch im Fegefeuer ertragen könnte.“
(CineVu)

9. Kampfstern Pandora dockt an!

Weitere Teile dieses phantasmagorischen Versagerprojekts XXL sind bereits in Planung, Grundgütiger!

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tl;dr: Viel Spaß bei einem neuen spannenden Abenteuer auf dem Planeten Pandora.

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Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.

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