Living Colour


Jahrelang waren Weezerin der Versenkung verschwunden. Jetzt sind sie zurück- und glänzen erneut in der Rolle der sympathischen Antistars, die jede Menge Farbe ins oft triste Pop-Einerlei bringen.

Bei Tower Records am Sunset Strip, dem größten und renommiertesten Plattenladen in Los Angeles, ist man so einiges gewohnt. Etwa Autogrammstunden von Stars wie Sternchen, so genannte In-Store-Auftritte, oder auch nur lange Schlangen, falls mal wieder das neue Album einer berühmten Band in den Regalen steht. Von R.E.M. etwa oder auch von Depeche Mode. Doch an diesem sonnigen Dienstagmorgen wird das Tower-Management ausgerechnet von Weezer überrascht. Denn deren Fans sorgen für ein Szenario, das kein Marketing-Stratege sich besser hätte ausdenken können und das es sogar bis in die Hauptnachrichten der großen amerikanischen Sender schafft. Eine riesige Menschenmenge ist zusammengekommen, die in ihrer Begeisterung sämtliche Verkaufsregale mit Weezer-CDs stürmt, Tumulte, Sachschaden und Verletzte inklusive. Und das wegen des dritten Albums einer Band, die man eigentlich längst abgeschrieben hatte. Einerseits, weil ihre letzte Produktion („Pinkerton“) geschlagene fünf lahre zurückliegt, anderseits, weil sie ein derartiger Flop war, dass man keinen Pfifferling mehr auf Weezer gegeben hätte.

Doch die Zeiten haben sich geändert. Und mit ihr auch eine Band, die schon immer etwas anders war als die meisten anderen Musikschaffenden. Gitarrist und Sänger Rivers Cuomo (31), Bassist Mikey Welsh (30), Drummer Pat Wilson (32) und Gitarrist Brian Bell (32) sind die Verkörperung des Anti-Pop. Sie hassen das Musikgeschäft und entziehen sich der Vereinnahmung durch selbiges, wo sie nur können. Und das auf ihre ganz eigene Weise – mit gezielter Verweigerung, ausgedehnten Schaffenspausen und einem äußerst distanzierten Verhältnis zu den Medien. Letzteres allerdings weniger aus Arroganz, denn vielmehr aus Unfähigkeit, die eigene Band und ihre Musik zu erklären. „Ich komme mir dabei immer wahnsinnig blöd vor – weil ich das Gefühl habe, als würde ich nur dummes Zeug erzählen. Und ich bin mir auch nicht sicher, ob man überhaupt etwas Intelligentes über einen Popsong sagen kann. Mir ist das jedenfalls immer sehr peinlich“, sagt Rivers Cuomo, knapp 1,65 Meter geballte Unsicherheit mit Kurzhaarschnitt, Kassengestell und – wie seine drei Mitstreiter im typischen Slacker-Outfit: Turnschuhe, Khakis, Streifen-Hemd. Einer, der in der Masse hoffnungslos untergeht und so gar nichts von einem Popstar hat. Doch genau das macht Rivers zum Über-Nerd, zum Helden all derer, die keine Sportskanonen oder Frauenlieblinge sind und die in der Schule immer krasse Außenseiter und prädestinierte Prügelknaben waren. „Es gibt nicht viele Leute, die uns verstehen. Aber diejenigen, denen unsere Songs gefallen, sind um so begeisterter. Sie wissen es zu schätzen, dass es eine Band gibt, die so denkt und fühlt wie sie. Und genau das ist unsere Mission – wir schreiben Stücke für Verlierer und Außenseiter. Denn unsere Fans sind genau wie wir: stille, ruhige Kerle, die in der Schule immer im Abseits standen, weil sie nicht zu den Aufreißertypen zählten. Und daraus hat sich ein richtiger Kult entwickelt.“ Der außen sich in Hunderten von detailverliebten Homepages, die jedes Demo, jeden Gig und jede Aktivität der vier Weezers nachvollziehen. Ganz zu schweigen von einem gut organisierten Fanclub oder ausverkauften Konzerten, egal, wo die Band auch spielt. Bei ihrer Warm-up-Tour im Februar und März dieses Jahres durch amerikanische Colleges waren es meist zwischen 2000 und 4000 Zuschauer. Dabei gab es zu diesem Zeitpunkt nicht einmal ein neues Album. Ein sicheres Indiz für die ungebrochene Popularität von Weezer, aber auch Ausdruck eines riesigen Nachholbedarfs. Denn die vier Musiker haben sich rar gemacht. Auf der Flucht vor dem Erfolg und dem immer größeren Leistungsdruck, den die Platin-Umsätze ihres ’94er-Debüts auslösten, versuchten sie es mit Undercover-Konzerten unter Fantasienamen wie zum Beispiel Goat Punishment. „Das war ein Trick, um auftreten zu können und dabei keinerlei Druck zu verspüren“, erklärt Cuomo. „Als Goat Punishment, die nur fremde Stücke spielten, waren wir nicht verletzlich. Es war ein reines Fun-Projekt, und dieser Anspruch stellt es über jede Kritik – eine wunderbare Sache, die so lange funktionierte, bis das Ganze übers Internet verbreitet wurde und wir bei den Gigs wieder genauso viele Zuschauer hatten, als wenn wir unter dem Namen Weezer aufgetreten wären.“

Da kam der kommerzielle Misserfolg des ’96er-Albums „Pinkerton“ natürlich wie gerufen. Ein für Weezer-Verhältnisse ungewohnt düsteres, melancholisches Werk, auf dem Cuomo seine Tourerlebnisse verarbeitete – und gegen das Image der netten California Boys samt ihres Chart-Appeals ankämpfte: „Ich singe immer nur die Stücke, die meinem Gemütszustand entsprechen. Und Mitte der 90er fühlte ich mich eben ziemlich leer und ausgebrannt. Ich war nie besonders glücklich mit der Vorstellung, der Sänger einer berühmten Band zu sein.“ Doch obwohl „Pinkerton“ die erhoffte Abkehr vom Mainstream brachte (500.000 verkaufte Platten im Vergleich zu fast vier Millionen des Debütalbums), die überwiegend negativen Kommentare der Presse nagten dann doch an Cuomos Songwriter-Ego. Und das derart heftig, dass er der Musik den Rücken kehrte und sich stattdessen einen Jugendtraum erfüllte: Rivers schrieb sich an der Elite-Uni Harvard ein und studierte Literatur und Geschichte, ohne jedoch einen Abschluss zu machen: „Ich bin zwei Semester vor Ende gegangen, weil ich nicht wusste, was ich eigentlich wollte. Außerdem haben mich die anderen Studenten vollkommen ignoriert. Das gefiel mir anfangs noch ganz gut, aber nach einer Weile fühlte ich mich so einsam und isoliert, dass ich den Entschluss fasste, doch lieber Vollzeitmusiker zu werden und mich dem Schreiben von Songs zu widmen.“

Was nicht heißt, dass Cuomo während der Zeit an der Uni als Musiker vollkommen untätig gewesen wäre. Er jammte sogar regelmäßig in Bostoner Clubs und nahm auch einen Titel für den Disney-Streifen „Meet The Deedles“ auf, allerdings unter dem Pseudonym „Homie“. Im Vergleich zum kreativen Output seiner Bandkollegen fielen Cuomos künstlerische Aktivitäten aber vergleichsweise bescheiden aus. Seine Mitstreiter hatten über Jahre hinweg so wenig Einfluss auf den von Rivers dominierten Gruppen-Sound, dass sie Cuomos Weezer-Pause zum kollektiven Austoben nutzen. Und das mit so viel Elan, dass dabei nicht nur etliche LPs und Singles entstanden, sondern – wie im Falle von Ex-Bassist Matt Sharp – auch das Verlangen, weiterhin solo zu arbeiten. „Er hatte ganz einfach die Geduld mit mir und meiner Unentschlossenheit verloren, und das kann ich sehr gut nachvollziehen“, so Rivers in seiner gewohnt selbstkritischen Art. „Am meisten schmerzt mich aber, dass ich jetzt die ganzen Interviews geben muss, was ich früher immer Matt überlassen habe. Eben weil er der bessere Redner ist. Mir hingegen fällt das Reden nicht leicht. Ich bin wahnsinnig schüchtern.“

Ob Sharp eine gute Wahl getroffen hat, indem er sich selbstständig machte, bleibt abzuwarten. Tatsache ist: Das letzte Album seiner Band Rentals wurde in Deutschland gar nicht veröffentlicht – mangels kommerziellen Potenzials. Über selbiges verfügen die neuen Songs von Rivers Cuomo in geradezu atemberaubendem Maße. Der geniale Grenzgang zwischen harmonischem Surf-Pop, wildem Garagen-Rock und verspielten New-Wave-Tönen besitzt durchweg Ohrwurmqualitäten. Rivers‘ große musikalische Vorbilder sind die Pixies – „weil sie so melodisch und doch so exzessiv waren. Zuerst schmeichelten sie sich mit einer honigsüßen Harmonie und einem Beach-Boys-mäßigen Arrangement bei dir ein, und im nächsten Moment schrien sie sich die Seele aus dem Leib. Ein Wechselbad der Gefühle. Bis die Pixies auftauchten, habe ich Accept, die Scorpions und Metallica gehört. Doch plötzlich gab es diese Band, die unglaubliche Melodien spielte. Zwar immer noch mit heftigen Gitarren, aber sehr sentimental und gefühlvoll.“

Folgerichtig kennte Rivers denn auch nicht widerstehen, als man ihm anbot, einen Track zum Pixies-Tribute „Where Is My Mind?“ beizusteuern. Erwählte „Velouria“, und das in einer derart ruppigen Version, dass der Komponist des Originals, Frank Black, noch heute ins Schwelgen gerät. „Ihre Fassung ist allein deshalb so gut, weil sie keinen Respekt hat, sondern wie ein gestreckter Mittelfinger wirkt, so nach dem Motto „Wir machen unser Ding, und wem das nicht passt, der kann uns mal‘. Und das finde ich toll.“ Rivers selbst bringt ein solches Kompliment derart aus der Fassung, dass er rot anläuft, mehrfach kräftig durchatmet. Nur um dann auf einmal so locker und gelöst zu sein, als hätte sich seine Unsicherheit in Luft aufgelöst.

So plaudert er plötzlich freizügig aus dem Nähkästchen. Beispielsweise darüber, dass er derzeit frisch verliebt sei, die Band mit Neuzugang Mikey Welsh, dem Mann am Bass, besser klänge als je zuvor und er als Songwriter eigentlich nur ein einziges Problem habe – er schreibe einfach zu viel. „Momentan liege ich bei zwei bis drei Songs pro Tag. Die meisten davon sind nicht besonders gut. Deswegen schmeiße ich sie auch sofort weg, oder sie wandern ins Archiv. Man kann sich nicht vorstellen, wie viele Lieder sich da angesammelt haben. Es sind mehr, als man je veröffentlichen könnte.“

Umso verwunderlicher, dass sich auf dem neuen Album von Weezer bei einer Spieldauer von einer knappen halben Stunde nur zehn dieser Songs wiederfinden. Aber Rivers Cuomo kommt es ganz offenbar mehr auf die Qualität als auf die Quantität seiner Lieder an. Zudem scheint er – man traut es ihm auf Anhieb kaum zu – auch über einen praktischen Zug zu verfügten. So hat er bei der Produktion des neuen Albums einfach nur so viele Songs aufgenommen, wie es der zur Verfügung gestellte Etat erlaubte. Und weil Cuomo weder ein Titel noch ein geeignetes Cover-Motiv einfiel, adaptierte er ganz einfach die Simplizität des legendären ’94er-Debüts: Die Platte heißt schlicht „Weezer“ und steht mit einem spektakulär unspektakulären Foto der Band vor grünem Hintergrund (vor acht Jahren war er blau) in den Regalen. Auch neben solchen Äußerlichkeiten haben beide Alben viel gemeinsam. Etwa den Produzenten, Ex-Cars-Sänger Ric Ocasek, sowie die Verbindung von perfekten Popmelodien mit witzig-intelligenten Texten. Mit genau dieser Melange schlugen Cuomo und Co. Anfang der 90er Jahre in der damals noch Metal- und Grunge-dominierten Szene von Los Angeles auf Umso erstaunlicher, dass die Vier sich durchsetzen konnten. Handelte es sich doch in den Augen vieler nur um ein paar Landeier aus Upstate New York, aus Virginia, Connecticut und Tennessee, deren erste Bands so bezeichnende Namen wie 60 Wrong Sausages, Zoom oder Early River-Bads trugen. Als Weezer fabrizierten sie einen Sound, der in keine Schublade passte, und trugen Outfits, die der Kategorie „uncool“ eine neue Dimension eröffneten. Zudem besaßen Cuomo und seine Freunde einen Ehrgeiz, der in Sachen Karriere nicht eben auf große Ambitionen hindeutete. Ein Umstand, der nicht ohne Folgen blieb, wie Rivers sich erinnert: „Zuerst wollte uns kein Club – jedenfalls nicht für Geld. Also haben wir meistens umsonst gespielt und unter ganz miesen Bedingungen. Aber das war egal, Hauptsache, es waren ein paar Leute da. Und das waren meistens so um die 20 bis 30 Freunde von uns.“ Doch um 1993 herum, als Grunge so weit kommerzialisiert und ausgeschlachtet war, dass entnervte Zeitgeister nach dem nächsten Kick suchten, kamen Weezer wie gerufen. Eine Band, die den Pop-Appeal der Sechziger mit spleenigen New-Wave-Klängen der frühen Achtziger und zeitlos ruppigen Gitarrensalven paarte.

Eine Mischung, die Weeier auf dem aktuellen Album perfektioniert haben. Positiv fällt auch auf, dass Rivers Cuomo und seine Mitstreiter trotz beträchtlicher kommerzieller Chancen in kreativer Opposition zum herrschenden Massengeschmack stehen. Mit der aufgesetzten Härte des so genannten Nu Metal und seiner Protagonisten haben Weezer jedenfalls nichts am Hut. „Ich weiß nicht warum, aber als Songwriter verlasse ich mich lieber auf Einflüsse aus der Vergangenheit als auf das, was man gerade so hört“, erzählt Cuomo. „Lind immer, wenn ich einen Song geschrieben habe, meine ich, ihn in den 60ern oder 70ern schon mal gehört zu haben. Und das macht mich richtig stolz.“ -» www.weezer.net