Lust statt Frust


Das späte Erbe der Geschäftswelt: Frauen im Alleingang frischen die Musikszene auf. Mit mehr Eigenständigkeit als Ideologie und neuen Antworten auf die alte Frauenfrage revolutionieren Tori Arnos, RJ. Harvey oder Sophie B.Hawkins nicht das Geschäft. Sie nehmen sich nur den Platz, der ihnen schon immer gebührt.

Ich denke nicht über Feminismus nach. Das hält nur auf. Man kann über Dinge zuviel reden und dabei nichts tun. Ich handle lieber gleich. Man kommt so schneller voran.“ Die Basistheorie weiblicher Chefetagen kommt in diesem Fall aus dem Mund einer Künstlerin. Ihr Name: Polly Harvey, Frau im kreativen Alleingang, die aufgrund ihrer schonungslosen Offenheit und brutalen Schwäche im musikalischen Grenzgebiet zwischen Pixies und Patti Smith seit ihrem Debüt 1992 zur Lieblingsfrau denkender Kritiker geworden ist.

Es sei denn, selbige schwärmen gerade von einer ihrer Kolleginnen. Als da wären: Tori Arnos, Björk, Kristin Hersh, Liz Phair, Sheryl Crow, Sarah Mac Lachlan, Sophie B. Hawkins, Heather Nova, Lisa Germano, Juliana Hatfield, Sam Phillips… Eine Liste ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Seit einiger Zeit bevölkern eigensinnige Frauen die Musikwelt wie kaum jemals zuvor. Musikalisch so breit gefächert wie Tag und Nacht, mit allen Dämmerphasen, vom abgehobenen Dance-Pop einer Björk zum bodenständigen Folk-Rock einer Sheryl Crow, von P.J.Harveys bösartigen Attacken bis hin zu Juliana Hatfields lieber Freundlichkeit, verbindet die Frauen an der musikalischen Front vor allen Dingen ein Merkmal: ihre bedingslose Eigenständigkeit.

Eine willkommene Frauenbewegung in der Musik, das gab es mit Ausnahme einiger gemäßigter Rrrriot Grrrls in dieser Massierung seit den späten Achtzigern nicht mehr. Damals preschte Suzanne Vega mit „Luca“ 1987 auf Platz drei der amerikanischen Billboard-Charts und ließ nur erstaunte Gesichter hinter sich. Ein Folk-Sensibelchen, so mutmaßten hoffnungsarm sogar die Vertreter ihrer eigenen Plattenfirma, läßt sich eben nicht an die breite Masse verkaufen.

Die war schließlich seit sechs Jahren MTV-genormt auf ein anderes Frauenbild geeicht. Madonna, Annie Lennox, Cindy Lauper oder Debbie Harry hießen hochglänzende weibliche Ikonen vor der sich anbahnenden Phase der neuen Innerlichkeit. Frauen, die mit allem marktwirtschaftlichen Geschick ausgestattet, Image und weibliche Potenz verkauften. Die wollten einem nun plötzlich weismachen, daß Männer eher die Peitsche als ein Tässchen Vanilletee brauchten. Wer wollte in dem Zusammenhang schon etwas von einem Thema wie Kindesmißhandlung hören?

Die Leute wollten, oder vielleicht wollten sie auch nur Vegas zerbrechliches Stimmchen, wollten Frauengesänge, die Schwäche zeigten, gesungen von „normalen Mädchen“, von all denen, die im Gefolge von Vegas Überraschungserfolg bei Major-Labels offene Türen einrannten: Tracy Chapman, Michelle Shocked, Melissa Etheridge weibliche Persönlichkeit, oft angereichert mit politischer Überzeugung und dem Bedürfnis, diese auch zu leben und kund zu tun, wurde zum sicheren Verkaufsfaktor.

Hinter den Kulissen jedoch herrschten nicht Freiheit und Demokratie, sondern immer noch die üblichen Restriktionen des Marktes. Als Sinead O’Connor etwa 1986 während der Aufnahmen zu ihrem Debüt „The Lion And The Cobia“ schwanger wurde, riet ihre Plattenfirma ernsthaft zur Abtreibung, denn ein Baby behindere nur die geplante Promotion-Arbeit. Sinead O‘-Connor behielt ihr Kind, doch es ist kein Wunder, daß sie nach derlei Erfahrungen auf die Machtstrukturen der Industrie bis heute ein wenig panisch reagiert.

„Im wahren Leben bin Ich stroh- trocken. Wenn ich auf der Bühne stehe und spiele, bin ich feucht wie eine Mango.“ Tori Arnos

Die Welle weiblicher Sanftmut war nach dem ersten Schub schnell verflogen. Als die Nachfolge-Alben von Bestsellern wie Melissa Etheridge und Tracy Chapman kommerziell einbrachen, war mit der Frauenfreundlichkeit schnell wieder Schluß.

In seltenen Fällen jedoch ändern sich die Zeiten noch zum Positiven. „Es ist heute defintiv eine gute Zeit für Frauen in der Musik.“ Sophie B.Hawkins etwa fühlt sich mittlerweile am rechten Platz, die 26jährige New Yorkerin hat eben ihr zweites Album

veröffentlicht. Im Alternativ-Taumel des Tonträgermarktes, der die Plattenindustrie immer noch schüttelt, fühlt sie sich besser aufgehoben als noch vor zwei Jahren. „Die Industrie hat gelernt freier zu denken, und das bietet uns Künstlern auch die Möglichkeit, freier zu agieren. Heute wirst du nicht mehr sofort in eine Schablone gepreßt, und deswegen werden auch Frauen nicht mehr automatisch als Sex-Symbol vermarktet oder als asexuelle Emanzen verteufelt“

„Ich finde es unerträglich, wenn sich Frauen selbst bemitleiden. Sie sollten lieber ihren Arsch heben und was tun.“ Björk

Hawkins hat mit der Kehrseite der Medaille ihre Erfahrungen schon gemacht. „Damn, I Wish I Was Your Lover“ hieß der Song, der sie berühmt machte. 24jährig hat sie ihr erstes Erfolgsalbum selber geschrieben und mitproduziert. Im zarten Alter von 14 begann sie sich als weibliche Schlagzeugerin durch New Yorks Musikdschungel zu schlagen. Doch darüber war wenig zu lesen in den Zeitungen. Dafür über das, was ohnehin jeder sehen konnte: daß sie eine verdammte Schönheit war und in der Phantasie geifernder Kritiker zur Schmuse-Madonna verkam.

Die Self-Made-Frau mit der richtigen Portion Sensibilität, das war letztlich weniger furchterregend als das Männer mordende Achtziger Ikon. „Damn, I Wish I Was Your Lover“ – manch einer nahm das wörtlich, auf der Bühne flogen ihr die Klamotten der Bewunderer nur so zu. „Die Unterwäsche kam allerdings immer von den Mädchen,“ kichert sie heute. „Die Jungs warfen Jeans und T-Shirts.“

Sonst wurde ihr nichts geschenkt. „Ich hatte die falschen Leute um mich. Das Geld ist mir förmlich zwischen den Finger zerronnen.“

Zwei Jahre später hat sie die Erfahrung klug gemacht. Sie hat jetzt alles, was sie braucht: ein Haus, ein eigenes Studio, ihre Unabhängigkeit und eine

gereifte Einstellung: „Wenn ich heute auf die Bühne gehe, will ich mehr geben. Meinen Geist, meine Seele, meine Energie, meine Originalität. Das soll die Leute in meinen Bann ziehen, nicht die Tatsache, daß sie mit mir schlafen wollen.“

„Ich stelle mich bloß, um mich lächerlich zu machen. Daß ist auch eine Art, mit Komplexen umzugehen.“ RJ. Harvey

Musik als Eigentherapie und Selbstzweck. Frauen von heute verkaufen nicht ihre Person, sondern ihre Persönlichkeit. Wenn Tori Arnos ihre Traumata exorziert und dazu spricht: „Man sollte wieder zu Poesie und Vision zurückfinden.“ Wenn Björk in der Zwangsjacke durchs Video hopst. Wenn P.J.Harvey ihre Schmerzen heraussingt oder gar Jule Neigel ein unmißverständliches „Ich hab‘ Sehnsucht“ schreit, dann hat das heute eine ganz eigene Qualität. Der Seelenstrip ohne Selbstmitleid folgt keinem frauenpolitischen Dogma. Und der Zynismus und Witz, mit dem Frauen wie Liz Phair oder P.J.Harvey [„Ich finde es lustig, über trockene Vaginas zu singen.“) an das ewige Thema heran gehen, spricht sie von einem verzweifelten, wohlgemerkt männlichen Vorurteil frei: Frauen, die denken können, sind humorlos, Emanzen gar verhärmt und bösartig. Für Geschlechtsgenossinnen, die permanent über Benachteiligungen klagen, haben die neuen Vertreterinnen natürlieher Weiblichkeit wenig übrig. Björk: „Ich finde es unerträglich, wenn sich Frauen selbst bemitleiden. Sie sollen lieber ihren Arsch hochheben und endlich was tun.“

Zuviel Ehrlichkeit kann trotzdem schädlich sein. Wo soviel starke Frauen Individualität (Nur nebenbei bemerkt: Gab es herrausragende und obendrein erfolgreiche männliche Einzelperformer in den letzten Jahren?) demonstrieren, findet sich schnell ein Oberbegriff: „New Neurotics“ heißt das Konstrukt der britischen Presse. Die ehemalige Punk-Chronistin Julie Burchili höhnt im „Spiegel“ in einem Abgesang auf Madonnas Machtposition, die „Psycho-Babys“ hätten das „Material Girl“ abgelöst, Frauen suhlten sich wieder in ihrer Opferrolle. Und Mark Jobson, Kolumnist des amerikanischen Männer-Magazins „Esquire“, glaubt Damen wie Liz Phair oder Juliana Hatfield litten schlichtweg an einer „postpubertären sexuellen Neurose“.

Beweise dafür gäbe es tatsächlich genug. Björk gesteht offen, bis vor ein paar Jahren hätte „sie mit Jungs überhaupt nichts am Hut gehabt. Man kann sich mit Männern nicht anständig betrinken. Die sind zu feige, den Weg bis ganz nach unten zu gehen.“ Tori Arnos fühlt sich auf der Bühne wohler als im Bett: „7m wahren Leben bin ich strohtrocken. Wenn ich auf der Bühne stehe und spiele, bin ich feucht wie eine Mango. Und beim Sex würde ich mir das auch immer so sehnlichst wünschen.“ P.J. Harvey zeigt sich oben ohne auf ihrem Plattencover, weil „ich meinen Körper nicht leiden kann. Ich stelle mich bloß, um mich lächerlich zu machen, das ist auch eine Art, mit seinen Komplexen umzugehen.“

Und selbst eine k.d.lang, Pioniergestalt weiblicher Homosexualität, die trotz ihres offenen Bekentnisses zum Lesbentum im prüden Amerika Erfolge feiert, bekennt schüchtern:

„Die Bühnenfigur k.d.lang ist viel cooler als ich. Nicht, daß sie eine ganz andere Person wäre, aber als Liebhaberin bin ich bei weitem nicht so selbstbewußt, derb und unbesiegbar wie mein alter Ego.“

Das hört sich über weite Strecken doch tatsächlich, wie Frau Burchili ebenfalls bemerkte, anders an als das hehre Credo der 80er Jahre: “ Getfit, get rieh. get laid. “ Anders, weil ehrlicher, und mit Sicherheit näher an der Lebensrealität jeder von Idealen gequälten Durchschnittsfrau.

Männlich diktierte Gegenoffensiven sind da in etwa so überflüssig und unsinnig wie die Frage aller Fragen: „War ich gut?“

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