Popkolumne, Folge 10

Mit Karnevals-Mist, Deutsch-HipHop-Historie, Keith Flint und hässlichen Zeilen über Arcade Fire: Die Popwoche auf einen Blick


In seiner Popkolumne präsentiert Linus Volkmann High- und Lowlights der Woche. Welche Künstler, welche Phänomene, welche Filme lohnen sich (nicht) – und was war sonst noch so los? Hier Folge 10. Mit Karnevals-Hass, einer Meta-RomCom, Keith Flint sowie der ganzen Geschichte von deutschem HipHop (inklusive Interview!). Und „Der verhasste Klassiker"? Führt diesmal nach Kanada.

LOGBUCH: KALENDERWOCHE 10/2019


Köln. Die eigene Clique begibt sich halbironisch bis affirmativ ins hochtourige Open-Air-Gesaufe, vor dem Hauseingang riecht es nach Pisse, sehen kann man allerdings nur Kotze. Genau: Die Woche war also wieder Karneval. Ein wunderschönes Fest, macht einfach Bock. Wie Säure trinken oder sechs in Mathe. Und gerade in Köln ist das alles natürlich noch mal was ganz Besonderes. Das Foto des Sching-Schang-Schong-Aufmarschs hier (siehe oben), das ich vor einigen Sezessionen machte, kann dem ganzen naiven Zauber dabei kaum in seiner Gänze gerecht werden. Aber einen Versuch ist’s wert…

KARNEVALS-EREIGNIS DER WOCHE: Cartoon-Sitzung Köln

Hauck und Bauer mal ganz privat

 

Cartoon-Sitzung 2019… Mit Dominik Bauer, Jan Blum, Moritz Hürtgen mit Daisy, Sebastian Meschenmoser, Elias Hauck, Paula Irmschler, Michael Schilling, Hannes Richert (Von vorne rechts nach links)

Hauck & Bauer, das sind diese zwei elfengleichen Trinker, deren Bilderwitze einem immer wieder irgendwo begegnen. Live organisierte Elias Hauck in Berlin zuletzt eine neue Auflage der legendären „ALF-Lesung“. In Köln nun hielten er und sein Bauer zwei Sitzungen im Kabarett Klingelpütz ab – initiert von Michael Schilling und Jan Blum. Der Aufhänger und der Look waren Karneval, die Inhalte überragten diese Zuschreibung allerdings um ein Vielfaches. Zwei Männer tankten super – Titanic-Chefredakteur Moritz Hürtgen als Sitzungspräsident und Stargäste inklusive.

KARNEVALS-AUSBLICK DER WOCHE

Noch mal auf Elias Hauck schwenken. Der fasst uns den regulären K-Betrieb des Jahres hier gut zusammen.

TODESTAGE DER WOCHE: Keith Flint, Luke Perry

2016 gilt gemeinhin als das übertrieben gnadenlose Exitus-Jahr für Pop-Protagonisten. 2019 allerdings kreist ebenfalls der Hammer und es ist gerade mal Anfang März. Prodigys Keith Flint (1969-2019) und Luke Perry (1966-2019) mit dem ewigen „Beverly Hills 90210“-Fame überleben diese zehnte Kalenderwoche nicht.

Dem ein oder anderen erscheint dabei aber nicht nur der Tod als Zumutung, sondern auch die kollektive Verarbeitung dessen auf Social Media. Ein Promi-Tod lädt mittlerweile so manchen ein zur kurzzeitigen Facebook-Abstinenz:

GEBURTSTAG DER WOCHE: Bryan Cranston (*07.03.1956)

Einst als netten Heini-Schauspieler bei „Malcom Mittendrin“ wahrgenommen, bis einen dann „Breaking Bad“ überrollte. Jetzt kann Cranston alles und deine Mutter spielen. (Für uns junge Leute dennoch ehrlich gesagt interessanter: Auch Panik Panzer von der Antilopen Gang feierte diese Woche Geburtstag!)

MEME DER WOCHE:

FILM DER WOCHE: „Isn’t it romantic?“

Eine Genre-Parodie ist gemeinhin schwer ohne fachgerechte Lobotomie zu ertragen. Ich meine, „Scary Movie“ hat seine Momente, aber der Film als Ganzes? Bitch, please!

„Isn’t it romantic“ auf Netflix stellt nun eine solche Genre-Parodie auf „Romantische Komödien“ dar, zieht aber die damit einhergehende Meta-Ebene in eine tatsächliche Story ein. Klingt abstrakt, funktioniert simpel: Protagonistin Natalie (angenehm entfernt vom regulären weiblichen Hollywood-Körperbild) findet sich nach einer Gehirnerschütterung in der plüschig harmonischen Welt einer RomCom wieder. Das ist ihr selbst am wenigsten geheuer, aber was soll man machen? So deklinieren sich für den Zuseher all die typischen Szenarien, Ereignisse und Figuren des Genres durch. Auf einige zu entlarvenden Mechanismen wartet man natürlich vorausahnend, andere dagegen waren einem vielleicht noch gar nicht aufgefallen. Die wirkliche Leistung des Films ist allerdings, dass diese pointenreiche Nummernrevue tatsächlich auch noch die hübsche Geschichte einer Selbstfindung zulässt.

Youtube Placeholder

An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

BUCH DER WOCHE: „Könnt ihr uns hören?“ von Jan Wehn und Davide Bortot

Gut gemachte Oral-History-Projekte stehen oft stellvertretend für ganze Epochen von Genres. Beispielsweise „Verschwende Deine Jugend“ von Jürgen Teipel für die progressive NDW der 80er oder „Please Kill Me“ von McCain und McNeil für amerikanischen Punk. Auch deutscher HipHop bekommt 2019 nun so ein Standardwerk. Ja, sorry, kleiner kann man diese Panorama-Nummer von Jan Wehn und Davide Bortot einfach nicht rechnen, friends. Wehn habe ich daher diese Woche um Antwort auf drei Fragen zum Buch gebeten.

Was weißt Du jetzt über deutschen HipHop, was Dir vorher so noch nicht klar war?
JAN WEHN: Leute wie zum Beispiel LGoony oder RIN haben sehr wohl die Sachen von früher und auch nischigen Kram im Blick. Umgekehrt wissen auch ein MC Rene oder ein Max Herre noch ziemlich genau, was heute in den Playlisten passiert. Auch dazwischen gibt es immer wieder diese Berührungspunkte. MC Bogy hat Advanced Chemistry und RHP gefeiert und Frauenarzt war in den 90ern schon auf James in Westdeutschland. Es gibt eine klare Linie von den späten 80ern bis ins Jahr 2019 und das Ganze hängt vielmehr zusammen, als man gemeinhin denken würde.

Hattet Ihr so ein großes Projekt zeitlich und vom Umfang her immer im Griff oder flog Euch die Komplexität des Ganzen um die Ohren?
JAN WEHN: Ich will ehrlich sein. Wir haben das Format der Oral History ursprünglich aus zwei Gründen gewählt. Zum einen fanden wir es vermessen, über eine Zeit zu schreiben, in der wir selbst nicht dabei waren und wollten dementsprechend die Leute selbst zu Wort kommen und erzählen lassen. Zum anderen dachten wir: Interviews führen können wir – die Antworten sortieren und dann schlüssig mit denen der anderen Protagonisten zusammenfügen dauert also sicher nicht viel länger. Das Gegenteil war der Fall. Die Interviews dauerten teilweise vier oder sogar fünf Stunden. Aber wir hatten zum Glück einen Zeitstrahl auf dem wir wichtige Alben, Vorkommnisse und Momente festgehalten haben, an dem wir uns dann entlang hangeln konnten.

Wer sind Lieblings-Protagonisten für Dich im Buch?
JAN WEHN: Wirklich SEHR schwierige Frage. Martin Stieber hat einfach so einen geilen Kurpfalz-Slang drauf, der seine Reminiszenzen und sein Schwelgen noch mal ungemein intensiviert. Celo und Abdi wissen natürlich um ihr komödiantisches Potential und fungieren in der Erzählung oft wie eine Art Statler und Waldorf des Deutschrap. Was die Quotes angeht, denke ich gerne an Cora E. Der Titel des Buches ist eine Hommage an einen ihrer Songs – und es beginnt auch mit einem Zitat von ihr. Sie erzählt so intensiv davon, wie sie zu HipHop und dadurch Freunde gefunden hat, dass mir das jedes Mal aufs Neue eine Gänsehaut beschert.

Amazon

DER VERHASSTE KLASSIKER: Arcade Fire

 Arcade Fire
„The Suburbs“
(VÖ 06.08.2010)

Wenn jenseits von Airbrush-Cover-Metal-Acts ein „Konzept-Album“ angedroht wird, ist eh schon mal Vorsicht geboten. Und wenn mit Arcade Fire dann auch noch dieser kanadische Spielmanns-Zug für Indie-Langweiler der Absender einer solchen Geschichte ist, weiß man gleich, was läuft: rabimmelige, überfrachtete Ödnis-Mucke, die an alles Mögliche gedacht hat – bloß halt nicht an gute Songs.

So suppt einem bei „The Suburbs“ dann also auch eine übergreifende Erzählung zum Thema Vorstädte auf die Hose. In einer solchen ist Songwriter Will Butler nämlich aufgewachsen. Wow, wie ungemein spannend und deep, bitte erzähle uns mehr davon! Ach so, macht er ja. Auf 15 natürlich größtenteils viel zu langen Tracks, die unpointiert über die Echtholzparkett-Böden der Kunden schlurfen.

Bei so einem prätentiösen Projekt kann man sich auch ziemlich sicher sein, dass erloschene Musikkritiker, die in irgendwelchen grauen Pop-Gremien ihren Lebensabend verbringen, das so richtig dufte finden.

Will sagen: „The Suburbs“ ist in seiner hochgetürmten Leere ein Kandidat für Preise. Und richtig: Ein Grammy steht zum Beispiel für diese Platte zu Buche. Ich hätte ihr auch eine Auszeichnung gegeben – allerdings eben nicht fürs „Album des Jahres“, nein, ganz vorne ist sie doch viel eher in der Kategorie: „Kunsthandwerkliche Sentimental-Mucke für verbeamtete Indie-Spießer, die den ganzen Hipster-Kram erst möglich gemacht haben.“

– Linus Volkmann („Musikjournalist“)

Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte von Linus Volkmann im Überblick.